# taz.de -- Eurokrise bringt Investoren nach Berlin: Aufwärts, immer weiter | |
> Das Immobiliengeschäft in Berlin boomt – international. Das Nachsehen | |
> haben die Einheimischen, die bei Auktionen um Wohnraum längst nicht mehr | |
> mithalten können. | |
Bild: Nicht nur die Berliner Currywurst ist beliebt. | |
BERLIN taz | Die Ersten sind bereits da, eine halbe Stunde zu früh. Durch | |
die hohen Fenster fällt fahles Licht in den Korridor im ersten Stock des | |
Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg. Neben der verschlossenen Tür zu Saal | |
I/1140 hocken drei Frauen nebeneinander; eine davon blättert rastlos in | |
einer Boulevardzeitung. Ein junges Pärchen läuft schweigend den Gang auf | |
und ab. Um zehn Uhr wird hier die Zwangsversteigerung einer Wohnung in | |
Friedrichshain beginnen, 65 Quadratmeter, ein Altbau mit Holzdielen. | |
Ein drahtiger Mann, mit gebräunter Haut und beigefarbenem Anzug, steht | |
etwas abseits, neben sich ein Rollköfferchen. „Ich bin seit acht Jahren in | |
Berlin tätig und kann nur bestätigen: Es geht aufwärts, immer weiter | |
aufwärts“, sagt Herbert Hartl, ein Investor aus Wien. Wohnungen in den | |
zentralen Stadtvierteln sind heute zwar rund 20 Prozent teurer als noch vor | |
wenigen Jahren. | |
Doch die Preise sind nach wie vor nur ein Bruchteil von dem, was in anderen | |
europäischen Metropolen als normal gilt: 1.800 Euro zahlen Käufer für einen | |
Quadratmeter in Berlin; in Paris sind es 8.000, in Wien 6.000. Hartl | |
gehören bereits 80 Wohnungen in Berlin, doch er ist ständig auf der Suche | |
nach weiteren Objekten, vor allem in der Osthälfte der Stadt, in | |
Friedrichshain oder Pankow, aber auch weiter draußen in Lichtenberg, „da | |
ist es noch richtig günstig und zieht gerade sehr stark an“. | |
Was sich an diesem Vormittag im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg abspielt, | |
vermittelt einen Eindruck von dem Immobilienboom, der Berlin erfasst hat. | |
Allein 2011 wurden 11 Milliarden Euro beim Handel mit Häusern und | |
Grundstücken umgesetzt, über ein Viertel mehr als im Vorjahr. Es ist ein | |
Aufschwung, mit dem niemand gerechnet hatte: „Berlin ist seit langer Zeit | |
ein regelrechtes schwarzes Loch für Investoren und ein Albtraum für | |
Hausbesitzer“, schrieb die New York Times im April 2008. Wenig später | |
setzte die Trendwende ein. „Es gibt in Teilbereichen von Berlin erhebliche | |
Wertsteigerungen“, sagt André Adami, Niederlassungsleiter des | |
Immobilienanalysehauses Bulwien Gesa, „selbst wo man denken sollte, da wird | |
die Luft langsam dünn, geht die Entwicklung weiter.“ | |
## Eurokrise als Triebmotor | |
André Adami eilt in langen Schritten durch die spärlich möblierten | |
Büroräume in einer ruhigen Seitenstraße nahe der Spree. Er lässt sich auf | |
einen Stuhl im Besprechungszimmer sinken und überlegt kurz, wie er anfangen | |
soll. Der Fachmann erinnert sich gut daran, dass alles einmal anders war, | |
dass in Berlin die Wohnungen leer standen und die Preise stagnierten. Vor | |
etwa vier Jahren begannen die Veränderungen: Berlin wurde zur hippen Party- | |
und Kulturmetropole. Zugleich erwies sich ausgerechnet die Eurokrise als | |
Triebmotor des Immobilienbooms. „Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes | |
