# taz.de -- Debatte Linkspartei: Was nie zusammenpasst | |
> Die Linkspartei ist ein Fall von Verbrauchertäuschung: Ihre Hälften | |
> trennen Gräben, die auch die neue Führung nicht zuschütten wird. Aber | |
> immerhin ist das die sympathischere Lösung. | |
Dass sich konservative Medien beinahe neugierig mit dem neuen Führungsduo | |
der Linkspartei zu befassen beginnen, kann die politische Formation, die | |
aus den Erbschaften der SED wie linksradikalen Zirkeln der früheren BRD | |
hervorgegangen ist, nicht beruhigen. Selbst wenn in der Welt deren | |
Leitjournalist Ulf Poschardt Katja Kipping ausführlich zu Wort kommen | |
lässt, sollte das in der Linkspartei nicht verstanden werden als: Na, geht | |
doch, die neuen Köpfe machen Frisur! | |
Tatsächlich spricht mehr dafür, dass beim Linkenparteitag in Göttingen | |
beide KandidatInnen nur aus Angst vor dem Untergang diesseits des Datums | |
der Bundestagswahlen gewählt wurden. Echte Macht hätten sie nur, wenn die | |
bislang antreibenden Figuren wie Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Sahra | |
Wagenknecht und Dietmar Bartsch plötzlich ins Exil gegangen wären – und | |
öffentlich künftig schweigen würden. Dies ist nicht zu erwarten. | |
Und deshalb wird auch der mediale Hunger auf Statements dieser vier | |
PolitikerInnen anhalten, der Hunger auf solche von Kipping oder Bernd | |
Riexinger dagegen eher karg ausfallen. Das war auch schon bei dem | |
bedauernswert hölzernen Klaus Ernst der Fall und nicht minder bei der | |
mitleiderregenden Gesine Lötzsch: der eine ein famoser Gewerkschafter, sie | |
eine prima Parlamentarierin im Bundestag ohne Ambitionen auf höchsten | |
Parteipodestplätze. | |
## Interessenpartei vs. Volkspartei | |
Was jedoch den früheren saarländischen Ministerpräsidenten, die | |
Theoretikerin des Ökonomischen, den Leitwolf aus SED-Vergangenheit wie den | |
aus Gorbatschow’scher Asche emporgestiegenen Zentristen eint, ist, dass sie | |
politisch immer schwergewichtiger, einflussreicher bleiben werden als jene, | |
die statt ihrer nun auf den Posten sitzen. | |
So werden wir, das Publikum, weiterhin vor allem dies realisieren: Der eine | |
Flügel steht, wie Gysi sagte, für eine „Interessenpolitik“, der andere f�… | |
das, was man das Dasein als „Volkspartei“ nennen könnte. Das in praktischer | |
Hinsicht zusammenzufantasieren funktioniert nur, glaubt man an etwas, was | |
„linkes Projekt“ genannt wird – eine idealistisch anmutende Konstruktion | |
voller Theorie, aber ohne Anbindung an das, was man für die praktische | |
Wirklichkeit des (All-)Tags halten kann. | |
Die eine Seite operiert aus einer Mentalität (vor allem) der Abgrenzung von | |
der SPD, die andere aus der des Kümmerns, des Bohrens dicker Bretter, des | |
Verantwortungsgefühls für das „große Ganze“. Die einen wollen rein bleib… | |
(„immer mit der SPD, sie muss nur werden wie wir“) und agieren ohne | |
kommunikativen Kontakt zum Mainstream, die anderen machen sich in | |
parlamentarischen Kontexten (überwiegend von Rostock bis Zwickau, Eisenach | |
bis Guben) nützlich, und sei es als Opposition, oft jedoch auf Posten und | |
in Ämtern – und insofern immer auch Teil des Mainstreams. | |
## Kein Projekt, nur verklebte Teile | |
Mit anderen Worten: Der Göttinger Parteitag samt der Personalentscheidung | |
für Kipping und Riexinger war eine Verbrauchertäuschung, eine | |
