# taz.de -- Machtwechsel im Kreml nicht aufzuhalten: Putins populistische Losun… | |
> Eine Studie prognostiziert das politische Aus für Putin und Medwedjew, so | |
> die These des wichtigen russischen Thinktanks ZSS. Das Szenario bleibt | |
> allerdings noch offen. | |
Bild: Putin sieht sich gern größer als er ist – das Volk aber mag Aktiviste… | |
MOSKAU taz | Wie sehr sich die russische Führung auch bemühen mag, Herr im | |
Hause zu bleiben – ihre Tage sind gezählt. Das meint zumindest das „Zentrum | |
für strategische Studien“ (ZSS) in einer neuen Untersuchung zu | |
„Gesellschaft und Macht unter Bedingungen der politischen Krise“. | |
Das Moskauer ZSS ist nicht irgendein Thinktank. Im Sommer 2011 sagte es als | |
einziges Institut die gesellschaftlichen Verwerfungen voraus, die seit den | |
Dumawahlen im Dezember Russlands Innenpolitik beherrschen: Unzufriedenheit | |
einer jungen und stetig wachsenden Mittelschicht trifft auf Unzufriedenheit | |
traditional orientierter Gruppen wie der Rentner, die der Regierungspartei | |
„Vereinigtes Russland“ ebenfalls ihre Unterstützung entziehen. | |
Daraus resultiert ein Vertrauensverlust gegenüber der Staatspartei, so | |
Michail Dmitrijew, Leiter des ZSS. Aus unterschiedlichen sozialen Schichten | |
der Gesellschaft sei eine kritische Masse entstanden, die das politische | |
System zu Veränderungen dränge. Die Machthaber versuchen indes, an den | |
Status quo vor der Krise anzuknüpfen, ohne auf die Belange der | |
opponierenden Kräfte einzugehen. Diese Realitätsverweigerung hat weit | |
reichende Folgen. Eine Veränderung ist nicht mehr aufzuhalten. Offen | |
bleibt, wie sich der Wandel vollzieht. | |
## Modernisierung setzt Dialogbereitschaft voraus | |
Eine „beschleunigte Modernisierung“ und das sogenannte Trägheitsszenario | |
gelten als weniger wahrscheinlich. „Modernisierung“ setzt Bereitschaft der | |
Herrschenden zum Dialog voraus, die nicht zu erkennen ist. Das | |
Trägheitsszenario geht von einem Abflauen der Proteste aus, was zurzeit | |
auch nicht zutrifft. Die Bereitschaft zu demonstrieren nimmt deutlich zu. | |
Ausschlaggebend ist der wachsende Protest in Moskau. Diese Bewegung konnte | |
sich bislang auch ohne Führungsfiguren selbst organisieren. Der Einfluss | |
reicht weiter, als ihre zahlenmäßige Stärke nahelegt. | |
Das ZSS hält den reaktionären Rückschlag und die radikale Transformation | |
für die wahrscheinlicheren Modelle. Für die reaktionäre Variante spricht | |
auch, dass die Eskalation der Gewalt begonnen hat. Nach diesem Modell | |
treffen Modernisierungsgegner aus der Protestbewegung auf deren Opponenten | |
im Machtapparat, die vorübergehend eine Koalition eingehen. Eine radikale | |
Transformation liegt ebenfalls nahe, hängt jedoch vom Ausmaß einer neuen | |
ökonomischen Krise ab. | |
## Alles läuft auf einen Machtwechsel hinaus | |
Alle Spielarten laufen auf einen Machtwechsel hinaus. Dazu tragen auch der | |
anstehende Generationswechsel und die stetig wachsende Mittelschicht bei. | |
Insgesamt sind die Bürger reifer, pragmatischer und realistischer geworden. | |
Populistische Losungen verfangen nicht mehr wie früher. Auch | |
nationalistische Ideologien sind in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig. | |
Damit bewege sich Russland auf Gesellschaften europäischen Zuschnitts zu, | |
meint Dmitrijew. | |
Probleme im Gesundheitswesen, in der Bildung, mit der persönlichen | |
Sicherheit und dem maroden Rechtssystem sowie Defizite der kommunalen | |
Infrastruktur sind Anliegen aller sozialen Gruppen, die das System Putin | |
bislang nicht lösen konnte. | |
## Aktivisten genießen Vertrauen | |
Das Vertrauen in die Politik ist so gering, dass selbst Versuche des Kreml, | |
„von oben“ eine neue modernisierte Staatspartei hochzuziehen, fehlschlagen | |
würden. Vertrauen genießen Aktivisten, die sich in der Region lokalen | |
Problemen „von unten“ widmen. Sie werden die nächste Politikergeneration | |
stellen. Instinktiv sind die Russen auf der Suche nach einem Politiker | |
neuen Typs, der vor allem in der Provinz Konturen annehmen dürfte. Warum | |
erhielt Wladimir Putin trotz allem noch an die 50 Prozent der Stimmen bei | |
der Präsidentenwahl? Die Wähler stimmten mangels einer annehmbaren | |
Alternative für ihn. Die Motivation war klar negativ. | |
30 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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