Land“, erklärt Adami. „Dadurch ist Berlin international interessant; vor | |
allem auch für Südeuropäer, die ihr Geld in Sicherheit bringen wollen.“ | |
Ganz in der Nähe, zwischen Jannowitzbrücke und Elsenbrücke, nimmt eines der | |
größten Investorenprojekte Berlins allmählich Gestalt an: Auf 3,5 | |
Kilometern entlang der Spree entsteht das neue Viertel Mediaspree. Vor | |
allem Firmen der Kreativbranche sollen sich auf dem Areal zwischen | |
Friedrichshain und Kreuzberg ansiedeln. Wie alles einmal aussehen wird, ist | |
noch nicht abzusehen; im oberen Bereich werfen Kräne ihre Schatten über das | |
hohe Gras der Brachflächen. Weiter unten, am Osthafen, ist die Entwicklung | |
weiter: Der Musikkonzern Universal hat im einstigen Eierkühlhaus sein | |
Quartier, MTV sendet aus einer sanierten Lagerhalle. | |
Die Berliner Hafengesellschaft Behala begann bereits kurz nach der Wende | |
mit dem Verkauf der Grundstücke am Osthafen. „Damals“, meint | |
Vertriebsleiter Michael Reimann, „hätte ich mir nicht vorstellen können, | |
dass sich dort einmal so klangvolle Namen ansiedeln würden.“ Er arbeitet am | |
anderen Ende der Stadt, am Westhafen in Moabit. Im Wasser spiegelt sich der | |
Turm des Behala-Verwaltungssitzes, eines 20er-Jahre-Baus aus roten | |
Ziegelsteinen. | |
Michael Reimann faltet seine Hände auf der Glasplatte des Konferenztisches | |
vor ihm. Inzwischen sind alle Behala-Grundstücke verkauft, bis auf fünf | |
Parzellen, die mit Vorverträgen belegt sind. „Berlin ist noch immer | |
unterbewertet“, sagt er, „wir erleben eine Nachholentwicklung, die sehr | |
rasant verläuft.“ Auch die Proteste haben nachgelassen; die Initiative | |
„Mediaspree versenken“ scheint an Kraft verloren zu haben. Über Jahre tobte | |
an der Spree ein Streit, bei dem es um mehr ging als um das Flussufer; es | |
ging um den Konflikt zwischen denen, die vom wirtschaftlichen Potenzial der | |
Weltstadt profitieren wollen, und denen, die den Ausverkauf ihrer Kieze | |
fürchten. | |
## In 5.000er-Schritten | |
Um Punkt zehn Uhr schließt die Rechtspflegerin im Amtsgericht den Saal | |
I/1140 auf. Etwa 30 Interessenten verteilen sich auf abgeschabten | |
Holzbänken. Vorne packt ein Mann im Trenchcoat einen Apple-Laptop aus; | |
etwas weiter hinten tuscheln zwei in einer osteuropäischen Sprache. Die | |
Rechtspflegerin liest mit monotoner Stimme Paragrafen vor. Dann geht es | |
los, mit 28.000 Euro. 29.000. 30.000. Eine junge Frau schreibt Stichpunkte | |
in ihr Notizbuch. „Ich will ausziehen, und meine Mutter hat Geld | |
zurückgelegt“, sagt sie. Die 26-jährige Studentin will eine Altbauwohnung | |
kaufen, „aber nicht so was Hochgestyltes mit Maklerprovision.“ Sie hofft | |
auf ein Schnäppchen, doch vier erfolglose Versteigerungen hat sie bereits | |
hinter sich. Diesmal ist der Verkehrswert von 56.000 Euro nach 25 Minuten | |
überschritten. Dann geht es in 5.000er-Schritten weiter. | |
Es ist schwer geworden, in Szenevierteln wie Kreuzberg oder Friedrichshain | |
noch etwas zu finden; sie zählen zu den begehrtesten Vierteln der Stadt. | |
„Zu den gebeuteltsten“, ruft Franz Schulz, „wir sind zu einer Goldgrube f… | |
Immobilienspekulanten geworden!“ Der Bürgermeister von | |
Friedrichshain-Kreuzberg sitzt in seinem kargen Büro über einer | |
Einkaufspassage. Sein Bezirk führt die Berliner Preisstatistiken bei | |
