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# taz.de -- Zweiradmythos aus der Vergangenheit: Zurück in der Hölle
> Die Zeit der klammheimlichen Sympathie für Hells Angels, Bandidos und
> anderen Rockern ist vorbei. Der Mythos verblasst, übrig bleibt schmutzige
> Wirklichkeit.
Bild: Defekter Anachronismus in rot-gelb: Polizeibeamte während einer Razzia g…
Der erste Rocker, den wir erlebten, sah aus wie Marlon Brando und war ein
Getriebener zwischen Machogewalt und Liebessehnsucht. Genauso hatten wir
uns das vorgestellt: einen Engel aus der Hölle. Tief gefallen in das Böse,
und doch erlöst in Freiheit und Liebe.
In „The Wild One“ von Laszlo Benedek drückte er all das aus, was auch
späterhin unser Verhältnis zu den mehr oder weniger uniformierten
Motorradnomaden bestimmen sollten: diese Widersprüchlichkeit zwischen
Angst, Faszination, Neid und Erlösungssucht. Die No-Nonsense-Version des
Bürgerschrecks. Rocker waren dann, im besten Fall, ein Spiegelbild der
Hippies, nur waren sie „proletarisch“, gewalttätig und rechts.
In den siebziger Jahren liebten Menschen mit etwas derberem Geschmack die
Rockerfilme, wie sie bei Roger Corman gedreht wurden, hierzulande liefen
sie in den Kinos der Bahnhofsgegenden (so hieß das damals). Rocker waren,
was ihre amerikanische Spielart anbelangt, die morbiden Nachfahren des
einsamen Cowboys. Motorradkonvois unter dem Sonnenuntergang auf dem
Highway, das war die nächste Version des Glory-Hallelujah-Ritts über den
Hügel im Western.
Ein Trick war, dass es um Kämpfe zwischen guten und bösen Rockern ging, ein
anderer, wie im Western, um den Kampf des Individualisten gegen das
korrupte Kollektiv. Und die Musik dazu war dreckig und laut.
## Outlaws auf Motorrädern
Und dann kam „Easy Rider“, sozusagen der Spätwestern der Rockerfilme. Die
Outlaws auf Motorrädern, Dennis Hopper und Peter Fonda, waren nun radikale
Einzelgänger und Zivilisationsflüchtlinge geworden, das perfekte Amalgam
von Rocker und Hippie.
Der (praktisch eher imaginäre) Pakt zwischen Hippies und Rockern wurde
ziemlich endgültig gebrochen durch die mörderische Tat eines
Hells-Angels-Manns beim Konzert der Rolling Stones in Altamont im Dezember
1969. Der Tod des (afroamerikanischen) Meredith Hunter beendete eine
Illusion über einen Schmelztopf der Gegenkulturen – unabhängig davon, dass
die „Schuldfrage“ am Ende nicht gar so einfach zu klären war.
In England war in den Jahren zuvor die ständige Auseinandersetzung zwischen
Mods und Rockers, die The Who in „Quadrophenia“ beschrieben, ein Abbild des
Klassenkampfs: Mittelklassekids auf aufgeputzten Rollern gegen die Prolls
auf ihren massigen Motorrädern.
Die Mods produzierten die besseren Bilder und hatten die bessere Musik, und
sie hießen so nicht wegen ihrer Modischkeit, sondern als Kürzel für
„modernists“: Tatsächlich ging es nicht zuletzt darum, nämlich um die
Modernisierung des Zustands Jugend.
Rocker, so „rebellisch“ sie auch sein mochten, waren zugleich immer eine
Kraft der Vergangenheit, der Reaktion und Beharrlichkeit: sexistisch,
rassistisch, homophob und auf eine verquere Art auch nationalistisch, oder,
wie im Gebrauch der Südstaatenfahne, als Anhänger einer „alten“
Gesellschaftsform kenntlich. Der Rocker war das Bewegungsbild einer
eindeutigen alten Männlichkeit, der Mod dagegen Bewegungsbild einer
androgynen, mild queeren Heterotopie.
