# taz.de -- Letztes Plädoyer im Becker-Prozess: Freispruch für Ex-RAFlerin ge… | |
> Die Verteidigung der ehemaligen RAF-Terroristin Verena Becker fordert | |
> einen Freispruch. Es sei nicht bewiesen, dass sie an dem Attentat auf | |
> Siegfried Buback beteiligt war. | |
Bild: „Vielen Dank.“ Mehr sagte Verena Becker – hier mit ihrem Anwalt –… | |
STUTTGART taz | Die Verteidigung von Verena Becker beantragte Freispruch. | |
Es sei nicht bewiesen, dass Becker 1977 am tödlichen RAF-Attentat auf | |
Generalbundesanwalts Siegfried Buback in strafbarer Weise beteiligt war. | |
Die Bundesanwaltschaft hatte vor knapp zwei Wochen eine Haftstrafe von vier | |
Jahren sechs Monaten wegen Beihilfe zum Mord gefordert. Becker sei bei der | |
RAF-internen Beschlussfassung dabei gewesen und habe sich besonders | |
vehement für die Aktion ausgesprochen. | |
Im Mai hatte Becker jedoch ausgesagt, sie sei beim entscheidenden Treffen | |
in Holland früher gegangen. „Das konnte nicht widerlegt werden“, erklärte | |
ihr Anwalt Walter Venedey in seinem Schlussplädoyer. Auch die Annahme der | |
Bundesanwaltschaft, dass der Anschlag schon einige Monate zuvor bei einem | |
RAF-Treffen im Harz fertig geplant war, wies Venedey zurück. Die bei den | |
kurz darauf verhafteten RAF-Mitgliedern Siegfried Haag und Roland Mayer | |
gefundenen Papiere seien nicht eindeutig. | |
Auch die Prämisse der Bundesanwaltschaft, dass bei der RAF alle Morde | |
kollektiv beschlossen wurden – das heißt im Konsens aller Mitglieder – wies | |
Venedey zurück. Es gebe auch Aussagen von ehemaligen RAF-Mitgliedern wie | |
Silke Maier-Witt, die das bestritten. | |
Die Bundesanwaltschaft hatte Verena Becker eine herausgehobene Position in | |
der RAF unterstellt. Dafür gebe es aber keine Belege, so Venedey. Die im | |
Prozess aussagebereiten ehemaligen RAF-Mitglieder hatten oft nur unklare | |
Erinnerungen an Beckers damaliges Verhalten. Schon das spreche gegen eine | |
besonders wichtige Rolle der heute 59-Jährigen. | |
## Boock neige noch heute zum Lügen | |
Dass sich Becker vehement für das Attentat eingesetzt habe, entnahm die | |
Bundesanwaltschaft im wesentlichen Aussagen von Ex-RAFler Peter-Jürgen | |
Boock, unter anderem in einem Fernseh-Interview. Venedey und sein Co-Anwalt | |
Hans Wolfgang Euler stellten daher die Glaubwürdigkeit von Boock | |
nachdrücklich in Frage. Er neige auch heute noch zum Lügen, seine Aussagen | |
seien widersprüchlich und unzuverlässig. Dann machte sich aber auch Euler | |
die Vielfältigkeit von Boocks Aussagen zunutze: Im Prozess habe Boock | |
ausgesagt, dass sich Becker in den Diskussionen um den Buback-Mord „nicht | |
mit Beiträgen hervorgetan“ habe. | |
Ausführlich kritisierte Euler die Beweisführung der Bundesanwaltschaft. In | |
ihrer Anklage, die ursprünglich auf Mittäterschaft lautete, war Becker auch | |
vorgeworfen worden, dass sie am Tag vor dem Anschlag half, den Tatort in | |
Karlsruhe auszukundschaften. Becker aber versicherte, sie sei zu der Zeit | |
im Irak gewesen. Die Zeugin, auf die sich die Anklage stützte, entpuppte | |
sich im Prozess als unglaubwürdig. Vermutlich war sie nur an der damaligen | |
Belohnung von 200.000 Mark interessiert. „Die Bundesanwaltschaft hat | |
versäumt, dies rechtzeitig zu prüfen“, monierte Euler. | |
Als echten Tatbeitrag Beckers hatte die Bundesanwaltschaft auch erwähnt, | |
dass Becker nach dem Mord nachweislich an der Verschickung des | |
Bekennerschreibens beteiligt war. An einigen Briefumschlägen fanden sich | |
DNA-Spuren der Angeklagten. Becker hatte die Teilnahme in ihrer Aussage vom | |
