# taz.de -- Kommentar Higgs-Teilchen: Popstar Higgs | |
> Rad? Mondlandung? Das heliozentrische Weltbild? Die Entdeckung des | |
> Gottesteilchens ist epochal. Weil es den Weg zu neuen Ufern weist. | |
Bild: Das Bild zeigt eine Protonen-Kollision. | |
Sie entdecken also das Gottesteilchen. Das Teilchen, das anzeigt, dass ein | |
fundamentaler Mechanismus im Universum tatsächlich so funktioniert, wie es | |
Wissenschaftler seit fast 50 Jahren vorhersagen. Das erklärt, wie das | |
Universum zu seiner Masse kommt, warum sich Teilchen, Atome, Moleküle und | |
am Ende Planeten und Menschen bilden konnten. | |
Doch wie epochal ist diese Entdeckung? Rad? Mondlandung? Oder wie das | |
heliozentrische Weltbild, das Nikolaus Kopernikus den Europäern in der | |
Renaissance bekannt machte? Sicher dreht sich unser Globus weiterhin um die | |
Sonne, aber um im Jargon der Teilchenphysiker zu bleiben: Die Welt hat | |
einen neuen Spin bekommen. | |
Dazu ein Rückblick: Am 6. November 1919 gab die Royal Society in England | |
das Ergebnis einer Expedition nach Nordbrasilien und Westafrika bekannt. | |
Die Astronomen beobachteten eine Sonnenfinsternis, deren Ergebnisse dank | |
des Rundfunks aus Albert Einstein und seiner Relativitätstheorie den ersten | |
Popstar in der Geschichte der Wissenschaft machten. Es waren nur minimale | |
Abweichungen in den Messungen, die einem Laien nie aufgefallen wären: | |
Während der Finsternis erschienen die Sterne unmittelbar neben der | |
verdunkelten Sonne auf einmal nicht mehr exakt an der Stelle am Firmament, | |
an der sie zu erwarten gewesen wäre. Genau das hatte Einstein | |
prognostiziert. Der Grund war die Gravitation der Sonne. Die müsste nach | |
seiner Theorie das von den Sternen ankommende Licht leicht ablenken. Die | |
Medien druckten Titelseiten. | |
Die Geschichte zeigt mehrere Analogien zu dem jetzt wahrscheinlich | |
entdeckten Higgs-Teilchen. Sie machte eine komplizierte physikalische | |
Theorie über ein einfaches Bild – verschobene Sterne – den Massen | |
zugänglich. Heute ist es ein griffiger, sehnsuchtsgeladener Begriff: das | |
Gottesteilchen. | |
Parallele zwei: Nun ist ein jahrelangen Disput in der Physik entschieden, | |
weil endlich eine Theorie experimentell überprüft werden konnte. Wobei, was | |
heißt entschieden? Albert Einstein wäre wohl niemals über die Lippen | |
gekommen, dass seine Theorie bewiesen oder gar wahr wäre. Im Gegenteil, er | |
hielt sie stets für vorläufig, für eine Theorie eben, die so lange Geltung | |
genießt, bis sie widerlegt ist oder in einen größeren Zusammenhang | |
eingebettet wird. Einstein gab explizit Anleitung dazu, wie sie zu | |
widerlegen sei. Er trat damit eine bis dato unerreichte Welle an | |
Forschungen los. Anders ausgedrückt: Er inspirierte ein ganzes Jahrhundert. | |
Ähnlich vorsichtig wie Einstein formulieren jetzt die Physiker am | |
Kernforschungszentrum Cern ihre Ergebnisse. Auch sie werden einen Teufel | |
tun und behaupten, die Welt endgültig erklären zu können. Sie werden alles | |
daran setzen, ihre Theorie zu widerlegen, weil sie wissen, dass sie damit | |
die besten Beweise für ihre Gültigkeit liefern. | |
Die Wirkmächtigkeit einer Entdeckung hängt vor allem davon ab, zu was sie | |
nachfolgende Wissenschaftler inspiriert. Und was könnte es Inspirierenderes | |
geben, als nach jahrzehntelangem Rumgewurstel in theoretischer Mathematik | |
einen deutlichen Wink zu erhalten, dass man sich bei der Entschlüsselung | |
des Universums auf dem richtigen Weg befindet? „Vorstellungskraft ist | |
wichtiger als Wissen“, soll Einstein mal gesagt haben. Insofern ist die | |
Entdeckung dieses Teilchen, ob Higgs oder nicht, epochal. Weil es den Weg | |
zu neuen Ufern weist. | |
5 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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