## Wie die Kaninchenzüchter
Und in Deutschland? Sowohl die Outlaw-Mythologie aus den USA als auch die
Working-Class-Rebel-Legende aus Großbritannien konnten hier jenseits des
Kinos so richtig nicht greifen. Hier etablierte sich eine sehr, sehr
deutsche Fantasie von einem mehr oder weniger harmlosen Zusammenschluss
motorradbegeisterter Herren verschiedenen Alters, deren Vereinsmeierei sich
kaum von der von Kaninchenzüchtern unterschied. Der Rocker sollte ein
kurioses Freizeitphänomen sein, ein Kerl, der seine Maschine und die
Freiheit der Landstraße liebte, nützlich für die Zweiradindustrie.
Während auch hier nach und nach ruchbar wurde, dass es die motorisierten
Vereine nicht bei Auseinandersetzungen untereinander und nicht beim
Dosenbier bewenden ließen, verschwanden sie mehr oder weniger auch vom
Schirm der populären Mythologie. Immerhin waren sie noch ein Phänomen
radikaler Analogie im anbrechenden Zeitalter des Digitalen. Eine der vielen
Formen, „Authentizität“ zurückzugewinnen. Ein Rocker mag ein gefährliches
Arschloch sein, aber er sei eben, mochte man glauben, ehrlich ein
gefährliches Arschloch.
## Ein defekter Anachronismus
Motorradfahren an sich war eine Geste des Widerstands, so schien es eine
Weile. Und zwischen „zivilen“ Motorradklubs und Formen und Subformen der
Motorradrocker blieb eine Zwischenzone. Nach der Wiederaufbauphase gönnte
man sich in Deutschland eben gewisse Refugien von „Freiheit“; gemeinsames
Motorradfahren war eines dieser Ventile.
So wurden Rocker weniger als die Kerle wahrgenommen, die im
„Rotlichtmilieu“ die Drecksarbeit erledigen, als vielmehr als Extreme einer
organisierten Bewegung von Freizeit und Freiheit. Dazu gab es ja auch
herzallerliebste Bilder: Babys in Rockerkluft, Rockerfamilien beim
Picknick, alte Männer mit Bierbäuchen und Bärten, die keiner Fliege was
zuleide tun konnten.
Die Entmythologisierung, ja Trivialisierung medialer Rockerbilder kam zäh
und langsam. Noch die tribalistischen Kämpfe zwischen einzelnen
Organisationen („Bandidos“, man bedenke!) hatten ja etwas kaputt
Heroisches. Rocker waren immer noch besser als gar kein Anarchismus, nun
ja, jedenfalls solange man nicht direkt mit ihnen zu tun bekam.
Dass der Staat nun etwas entschlossener gegen die Rocker vorgeht, die als
Teil der organisierten und manchmal auch desorganisierten Kriminalität
identifiziert werden, hat wohl nicht nur mit der Offensichtlichkeit ihrer
Verstrickungen zu tun, sondern auch mit dem Verblassen des Mythos, oder,
noch genauer gesagt: mit der sozialen Reorganisation der Klassen.
Rocker taugen nicht mehr als Projektionsfläche für Freiheitsträume. Auch
vom „nomadischen“ Mythos ist so gut wie nichts geblieben, stattdessen
„Revierkämpfe“, territoriale Enge, sogar so etwas wie eine
„Entmotorisierung“.
Aus dem kaputten Anarchismus ist ein nicht minder defekter Anachronismus
geworden. Und die klammheimliche Sympathie des Mainstreams schwindet mit
dem Outlaw-Mythos. Was bleibt, ist schmutzige Wirklichkeit. Als hätten wir
davon nicht genug!
18 Jun 2012
## AUTOREN
Georg Seesslen
## TAGS
Hells Angels
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