# taz.de -- Hamburger Boxclub wird 90: "Die Heizung waren wir" | |
> Der Hamburger Box-Club Heros wird in diesem Jahr 90 Jahre alt. Die beiden | |
> Boxer Klaus Bischof und Herbert Offermanns erinnern sich, wie der Club | |
> die 1920er-Jahre und den Nationalsozialismus überstand. Und welche | |
> Meister er danach hervorbrachte | |
Bild: Stramme Burschen: Vor 90 Jahren wurde der BC Heros gegründet. | |
HAMBURG taz | „Auch tot“, sagt Klaus Bischof, 73, und Herbert Offermanns, | |
75, nickt. Offermanns hat Fotos auf dem Tisch seines Hauses in Wedel | |
ausgebreitet. Neben Butterkuchen und Kaffeekanne. „Kennst du den noch?“, | |
fragt Offermanns. Bischof sagt: „Was werd’ ich den nicht kennen.“ | |
Der BC Heros von 1922 wird in diesem Jahr 90 Jahre alt. Offermanns, der mit | |
Heros nichts zu tun hat, außer dass er gegen Heros-Boxer gekämpft hat und | |
sich für Boxgeschichte interessiert, und Bischof, der 1959 beim BC | |
Finkenwerder mit Boxen angefangen hat, und seit 1962 bei Heros ist, können | |
was erzählen. | |
„Also“, sagt Offermanns und holt Luft, „anfangen tut das mit Heros so“: | |
Rudi Bothmann gründet 1922 den Box-Club Bothmann. Beim Eimsbütteler TV und | |
beim Hamburger Box-Club wird seit 1912 geboxt, seit 1914 beim Athletik-Club | |
Sporting-Men, der Verein heißt heute BC Sportmann. Im Jahr 1912 werden im | |
Curio-Haus die ersten Deutschen Meisterschaften ausgetragen. Reichsweit ist | |
Boxen bis 1918 verboten, nicht so in den Hansestädten. | |
Bothmann ist erster Vorsitzender seines Clubs und bester Boxer. Offermanns | |
liest vor: „In seiner Gewichtsklasse war er in Hamburg in den damaligen | |
Jahren kaum zu schlagen, obgleich sein rechter Arm im Wachstum | |
zurückgeblieben war.“ Offermanns sagt: „Das sind die gefährlichsten.“ | |
Bothmann sei überheblich geworden, sagt die Chronik, die anderen Boxer | |
kündigen ihm die Gefolgschaft, suchen einen neuen Vorsitzenden und finden | |
Hans Ohlsen. 1923 gibt es eine Diskussion über den Anschluss an den | |
Arbeitersport. Das Argument, beim Arbeitersport gäbe es zu wenig Kämpfe, | |
entscheidet: Man bleibt bürgerlich. | |
Um Mitglied beim Hamburger Amateurboxverband (HABV) zu werden, muss der | |
Name geändert werden. Es werden keine Vereine aufgenommen, die nach einem | |
Mitglied heißen. Bothmann muss zurücktreten, der neue Name lautet BC Heros. | |
Dann läuft es glatt bis 1933. Die Nazis zerschlagen die Arbeiter-Boxvereine | |
BC Eiche und die BKSV Goliath. Offermanns zitiert die Heros-Chronik: „1933 | |
kam die sogenannte Machtergreifung und brachte den ganzen Sport | |
durcheinander. Alle Vorstandsmitglieder sollten und mussten | |
Parteimitglieder sein und daher gab es Rücktritte noch und noch. Später | |
wurde dieser Befehl gelockert, so dass nur der 1. Vorsitzende in der Partei | |
sein musste. Auch der BC Heros litt darunter. Wir fanden schließlich eine | |
Person, die sich opfern, aber nicht finanziell die NSDAP stärken wollte.“ | |
Hans Gienke wird Vorsitzender. | |
Amandus Spitzkopf, Jahrgang 1915, nach der nationalsozialistischer | |
Rassentheorie „Halbjude“, wird von Hauptkommissar Hermann Krause, | |
Vorsitzender der Boxabteilung des SV Polizei und seit 1931 Präsident des | |
HABV, geschützt. Kampfrichter Erich Schnür, Mitglied der von den Nazis | |
verbotenen KPD, wird beim Flugblätter-Verteilen erwischt, soll vors | |
Volksgericht, wird von Krause „raus gehauen“, sagt Offermanns. Krause ist | |
Nazi und Kommisskopp und darf nach dem Krieg nur bei der Polizei bleiben, | |
weil Spitzkopf für ihn aussagt. „Über Boxer hielt er seine Hand“, sagt | |
Offermanns. | |
Am 17. Dezember 1945 lösen die Alliierten alle Vereine auf. Neu gegründet | |
wird der BC Heros als Vereinigung von Hamburger Box-Club und BC Heros: | |
Hamburger Box-Club Heros von 1922. | |
Irgendwann wird der Ex-Boxer Werner Prieß Trainer bei Heros. Mit ihm | |
beginnt der Aufschwung. Bischof trainiert bei Prieß: „Er hat nur ts, ts, ts | |
gemacht, wenn was nicht gut war, blieb auch am Ring immer ruhig. | |
Großartiger Trainer.“ | |
Eines Tages sitzt Bischof in der Gaststätte Drei Eichen in Groß Borstel mit | |
Gerd Hecht, der 1951 gegen Sugar Ray Robinson geboxt hatte und inzwischen | |
