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# taz.de -- Abfindung für Whistleblowing: Doch noch ein "wohlwollendes Zeugnis"
> Der Rechtsstreit zwischen einer Altenpflegerin und Vivantes endet mit
> einem Vergleich. Die Frau hatte auf Missstände aufmerksam macht und dafür
> die Kündigung erhalten.
Bild: Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch bespricht sich mit ihrem Anwalt.
Mehr als sieben Jahre hat der Rechtsstreit gedauert. Nervenaufreibend war
er für die Beteiligten, er ging bis nach Straßburg, und am Ende versucht
sich Martin Guth, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht, mit einem
Witz. „Wie Sie schon sagten, Frau Heinisch, jetzt sind Sie voneinander
geschieden.“ Die Auseinandersetzung zwischen Brigitte Heinisch,
Altenpflegerin, und der Vivantes GmbH, Pflegeheimbetreiber, endet mit einem
Vergleich, mit dem alle offenen Streitigkeiten beendet sind. 90.000 Euro
brutto Abfindung zahlt der Heimbetreiber an seine ehemalige Mitarbeiterin.
Heinisch, Jahrgang 1961, arbeitete seit 2000 in dem Vivantes-Pflegeheim.
Sie machte ihre Vorgesetzten immer wieder über Personalknappheit
aufmerksam, sie gab Überlastungsanzeigen ab, wollte nicht verantworten,
dass ungelernte Pflegehelfer Medikamente verteilen oder dass sich nachts
drei Kollegen um 130 schwer pflegebedürftige Bewohner kümmern müssen. Ihre
Bedenken wurden ihrer Schilderung nach nicht ernst genommen. Sie stellte
Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber und machte mit einem Flugblatt auf ihr
Anliegen aufmerksam, das im Heim verteilt wurde. Daraufhin wurde ihr
fristlos gekündigt. Begründung: Sie bringe Vivantes in „Misskredit“.
Das Arbeitsgericht sah die Kündigung als nicht gerechtfertigt an, das
Landesarbeitsgericht urteilte dann im Sinne ihres Arbeitgebers. Heinisch
sammelte einen „Solikreis“ um sich und klagte sich mit Unterstützung der
Gewerkschaft Ver.di durch die Instanzen. Ihr Kampf bekam große öffentliche
Beachtung, sie wurde zu einer der bekanntesten Whistleblower Deutschlands.
Doch das Bundesarbeitsgericht wollte sich nicht mit dem Fall beschäftigen,
auch eine Verfassungsbeschwerde führte zu nichts. Heinisch zog vor den
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Im September 2011
urteilte dieser, dass Heinisch zu Recht auf die Missstände aufmerksam
gemacht hat und dass ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung
missachtet wurde. Deutschland hatte dieses Recht nicht ausreichend
geschützt, so der Gerichtshof. Die Bundesrepublik musste Heinisch 15.000
Euro zahlen. Der Weg war frei für ihre Restitutionsklage, die nun
verhandelt wurde. Das Ziel: die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts von
2006, das die Kündigung als rechtmäßig erachtete, rückgängig zu machen.
Stundenlang diskutieren am Donnerstag die Prozessbeteiligten. Es geht vor
allem darum, ob der Inhalt Heinischs Strafanzeige gerechtfertigt war. Sie
hatte dort unter anderem von Betrug und Dokumentenfälschung gesprochen. Am
Ende spielt das keine Rolle mehr. Durch den Vergleich wird die fristlose
Kündigung in eine ordentliche, fristgerechte Kündigung aus betrieblichen
Gründen umgewandelt. Zwei weitere Kündigungen, die Anfang 2005 gegen
Heinisch ausgesprochen wurden, sind damit gegenstandslos.
Während der Verhandlung wird das spürbar, was Richter Guth zu Beginn ein
„emotional belastetes Verfahren“ nennt. Mehrfach redet sich Heinisch in
Rage, schimpft „Sie drohen mir!“ in Richtung Richter. Zweimal kommen ihr
die Tränen. Sie weiß, dass eine lange Fortsetzung des Rechtsstreits droht,
wenn es nicht zu einem Vergleich kommt. Der Richter hatte schon
durchblicken lassen, dass er im Falle einer Entscheidung Revision zulassen
würde, es wäre jahrelang weitergegangen. Im Herbst hatte Heinisch ein
Vergleichsangebot noch abgelehnt, 70.000 Euro hatte Vivantes geboten. Jetzt
sagt sie zu, lässt sich von Mitstreitern umarmen, sie sieht müde aus.
Auf die Frage von Journalisten, was sie nun zum Ausgang des Verfahrens
meine, sagt sie nur: „Die Sache ist erledigt.“ Ob sie zufrieden sei?
„Zufrieden wäre ich gewesen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit
gemacht hätte“, sagt Heinisch. Auf ihre Anzeige hin hatte diese damals
ermittelt, dann aber das Verfahren bald eingestellt.
Für Heinischs Anwalt Benedikt Hopmann ist das Ende des Rechtsstreits ein
„Riesenerfolg“, der durch den Vergleich nicht geschmälert werde. Von
Vivantes gibt es nur eine kurze Stellungnahme. Man habe das Ziel erreicht,
einen „umfassenden Rechtsfrieden herzustellen“. Ob auch eine moralische
Wiedergutmachung angedacht sei, dazu konnte eine Unternehmenssprecherin
nichts sagen.
Brigitte Heinisch erwartet nach wie vor eine Entschuldigung von der
Politik. Sie hat Briefe geschrieben an den Regierenden Bürgermeister Klaus
Wowereit (SPD) und andere Senatsmitglieder. Schließlich befindet sich die
Vivantes GmbH vollständig in Landesbesitz. Es kam keine Reaktion, kein Wort
des Bedauerns. Seit mehr als sieben Jahren arbeitet sie nun nicht mehr im
Pflegeheim von Vivantes. Aber erst jetzt – auch das ist Bestandteil des
Vergleichs – bekommt sie ein Arbeitszeugnis, „welches wohlwollend ist und
die Klägerin in ihrem weiteren beruflichen Fortkommen nicht behindert“.
24 May 2012
## AUTOREN
Sebastian Erb
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