# taz.de -- Erfolgreiche Klage gegen Bundesregierung: Eurorettung darf kein Geh… | |
> Das Verfassungsgericht hat entschieden: Die Bundesregierung hat ihre | |
> Pflichten verletzt und den Bundestag über den Euro-Rettungsschirm | |
> schlecht informiert. | |
Bild: Die Bundesregierung muss ihre geheime Schatztruhe öffnen. | |
Der Bundestag muss über völkerrechtliche Verträge rund um die EU genauso | |
gut informiert werden wie über die EU-Politik selbst. Das entschied das | |
Bundesverfassungsgericht am Dienstag. Zugleich rüffelte das Gericht die | |
Bundesregierung, sie habe bei der Aushandlung des dauerhaften | |
Euro-Rettungsschirms (ESM) die Rechte des Bundestags verletzt. Die Richter | |
gaben damit einer Klage der Grünen-Bundestagsfraktion statt. | |
Seit 1993 steht im Grundgesetz, dass die Bundesregierung in | |
„Angelegenheiten der Europäischen Union“ den Bundestag und den Bundesrat | |
„umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ unterrichten muss (Artikel | |
23). Das gilt eindeutig für die Verhandlung über EU-Verträge und EU-Gesetze | |
(Verordnungen und Richtlinien). Der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM | |
(Europäischer Stabilitätsmechanismus) ist formal jedoch kein EU-Projekt. | |
Er wurde im Januar 2012 von den 17 Eurostaaten per völkerrechtlichem | |
Vertrag neben der EU beschlossen. Im Vorfeld informierte die | |
Bundesregierung den Bundestag denn auch nur lückenhaft, da es ja nicht um | |
EU-Recht gehe. Die Abgeordneten mussten sich Informationen teils aus | |
Österreich holen, um bei den Verhandlungen auf dem Laufenden zu bleiben. | |
## „Ergänzungs- und Näheverhältnis“ | |
Damit hat die Bundesregierung ihre Pflichten verletzt, entschied jetzt das | |
Bundesverfassungsgericht. Auch über die Verhandlungen des | |
ESM-Rettungsschirms hätte die Regierung umfassend und frühestmöglich | |
informieren müssen. Denn auch völkerrechtliche Verträge, die in einem | |
„Ergänzungs- oder Näheverhältnis“ zum EU-Recht stehen, gehören zu den | |
„EU-Angelegenheiten“. Das stellten die Verfassungsrichter jetzt klar – in | |
einem grundsätzlichen Urteil. | |
Dass es sich beim ESM-Konflikt um keinen Einzelfall handelt, zeigt eine | |
zweite Rüge der Grünen, die gestern ebenfalls entschieden wurde. Auch beim | |
sogenannten Euro-Plus-Pakt vom März 2011 hat die Regierung das Parlament | |
nicht korrekt informiert. Zwar ist der Vertrag, der Bekenntnisse zur | |
Koordinierung der Wirtschaftspolitik enthält, längst nicht so wichtig wie | |
der ESM-Vertrag. | |
Doch ging die Regierung hier besonders dreist vor. Sie lancierte | |
Informationen über eine deutsch-französische Initiative an das | |
Nachrichtenmagazin Spiegel und stellte das Projekt auch den anderen | |
EU-Staaten vor, nur die Bundestagsabgeordneten bekamen den Vertragsentwurf | |
erst Wochen später zu sehen – am Tag, als der Pakt von 23 EU-Staaten | |
beschlossen wurde. | |
## Zahlreiche Zweifelsfragen | |
Das Bundesverfassungsgericht nutzte das Urteil, um vorsorglich auch | |
zahlreiche Zweifelsfragen der Parlamentsbeteiligung zu klären – und zwar | |
fast durchweg parlamentsfreundlich. Das Urteil hat daher auch positive | |
Auswirkungen auf die Informationslage bei echten EU-Vorhaben. Für den | |
Rettungsschirm ESM hat das Urteil aber keine Folgen. Die Grünen wollten das | |
Projekt, das sie gutheißen, auch gar nicht torpedieren. Ihnen ging es nur | |
um die Parlamentsrechte. | |
Der Bundestag wird voraussichtlich am 29. Juni über den dauerhaften | |
Rettungsschirm abstimmen, der dann den vorläufigen Rettungsschirm EFSF | |
ablöst. Der ESM ist wesentlich größer dimensioniert und soll mit 700 | |
Milliarden Euro Kapital ausgestattet werden. Er kann verschuldeten | |
EU-Staaten günstige Kredite geben, um sie von den immensen Zinsen der | |
Finanzmärkte unabhängig zu machen. Als Gegenleistung müssen die | |
Hilfsempfänger Sparpolitik und Strukturreformen versprechen. | |
Inhaltlich hat das Bundesverfassungsgericht zum ESM noch nicht Stellung | |
bezogen. Doch ist mit inhaltlichen Klagen von euroskeptischen Bürgern | |
sicher zu rechnen. Die Risiken für den Bundeshaushalt seien untragbar hoch, | |
lautet das zentrale Argument. Vor der Zustimmung des Bundestags kann | |
Karlsruhe aber nicht angerufen werden. | |
19 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
CSU | |
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