Trainer war, und Ex-Profi Carl „Kuddel“ Schmidt. Herein kommt ein | |
schüchternes Bübchen. „Wie ist das mit dir?“, fragt Bischof, „du kannst | |
doch auch mit zu Heros.“ Und Jürgen Blin kam mit. Er war der Sohn eines | |
Melkers, auf Fehmarn geboren, mit 14 nach Hamburg gekommen, arbeitete auf | |
Schiffen. Später macht er eine Fleischerlehre und wird Fleischermeister. Er | |
hatte bis dahin in einer Boxschule gegenüber der Schlachterei, in der er | |
arbeitete, trainiert. | |
Blin wird 1962 Hamburger Meister, zwei Jahre später Deutscher | |
Amateurmeister im Schwergewicht. Er verpasst die Qualifikation für die | |
Olympischen Spiele und geht zu den Profis. Für einen Schwergewichtler mit | |
185 Zentimetern nicht groß und nicht schwer, wird er 1968 Deutscher | |
Profimeister. Er kämpft 1970 gegen den Spanier José Manuel Urtain um die | |
Europameisterschaft, und 1971 gegen Joe Bugner. Verliert jeweils nach | |
Punkten. | |
Am 26. Dezember 1971 boxt Blin in Zürich für 180.000 Mark gegen Muhammad | |
Ali, der gerade gegen Joe Frazier verloren hatte. Blin geht in der siebten | |
Runde Knock out. Im Juni 1972 wird er gegen Urtain Europameister und | |
verliert den Titel im nächsten Kampf gegen Bugner. | |
Bischof ist mit Blin befreundet, die beiden haben in der Turnhalle in der | |
Bogenstraße, wo die Heros-Geburtstagsparty stattfand, trainiert. Von Anfang | |
an und bis heute trainiert Heros dort. Blin, der in Finkenwerder wohnt, | |
kommt per Dampfer, S-Bahn, an der Haltestelle treffen mit Bischof, der Rest | |
zu Fuß. Heizung gibt es nicht. Bischof: „Wir ham die Halle beheizt.“ | |
„Kannst du dich noch an Albert Westphal erinnern?“, fragt Offermanns. „Und | |
wie“, sagt Bischof. Da gibt es ein Sparring: Bischof, damals Weltergewicht, | |
gegen Schwergewichtler Westphal. „Hat mir eine gefeuert“, sagt Bischof, | |
„ich bin durch die Ringseile geflogen.“ Prieß holt Westphal an die Seite. | |
„Hat ihm leise erklärt, dass das nicht geht“, sagt Bischof. Aber der | |
Westphal, sagt Bischof, „der konnte nicht anders, der war so“. | |
Westphal geht am 4. Dezember 1961 in Philadelphia in der zehnten Runde | |
gegen Sonny Liston K.o, der auch den nächsten Kampf – gegen Floyd Patterson | |
– gewinnt und Weltmeister im Schwergewicht wird. Bis Ali kommt. | |
In den fünfziger und sechziger Jahren geht’s Heros gut: drei Staffeln, | |
immer wieder Deutsche Meister. In den sechziger Jahren trifft Bischof einen | |
anderen Weltergewichtler bei Heros: Dieter Kottysch. Der war 1943 in | |
Gleiwitz geboren, blond, ehrgeizig, trainingsbesessen, hatte kaum mit Boxen | |
angefangen, schon war er Deutscher Juniorenmeister im Halbweltergewicht. | |
Von 1964 bis 1968 Deutscher Meister im Weltergewicht. | |
1969 boxt er in Rosenheim, Kottysch, technischer Zeichner, ist Amateur, | |
lebt aber hauptsächlich vom Boxen. Auch in Rosenheim nimmt er Geld. Der | |
Heros-Vorsitzende Joachim Moderegger tobt, Kottysch ist störrisch, Heros | |
sperrt ihn für ein Jahr. | |
Olympiasieger 1972 im Halbmittelgewicht gegen den Polen Wieslaw Rudkowski | |
wird er für den BC Sportmann Hamburg. Kottysch und Blin waren bei der | |
Geburtstagsfeier des BC Heros. Blin hat Probleme mit der Hüfte, Kottysch | |
leidet an Demenz. | |
Wir müssen gehen, Bischof baut Kamine und Kachelöfen, und hat noch einen | |
Termin. Zum Abschied holt Rentner Offermanns seine Gitarre und singt mit | |
Bischof „An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüddelband“. | |
Vor dem Auto boxen der 73- und der 75-Jährige ein bisschen. Bischof geht | |
noch heute ins Boxtraining. In die gleiche Halle wie vor 60 Jahren. „Ist | |
doch schön“, sagt er. Ist es auch. | |
27 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
## TAGS | |
Zeitschriften | |
Nazis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Historische Sportzeitungen entdeckt: Zabels Vermächtnis | |
In Geesthacht sind über tausend Arbeitersportzeitungen aus den 1920er | |
Jahren zum Vorschein gekommen. Historiker wollen sie nun im Netz | |
veröffentlichen. | |
Sportler im „Jahrhundert des Hasses“: Extreme Charakter-Verkrümmungen | |
Zwei Sporthistoriker haben ein Buch herausgegeben, das Täter, Opfer und | |
Widerstandskämpfer im 20. Jahrhundert vorstellt. Ein sehr gelungenes Werk. |