Neuvermietungen mittlerweile an; 8,92 Euro pro Quadratmeter wird hier im | |
Schnitt gezahlt. „Wir erkennen deutliche Signale von sozialer Verdrängung“, | |
sagt Schulz. Doch Berlins Politiker sind gespalten: Während Franz Schulz | |
Warnzeichen für eine Ghettoisierung der Stadt erkennt, sieht Berlins | |
Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit Indizien, dass die wirtschaftliche | |
Entwicklung Berlins in Gang kommt. | |
Ein paar Kilometer weiter nördlich, in Prenzlauer Berg, lässt sich erahnen, | |
was Friedrichshain bevorstehen könnte: Seit der Wende sind vier von fünf | |
Bewohnern weggezogen. Auf dem Bordsteig der Zehdenicker Straße wühlen | |
Bagger im Erdreich; dahinter ragt eine perlgraue Fassade in die Höhe, aus | |
der scharfkantige Aluminiumfensterrahmen hervorstechen. Die „Choriner Höfe“ | |
sind fast fertig; das Projekt der Entwicklungsgesellschaft Diamona & | |
Harnisch umfasst neun Häuser mit 128 Eigentumswohnungen für gehobene | |
Ansprüche. Durch ein Portal geht es in einen Innenhof, ringsum erstrecken | |
sich Terrassen, Erker, Glasfassaden. | |
## „So ist Berlin“ | |
Birgit Krauß, für die Vermarktung zuständig, wartet in der Musterwohnung. | |
Eine schlanke Besucherin mit stahlgrauem Bob und Rucksack tritt herein. Sie | |
wirft kritische Blicke durch das weitläufige Wohnzimmer, über das | |
honigbraune Parkett und die offene Küche. „Sind die Fenster tatsächlich | |
2,80 Meter hoch?“, fragt sie. „Nein, das gilt für die Deckenhöhe, die | |
Fenster sind etwas kleiner.“ Die Frau nickt. „Trotzdem, schön hoch“, sagt | |
sie, nimmt eine Visitenkarte und geht. Birgit Krauß bleibt noch eine Weile | |
am Fenster stehen. Gegenüber unterbricht die fleckige Rückwand eines | |
unsanierten Altbaus das makellose Panorama aus Hellgrau- und | |
Sandbraun-Nuancen. Ab und an fragen Interessenten, ob das so bleiben soll. | |
Dann lächelt Birgit Krauß und sagt: „So ist Berlin.“ | |
Zwölf Wohnungen sind noch zu haben, darunter die Musterwohnung, 161 | |
Quadratmeter für 566.000 Euro. Die Käufer kommen aus München, Madrid oder | |
Berlin selbst, sie suchen ein Zuhause oder einen Zweitwohnsitz. Insgesamt | |
sind bei Diamona & Harnisch derzeit vier Projekte in Arbeit, zwei wurden | |
vor kurzem fertiggestellt. Die Nachfrage, meint Birgit Krauß, bereitet dem | |
Unternehmen keinerlei Sorge. „Wir würden gerne noch mehr machen“, sagt sie, | |
„allerdings suchen wir Standorte, und der Markt wird immer enger.“ Oft | |
lägen die Grundstückspreise inzwischen so hoch, dass sich Bauvorhaben nicht | |
mehr rentieren. | |
Auch im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ist die Schmerzgrenze irgendwann | |
erreicht. 65.000, ruft ein Mann im Wollpullover, 72.000 der Investor mit | |
Trenchcoat, 75.000 neben ihm Heribert Hartl. Bei 90.000 gerät der Prozess | |
ins Stocken; die Gebote kommen nur noch zögerlich. Dann plötzlich erhöht | |
eine Italienerin ganz hinten auf 92.000. „92.000 zum Ersten, zum Zweiten | |
und zum Dritten“, sagt die Rechtspflegerin gedehnt. Heribert Hartl zuckt | |
die Schultern und greift seinen Koffer. Die Studentin schüttelt den Kopf. | |
„Irrsinn, was die Leute zahlen“, murmelt sie im Gehen. | |
22 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
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