# taz.de -- Erfolgreiche Demonstranten in China: Proteste verhindern Chemiefabr… | |
> In China haben zehntausende Demonstranten den Bau eines Chemiewerks | |
> verhindert. Bürgerproteste verlaufen in der Volksrepublik häufiger | |
> erfolgreich. | |
Bild: Bewohner von Shifang demonstrieren gegen die geplante Chemiefabrik. | |
PEKING taz | So sehr chinesische Behörden Mikroblogging-Dienste bekämpfen | |
und darin oft die Quelle vieler Proteste sehen. Zuweilen bedienen sie sich | |
selbst dieser modernen Kommunikationsform. | |
Über Weibo, dem chinesischen Pendant von Twitter, forderte gab der Chef der | |
kommunistischen Partei der Stadt Shifang das Ende einer geplanten Fabrik | |
bekannt. Das Bauvorhaben hätte viele Jobs geschaffen und der Stadt Geld | |
eingebracht, twitterte er. Aber wenn eine Mehrheit das Projekt ablehne, | |
werde die Stadt nicht darauf beharren. Ungewohnte Töne, über ungewöhnliche | |
Weise bekannt gegeben und das in einem Land, das die Anliegen seiner Bürger | |
bislang missachtet hat. | |
Zehntausende waren seit Sonntag in der Stadt Shifang in der südwestlichen | |
Provinz Sichuan auf der Straße, um gegen ein geplantes Molybdän-Kupferwerk | |
zu protestieren. Vor allem am Montag kam es zu schweren Ausschreitungen. | |
Hunderte wütender Demonstranten griffen ein Regierungsgebäude an und | |
bewarfen es mit Pflastersteinen. Auch Autos wurden demoliert. | |
Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Die | |
Stadtverwaltung sprach von 13 Verletzten. Augenzeugen berichteten von „sehr | |
viel mehr“ und zwei Toten. Die 23 zunächst festgenommen Demonstranten | |
wurden am Mittwoch wieder frei gelassen. | |
Der Unmut richtete sich gegen das in Shanghai registrierte | |
Staatsunternehmen Sichuan Hongda. Für umgerechnet mehr als 1,2 Milliarden | |
Euro hatte es den Bau einer Fabrik geplant, die sogenannte | |
Molybdänlegierungen herstellen soll. Dabei handelt es sich um ein | |
Schwermetall. Örtliche Umweltinitiativen befürchteten den Ausstoß von | |
krebserregenden Substanzen. | |
## Nicht vorbereitet | |
Begonnen hatte der Protest in der rund 200.000 Einwohner zählenden Stadt am | |
Samstag zunächst friedlich. Schüler und Studenten kamen zur feierlichen | |
Grundsteinlegung der Fabrik und wollten ein Protestschreiben überreichen. | |
Als Polizisten die jungen Menschen vertreiben wollten, kam es zu | |
Rangeleien. Am Sonntag demonstrierten bereits mehrere Hundert, am Montag | |
schwoll der Protest auf mehrere Tausend Teilnehmer an. Auch am | |
Dienstagabend hielten sich Weibo-Einträgen zufolge noch immer Tausende von | |
Demonstranten in der Innenstadt auf. Erst nach der Bekanntgabe des | |
Baustopps in der Nacht zum Mittwoch gingen die Leute nach Hause. | |
Auf den entschlossenen Protest waren die Behörden in Shifang nicht | |
vorbereitet. Dabei kommt es im ganzen Land immer wieder zu heftigen | |
Protesten, die sich zumeist gegen Bauvorhaben oder Fabriken richten, die | |
die Umwelt verschmutzen. Selbst die Zentralregierung in Peking gibt zu, | |
dass es in der gesamten Volksrepublik allein im vergangenen Jahr mehr als | |
100.000 Protestveranstaltungen gab. Bislang gelang es den lokalen Behörden | |
jedoch, die Proteste auf wenige Stunden zu begrenzen. Die Großprojekte | |
konnten in der Regel gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden. | |
Doch immer häufiger setzen sich die Bürger mit ihrem Anliegen durch. 2011 | |
verhinderten 30.000 wütende Demonstranten den Bau eines Kohlekraftwerks in | |
der südchinesischen Stadt Shantou, in Jiaxing im Südosten des Landes | |
protestierten 10.000 gegen das verdreckte Abwasser einer Solarfirma. Das | |
Unternehmen musste daraufhin schließen. Vor allem aber die Proteste | |
vergangenes Jahr in der nordostchinesischen Hafenstadt Dalian haben Schule | |
gemacht. | |
## Immer besser organisiert | |
Die Stadtregierung musste einlenken, nachdem Zehntausende über Wochen | |
hinweg gegen den Bau eines Petrochemiewerks auf die Straße gegangen waren. | |
„Was Dalian von früheren Protesten unterscheidet“, so der Soziologe Lim Tai | |
von der Hongkonger Universität. „Die Menschen sind untereinander besser | |
vernetzt und die Proteste damit immer besser organisiert.“ | |
Womit die Behörden vor allem nicht klar kommen: Dass sich die Nachrichten | |
binnen weniger Sekunden im ganzen Land verbreiten. Trotz Zensur kamen die | |
Beamten des Propagandaministeriums auch am Montag und Dienstag den vielen | |
Einträgen nicht mehr hinter. Wer etwa am späten Dienstagnachmittag bei | |
Sina-Weibo „Shifang“ eingab, fand 327.132 Einträge. Und auch an Interesse | |
mangelte es landesweit nicht: „Shifang“ war das am häufigsten aufgerufene | |
Stichwort. | |
4 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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