sympathischere als die vorige, zugegeben, aber sie verklebt die Teile, die | |
angeblich ein Projekt verkörpern, nur sinnlos. Beide Flügel trennt so gut | |
wie alles. Die einen träumen echt von einem Sozialismus und haben doch | |
keine Gefolgschaft über ihre Zirkel hinaus, die anderen tun das nur noch, | |
weil es eben mit zu ihrem Erbe gehört. In Wahrheit läuft die eine | |
(schwächere, „westliche“) Seite bekennenderweise über den Catwalk | |
politischer Egozentrik, der andere ist längst so sozialdemokratisch, wie | |
die bundesdeutsche Sozialdemokratie zuletzt in den späten sechziger Jahren | |
war. Eine Partei, die in Kleingartenvereinen, Wohnsiedlungen, | |
Bürgerinitiativen und Schulen verankert ist und in kommunalen wie | |
Landesparlamenten fleißig Gremien- und Kümmererarbeit leistet. | |
Die einen, kurz gesagt, formulieren ein Sollen, die anderen, wenn | |
überhaupt, ein Sein. Es passt nicht – und es wird nie passen. Die ehemalige | |
WASG kann nicht allein, die frühere PDS, verführt durch die Idee, mithilfe | |
der Lafontaine’schen Scharen im Bundestag zur echtesten Linken aller | |
deutschen Zeiten zu werden, könnte sehr wohl. Sie kann es schaffen, als | |
Post-DDR-Partei mitzuwirken, die andere kann es nur dann, wenn sie sich | |
auch auf die parlamentarischen Regeln einließe, die Kärrnerarbeit im | |
Kleinen, die Anschlussfähigkeit auf allen Ebenen erst ermöglicht. Wird sie | |
aber nicht tun! | |
Die Sozialdemokratisierung der Linkspartei im Osten des Landes ist | |
unumkehrbar – umkehrbar wäre sie nur, würde sich die Partei selbst | |
minoritär machen wollen. So bekloppt jedoch wird Gysi, ein Bodo Ramelow | |
oder Bartsch niemals sein. | |
## Bartsch als SPD-Auffrischung | |
Schade, dass die SPD als solche keinen Sinn für wirklich attraktive | |
Angebote an die Linkspartei im Osten hat. Für Politiker, die charismatisch, | |
im persönlichen Umgang wie öffentlich eher vom Kaliber einer Hannelore | |
Kraft sind, die mehr Atmosphäre verströmt, als es eine Andrea Nahles je | |
könnte. Das Personal, das in der Linkspartei auf dem Gebiet der früheren | |
DDR arbeitet, könnte für die Sozialdemokraten prima passen, ja sie | |
erfrischen – ohne es käme man doch niemals an die Union der Angela Merkel | |
mehr heran. Oder glaubt die SPD etwa, mit ihrer Troika, die Lafontaine so | |
eisig wie zutreffend als „Loser“ bezeichnet hat, erfolgreich sein zu | |
können? Geschenkt! Dieses Trio Bebel’scher Ärmelschonerei (plus Andrea | |
Nahles) gehört schon jetzt zu den Verlierern der nächsten Bundestagswahl. | |
Wie eine kluge Anwerbepolitik funktionieren könnte, das könnte die SPD in | |
ihren Annalen nachlesen. „Ad fontes!“, ließe sich sagen: Sucht in den | |
Quellen. Gustav Heinemann und Johannes Rau kamen aus einer anderen Partei | |
zu den Sozialdemokraten, sie machten nicht die Ochsentour durch die | |
abschleifenden Instanzen wie die Jusos. Diese Integration passte – dass nun | |
jüngst einer wie Bartsch trotz öffentlicher Einladung nicht wollte, kann | |
nur daran gelegen haben, dass man ihm etwas unter Niveau anbot. Hat das die | |
Partei der Linken, der früheren PDS, haben das die ernsthaftesten | |
(Demokratie-inspiriertesten) Vergangenheitsbewältiger, die die | |
Post-DDR-Geschichte hervorgebracht hat, im Osten aber nötig? | |
11 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Die Linke | |
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