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# taz.de -- Wes Andersons „Moonrise Kingdom“: Das Unglück ist immer endlich
> Wes Andersons „Moonrise Kingdom“ bildet ein Ferienlager an der
> US-Ostküste Mitte der sechziger Jahre ab. Vor allem zeigt der Film, dass
> alles nur Zwischenzustand ist.
Bild: Was immer ins Bild kommt, kann man sich nur als bereits Dagewesenes vorst…
Am Meer steht ein älterer Mann mit Bart, der Erzähler. Er erklärt, dass wir
uns auf der Insel New Penzance in Neuengland befinden, dass, was nun folgt,
im Jahr 1965 spielt, und auch auf einen Sturm weist er ominös hin. Er trägt
einen knallroten Mantel, eine komische grüne Mütze und ist auch sonst
kauzig gekleidet, wie ja überhaupt bei Wes Anderson alle immer seltsam
staffiert sind.
Das hat seinen Grund darin, dass in seinen Filmen die Charaktere mit
Absicht flach sind. Sie wirken wie von außen belebt, wie von fremder Hand
durch liebevoll hingestellte Szenerien bewegt. Sie werden darum markiert
durch äußere Zeichen. Also gilt, nur zum Beispiel: Wer komische Brille und
Biberfellmütze trägt, wird individuell sein: In diesem Fall heißt er Sam
(Jared Gilman), ist zwölf Jahre alt und der Protagonist. Sam ist Waise und
im Ferienlager auf New Penzance als Pfadfinder. Sehr beliebt ist er nicht.
Bei einer Opernaufführung in der Kirche (im Film ist sehr viel Musik von
Benjamin Britten zu hören) verguckt er sich in ein Mädchen im Rabenkostüm,
das ist Suzy (Kara Hayward). Sie lebt in einem Haus an der Küste, in dem
die Mutter (Frances McDormand) die Familie mit dem Megaphon koordiniert,
während der Vater (Bill Murray) erträgt, dass seine Frau ein Verhältnis mit
dem wenig actionstarmäßigen Polizisten der Insel (Bruce Willis) hat.
## Gemeinsame Flucht
Suzy und Sam bonden auf den ersten Blick, von Nerd zu Nerd, von
Biberfellmütze zu Rabenkostüm, und fassen einen Entschluss zur gemeinsamen
Flucht von New Penzance zur angrenzenden Insel. Schnell sind Familie,
Pfadfinder, Polizei und Jugendamt (Tilda Swinton) hinter ihnen her und nur
durch die eine oder andere Gewalttat halten Suzy und Sam sie auf Distanz.
Fluchten in Andersonland sind aus Gründen der Andersonästhetik verlässlich
begrenzt. Daran ist die Kamera schuld. Was sie tut, ist dies: Sie schwenkt
ruckartig zur Seite. Sie fokussiert eine Szene, schwenkt, verharrt,
fokussiert eine andere Szene, schwenkt, verharrt. Das kann, wie zu Beginn,
wenn das Innere eines Hauses – Insassen inklusive – auf diese Weise
vermessen wird, eine Weile so gehen, nicht aber immer so weiter: Die Welt
in den Filmen von Anderson ist immer inwendig und gelangt an eine und sei
es noch so imaginäre Wand. Die Kamera schwenkt und stößt dann irgendwo an;
das wiederholt sich, die Wiederholung ist das strukturelle Moment, das
hinzukommt. Manchmal zoomt die Kamera auch, hinein oder hinaus, weil sie
aber auch das immer ruckartig tut, gilt auch für diesen Fall: Sie mustert
den Raum, eröffnet ihn nicht, wo immer sie hinschwenkt und hinzoomt, stößt
sie dann an oder würde es tun, und sei es oben am Himmel.
Das impliziert etwas für den Seinszustand von Andersonland: Was immer ins
Bild kommt, kann man sich nur als bereits Dagewesenes vorstellen. Man
vermutet, alles könnte unbewegt sein, bevor der Blick darauf fällt, und
dass es, in dem Moment, in dem die Kamera nicht mehr hinsieht, in den
Zustand des Unbelebten zurückfällt. Für die Dauer der jeweiligen
Einstellung ist diese Welt aber da, und zwar äußerst gründlich, nämlich
ganz wimmelbildhaft, liebevoll hingestellt, angemalt, ausgedacht. Die
Kamera – stets von Robert D. Yeoman geführt, der in anderen Filmen ganz
anders kann – belebt nach dieser Lesart also nicht, sondern wird nur zum
Anlass, das Unbewegte in Bewegung zu versetzen.
„Machen wir Inventur“, sagt Sam einmal. Inventur ist die Form, in der die
Welt in „Moonrise Kingdom“ und bei Anderson überhaupt ausgemessen wird. Es
wird geliebt, das Unglück ist groß, Gefahr droht, Sturm kommt auf, der
Fluss schwillt an, es gibt ungute Mächte. Doch letzten Endes ist alles, die
Liebe, das Unglück, die Gefahr, der Sturm, der Fluss, die ungute Macht
immer abzählbar endlich. Das Leben als die Erzählung vom
Aufeinandereinwirken der sehr dinghaften Menschen ist in diesen Filmen
immer nur Zwischenzustand. Die einen sagen, dass Anderson für keinen Moment
die Kontrolle über seine Welt aufgibt und dass dies die Filme zu
fundamentaler Harmlosigkeit verdammt. Man kann aber auch finden, dass sich
dieser künstlich belebten Inventarhaftigkeit ein Grundton nicht
aufzulösender Trauer verdankt. Für wie tief man das Vergnügen hält, das Wes
Andersons Spielfilme in jedem Falle bereiten, hängt sehr davon ab, wie man
sich zu dieser Welt im Gehäuse verhält.
## ■ „Moonrise Kingdom“. Regie: Wes Anderson. Mit Jared Gilman, Kara
Hayward, Bill Murray u. a. USA 2012, 97 Min.
23 May 2012
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Wes Anderson
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