| # taz.de -- Miese Arbeitsbedingungen bei „Karls Hof“: „Unerträgliche Erd… | |
| > Viele Städte sind mit den quietschroten Verkaufsbüdchen geradezu | |
| > überschwemmt: Es ist Erdbeerzeit. Doch wer die Früchte verkaufen muss, | |
| > hat einen prekären Job. | |
| Bild: Sie zu essen macht Spaß, sie zu verkaufen weniger – jedenfalls bei bes… | |
| „Schönen guten Tag, was kann ich für Sie tun?“ | |
| „Ein Pfund Erdbeeren bitte.“ | |
| „Bei einem Kilogramm sparen Sie 1,50 Euro.“ | |
| „Das klingt toll. Was mache ich nur mit so vielen Erdbeeren?“ | |
| „Ich habe brandneue Rezeptvorschläge … und den Rest naschen Sie weg.“ | |
| „Dann nehme ich ein Kilo. Vielen Dank!“ | |
| „Ich danke Ihnen. Bis morgen!“ | |
| Kommt Ihnen das bekannt vor? Gut möglich: Der Text entstammt der | |
| „Erdbeer-Info Nr. 4“ von „Karls Hof“ und ist mit „Unser Verkaufsgeset… | |
| überschrieben. Darin weist der Erdbeerbauer aus Mecklenburg-Vorpommern | |
| seine VerkäuferInnen – die meisten sind Frauen – unter Paragraf 1 an: | |
| „Bieten Sie jedem Kunden mehr als die gewünschte Menge an.“ Und in Paragraf | |
| 2 heißt es: „Verweisen Sie immer auf den Preisvorteil einer größeren | |
| Menge.“ | |
| Eine Masche mit Erfolg: „Karls Hof“ ist einer der größten | |
| Erdbeerselbstvermarkter der Republik. Das Unternehmen aus Rövershagen bei | |
| Rostock überschwemmt derzeit nicht nur Berlin mit seinen quietschroten | |
| Erdbeerbüdchen. Zur Hauptverkaufszeit im Juni und Juli stehen insgesamt 280 | |
| Verkaufsstände auch in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. | |
| So frisch, so fleischig, so rot. Die Erdbeere ist das Symbol des Sommers. | |
| Schon im Dezember gieren die ersten Verbraucher auf die Früchte des | |
| Rosengewächses – und beißen enttäuscht auf Gummiartiges aus Peru oder | |
| Marokko. Die deutschen Erdbeeren sind häufig aromatischer und weicher, weil | |
| sie nicht so weite Entfernungen überbrücken müssen. | |
| Doch hinter der Vermarktung der leckeren Früchtchen steckt auch Ausbeutung. | |
| Die Verkäuferinnen von Karls Hof werden schlecht bezahlt und mit peniblen | |
| Vorschriften drangsaliert. Die rund 600 Saisonarbeiterinnen schwitzen | |
| locker auch mal 12 Stunden am Tag in ihren 4 Quadratmeter kleinen | |
| Metallbutzen – für 7,50 Euro die Stunde. Brutto. Vielen bleibt nicht viel | |
| mehr als 5 Euro übrig. Prekär. | |
| Alle paar Tage erhalten sie ein neues „Erdbeer-Info“: Sie sollen das | |
| „Haupternte-Schild“ aufhängen, das „Aktion 2-kg-Korb“ aufstellen, steh… | |
| den Zetteln. Manchmal prangert die Zentrale auch an, dass die | |
| Verkäuferinnen schummeln: „Zu viele abgerechnete Reklamationen, unüblich | |
| viele Toilettengänge oder abgesammelte Erdbeeren aus den reichlich | |
| gefüllten Schalen sind die beliebtesten Tricks“, heißt es in einer der | |
| Tagesorders von Karls Hof. Es wird gedroht: „Wer betrügt, riskiert seinen | |
| Job und ein vertrauensvolles Verhältnis zu Karls.“ | |
| ## Wer aufmuckt, fliegt raus | |
