# taz.de -- Bilderstürmer in Tunesien: Salafisten wüten gegen Kunst | |
> Immer öfter greifen radikale Islamisten zu Gewalt gegen alles, was ihnen | |
> nicht passt. Jetzt war eine Kunstausstellung Anlass zu Straßenschlachten | |
> in der Hauptstadt. | |
Bild: Polizisten gehen in Tunis mit Tränengas gegen Salafisten vor. | |
BERLIN taz | Radikale Islamisten haben sich in der Nacht zu Dienstag in | |
Tunis Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Zeitgleich und in | |
mehreren Vierteln der tunesischen Hauptstadt zündeten insgesamt über | |
tausend Salafisten Reifen an und warfen Brandsätze auf Sicherheitskräfte, | |
wie Reuters und AFP berichteten. Die Beamten setzten demnach in Reaktion | |
Tränengas ein und schossen in die Luft. | |
Nach Angaben des Innenministeriums wurden sieben Polizisten verletzt und 86 | |
Personen festgenommen. Augenzeugen zufolge griffen die Salafisten auch ein | |
Gerichts- und ein Polizeigebäude an. | |
Auslöser der Krawalle war eine Ausstellung in einem Vorort von Tunis, die | |
nach Ansicht der Salafisten „schockierend“ und „unanständig“ ist. Zwei | |
führende Islamisten riefen nach den Ausschreitungen für den kommenden | |
Freitag zu neuen Demonstrationen auf. | |
Die Ausstellung „Frühling der Kunst“ fand vom 2. bis 10. Juni im | |
Abdelia-Palast in La Marsa, einem Vorort von Tunis, statt. Am letzten Tag | |
regte sich laut [1][tunisia-live.net] ein Zuschauer über einige Bilder auf | |
und kam wenig später mit einem Anwalt wieder. | |
Sie drohten mit juristischen Maßnahmen, falls die Werke nicht bis 18 Uhr | |
abgehängt würden, und kündigten an, mit Verstärkung wiederzukommen. | |
Daraufhin mobilisierten die Künstler über Facebook etwa 200 Unterstützer. | |
Die Gegenseite rückte mit 15 Personen in der traditionellen weißen Kleidung | |
der Salafisten an. | |
Es kam zu einem verbalen Schlagabtausch, als die Künstler den Demonstranten | |
den Zugang zur Ausstellung verwehrten. Kurz darauf kam die Polizei und | |
löste die Versammlung auf. In der Nacht kehrten aber hunderte Salafisten | |
zurück und zerstörten mehrere Kunstwerke. | |
## Ameisen und Allah | |
Zu den inkriminierten Bildern gehört eines, auf dem Ameisen das Wort Allah | |
bilden. Andere zeigen Karikaturen von Mekka, einen religiösen Mann mit | |
langen Zähnen sowie einen weiblichen Akt. Tunesien ist das nordafrikanische | |
Land mit der liberalsten Tradition, aber das stört die Salafisten, die für | |
einen streng religiösen Staat eintreten. | |
Der Begriff Salafisten leitet sich von dem arabischen Wort Salaf | |
(„Altvordern“) ab. Einige von ihnen stehen al-Qaida nahe. Doch zahlreiche | |
Salafisten lehnen Gewalt ab und ziehen es vor, als Vorbild und durch | |
Überzeugung ihre Ideen zu verbreiten. | |
Während der tunesischen Revolution spielten sie, wie auch in Ägypten, keine | |
Rolle. Aber seit einiger Zeit machen sie immer häufiger von sich hören und | |
setzen die gemäßigt islamistisch geführte Regierung unter Druck. | |
## Ruf nach Scharia | |
Die Auseinandersetzungen in Tunis erfolgten, einen Tag nachdem | |
Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri die Tunesier zu einem Aufstand und der | |
Einführung des islamischen Rechts, der Scharia, aufgerufen hatte. | |
In den vergangenen Wochen kam es bereits mehrfach zu gewaltsamen Aktionen | |
der Salafisten. Sie zerstörten Bars und Geschäfte, die Alkohol verkaufen, | |
und setzten nach Festnahmen Polizeistationen in Brand. | |
Diese Vorfälle begannen in Sidi Bouzid, dem Geburtsort der tunesischen | |
Revolution, und griffen in der Folge auf drei Städte im Nordwesten über. | |
Gleichzeitig mehrten sich in den Medien Berichte über Angriffe auf | |
Kulturschaffende und Journalisten. | |
## Mehr Härte gefordert | |
In der liberalen Presse des Landes führte das zu einem Aufschrei der | |
Empörung und Vorwürfen an die Regierung, sie gehe nicht hart genug gegen | |
die Salafisten vor. | |
Einer der Kommentatoren regte sich auch darüber auf, dass Salafisten aus | |
anderen Ländern Einreisevisa für eine Konferenz am 20. Mai in der Stadt | |
Kairouan erhielten. Die Versammlung, die von der radikalen islamistischen | |
Gruppe Ansar al-Scharia ausgerichtet wurde, begann mit einer Darbietung von | |
Kampfsportarten als Symbol für den Dschihad. | |
Die Organisatoren hatten die Order ausgegeben, nicht mit Journalisten zu | |
sprechen und keine Parolen zu rufen. Doch bei einer Kundgebung vor den | |
Toren der Altstadt ertönten Rufe wie „Wir sind alle die Kinder von Osama | |
(bin Laden)“. Schätzungen zufolge nahmen zwischen 5.000 und 10.000 Männer | |
an der Konferenz teil. | |
Nach offiziellen Angaben werden inzwischen etwa 400 der schätzungsweise | |
5.000 Moscheen des Landes von radikalen Islamisten kontrolliert. In einigen | |
davon werden junge Leute aufgefordert, nach Syrien in den „Dschihad“ gegen | |
Baschar al-Assad zu ziehen. | |
12 Jun 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tunisia-live.net/ | |
## AUTOREN | |
Beate Seel | |
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