Mai auch bestätigt. Darauf gingen ihre Anwälte im Schlussplädoyer aber gar | |
nicht ein. | |
## „Ganz eigene Form der Reue“ | |
Venedey betonte nachdrücklich, dass Becker sich schon Mitte der 80er-Jahre | |
von der RAF gelöst hatte. Seitdem sei sie einen „geradlinigen Weg“ | |
gegangen, sie habe sich deshalb auch dem Verfahren gestellt und nie | |
versucht, ihre schwere Rheuma-Krankheit zu instrumentalisieren, um sich dem | |
Prozess zu entziehen. Becker habe eine „ganz eigene Form der Abkehr und | |
Reue“ gefunden, so der Anwalt, der auf schriftliche Reflektionen der | |
ausgebildeten Heilpraktikerin verwies. Auf einem beschlagnahmten | |
Spiralblock hatte sie geschrieben: „Ich fühle mich nicht schuldig, aber | |
verantwortlich.“ Sollte es zu einer Verurteilung kommen, könnte derartiges | |
für die Strafzumessung wichtig sein. Die Ankläger hatten Becker | |
vorgeworfen, dass sie im Prozess keine Reue zeigte. | |
Dass Becker ab 2007 wieder Kontakt zu ehemaligen RAF-Mitgliedern wie | |
Brigitte Mohnhaupt aufgenommen hatte, habe nicht dem Ziel gedient, eine | |
eigene Tatbeteiligung zu vertuschen, so die Anwälte. Vielmehr reagierte sie | |
damit auf einen Spiegel-Bericht vom April 2007. Damals war bekannt | |
geworden, dass Becker Anfang der 80er-Jahre beim Verfassungsschutz ihren | |
RAF-Kollegen Stefan Wisniewski als Schützen beim Buback-Attentat benannt | |
hatte. Sie habe nun ihren ehemaligen Kampfgenossen versichern wollen, dass | |
sie in einem möglichen Ermittlungsverfahren niemand belasten werde. | |
Dem Nebenkläger Michael Buback, der immer noch glaubt, dass Becker seinen | |
Vater erschossen hat, warf Venedey „Flucht aus der Realität“ vor. Die | |
Beweisaufnahme habe eindeutig ergeben, dass Becker am 7. April 1977 nicht | |
als Beifahrerin auf dem Tatmotorrad gesessen hatte. Die Verteidiger | |
schlossen sich hier ganz der Darstellung der Bundesanwaltschaft an. | |
## „Vielen Dank“ | |
Venedey attackierte auch Journalisten, die Bubacks Verschwörungstheorien | |
einer angeblich „schützenden Hand“ über Becker immer wieder aufgreifen. | |
Bubacks Flucht vor der Wirklichkeit werde so lange anhalten wie Medien, die | |
vor allem an „Skandalen und Randale“ interessiert sind, ihn dabei | |
unterstützen. Er appelierte an die Journalisten künftig die | |
Persönlichkeitsrechte Beckers besser zu respektieren. | |
Die 59-jährige Angeklagte hatte am Dienstag noch die Möglichkeit zu einem | |
„letzten Wort“. Sie sagte auf die Frage des Vorsitzenden Richters Herrmann | |
Wieland aber nur: „Vielen Dank.“ | |
Das Oberlandesgericht Stuttgart wird sein Urteil am 6. Juli verkünden. | |
Da Becker 1977 wegen einer Schießerei bei ihrer Festnahme schon einmal zu | |
lebenslanger Haft verurteilt wurde, müsste im Falle einer neuen | |
Verurteilung nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet werden. Becker käme | |
dann möglicherweise mit einer Bewährungsstrafe davon. Nach Ansicht der | |
Bundesanwaltschaft würden von den beantragten viereinhalb Jahren | |
Freiheitsstrafe aber nur zwei Jahre als verbüßt gelten. Die verbleibenden | |
zweieinhalb Jahre könnten nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. | |
Beckers Anwälte forderten im Falle eines Freispruchs dagegen | |
Haftentschädigung für viereinhalb Monate Untersuchungshaft von August bis | |
Dezember 2009. Während des Prozesses lebte Verena Becker in ihrem gewohnten | |
Umfeld in Berlin und flog nur zu den Verhandlungstagen nach Stuttgart. | |
26 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
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