| „Das ist eine Sauerei“, ärgert sich Kätchen Nowak von der zuständigen | |
| Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Ähnlich anspruchsvolle | |
| Verkaufsjobs werden laut Gewerkschaftsstatistik im Schnitt mit mindestens | |
| 8,30 Euro pro Stunde vergütet. Dass die Mitarbeiter von Karls Hof die | |
| Hälfte des Entgelts erst am Ende der Verkaufssaison bekommen, hält | |
| Gewerkschaftssekretärin Nowak gar für „arbeitsrechtlich nicht zulässig“. | |
| Doch wer aufmuckt, dürfte die kurze Verkaufsphase nicht überstehen. Also | |
| schweigen die Verkäuferinnen; viele sind Schülerinnen, Ältere, Arbeitslose. | |
| Der Beschuldigte kann die ganze Aufregung nicht verstehen: „Wir sind ein | |
| sehr liebevoll geführtes Familienunternehmen“, sagt Robert Dahl, der Karls | |
| Hof mittlerweile in der dritten Generation führt. Den Lohn hält er für | |
| normal, zudem sei es in der Landwirtschaft „üblich, die Zeit der Ernte | |
| gemeinsam zu schaffen, dann kommt das Geld“. Beschwerden gebe es kaum. | |
| Dahls Firma hat sich in den fast 100 Jahren seit der Gründung zu einem | |
| kleinen Erdbeerimperium entwickelt: Kern des Geschäfts sind vier | |
| „Erlebnis-Höfe“, die vor allem Familien mit agrarischem Spaßwelten wie | |
| Maislabyrinthen, Traktorrennen und Tiershows im „Am-Vieh-Theater“ locken – | |
| und natürlich die Erdbeeren. Er habe sich „aus den Fängen des | |
| filialisierten Lebensmitteleinzelhandels befreien“ wollen, sagt Dahl. Das | |
| ist lukrativ: Bekommt der Bauer höchstens 2 Euro pro Kilo Erdbeeren von | |
| Edeka, Lidl & Co., bringen Erdbeeren im Eigenhandel locker 5 Euro. | |
| Tausende Kilogramm setzen Dahls Verkäuferinnen pro Saison ab – und lassen | |
| sich dabei auspressen und beobachten. Alle paar Tage kommt ein Mitarbeiter | |
| am Stand vorbei und schießt ein Foto – zur Kontrolle. Vielen Verkäuferinnen | |
| gefällt das nicht. „Diese Erdbeer-Nazis sind unerträglich“, ätzt eine, d… | |
| lieber unerkannt bleiben will. | |
| Eine andere fühlt sich von „Karls“ gegängelt: „Die tun in ihren | |
| Erdbeerinfos auf total nett und regeln dann haarklein, wie man die Körbe | |
| hält oder dass man nicht die Beeren, sondern nur die Stiele anfassen darf.“ | |
| Ihre kleine Rache: Sie verschenkt regelmäßig Erdbeeren an ihre Kunden – bei | |
| „Karls“ natürlich verboten. Karls-Hof-Chef Dahl sagt trotzdem: „Ich achte | |
| sehr darauf, dass alle Mitmenschen von Karls liebevoll und respektvoll | |
| behandelt werden“. | |
| Vielleicht reicht das nicht. Eine Lobby fehlt den Billiglöhnern in den | |
| Verkaufsständen nämlich. Die meisten sind nicht gewerkschaftlich | |
| organisiert; das schränke die Möglichkeiten der Arbeitnehmervertreter ein, | |
| sagt IG-Bau-Sekretärin Nowak. „Denn: Letztendlich sind wir als | |
| Interessenvertretung nur so stark wie die Mitglieder in den Betrieben.“ | |
| 8 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai Schöneberg | |
| ## TAGS | |
| Erdbeeren | |
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