# taz.de -- Russland will seine Märkte öffnen: Die Mauer ist weg | |
> Das Parlament in Moskau stimmt für den Beitritt zur WTO. Freuen darf sich | |
> vor allem die deutsche Wirtschaft. Zusätzliche Umsätze in Milliardenhöhe | |
> werden erwartet. | |
Bild: Der russische Wirtschaftsminister Andrej Belousow betonte vor der Staatsd… | |
BERLIN taz | Es war das Jahr 1994 und der Präsident hieß Boris Jelzin, als | |
Russland den Antrag auf Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO) | |
stellte. 18 Jahre später hat jetzt das russische Parlament, die Staatsduma, | |
das Beitrittsprotokoll ratifiziert. Einem Beitritt noch im August steht nun | |
nichts mehr im Weg, da die notwendige Zustimmung des Föderationsrats als | |
sicher gilt. | |
Die russische Regierung hatte die Beitrittsverhandlungen mit der WTO im | |
vergangenen November abgeschlossen. Voraussetzung dafür war die | |
Verpflichtung, den Marktzugang von ausländischen Waren und Dienstleistungen | |
also zum Beispiel den Angeboten von Banken oder Telefongesellschaften | |
sowie Investoren zu gewährleisten. | |
Bislang wird etwa die Hälfte der russischen Wirtschaft durch | |
Handelsbarrieren vor ausländischer Konkurrenz mehr oder weniger gut | |
geschützt. Umgekehrt erhält Russland dann auch besseren Zugang zu den | |
Märkten anderer Länder, sofern diese Wolga-Limousinen oder Flugzeuge – wie | |
den im Mai bei einem Demonstrationsflug über Indonesien abgestürzten | |
Suchoi-Superjet – wünschen. | |
Im Ausland ist Russland jedoch im Wesentlichen nur mit Rohstoffen | |
erfolgreich. Die Exporte bestehen zu mehr als 70 Prozent aus Erdöl und | |
-gas. Der Abstimmung am Dienstagabend waren heftige Proteste linker Gruppen | |
vorausgegangen. Abgeordnete der Opposition hatten zuvor erfolglos beim | |
Verfassungsgericht gegen den Beschluss geklagt. | |
## Niedrige Preise für Importwaren | |
Die die oftmals noch aus Sowjetzeiten stammende heimische Wirtschaft drohe | |
von Importen überrollt zu werden, sobald die Zollschranken fallen, so ihr | |
Argument. Außerdem gefährde die Zulassung von ausländischen Firmen im | |
Dienstleistungssektor die nationale Sicherheit. | |
Wirtschaftsminister Andrej Belousow betonte am Dienstag vor der Staatsduma, | |
dass kein Anstieg der Arbeitslosigkeit drohe. Die Bevölkerung werde | |
vielmehr von niedrigeren Preisen für Importwaren profitieren. Das schafft | |
allerdings keinen einzigen Arbeitsplatz, jedenfalls nicht in Russland. | |
Vorteile aus dem Abkommen erhoffen sich vielmehr diejenigen Unternehmen, | |
die künftig den russischen Markt noch stärker beliefern wollen, nicht | |
zuletzt aus Deutschland, einem der wichtigsten Handelspartner Russlands. | |
Wenn die russischen Einfuhrzölle wie vorgesehen von durchschnittlich 10 auf | |
7,8 Prozent sinken für Industriegüter stärker, für Agrarprodukte etwas | |
weniger, könnte das deutschen Firmen nach Schätzung des | |
Bundeswirtschaftsministeriums zusätzliche Umsätze von einer Milliarde Euro | |
pro Jahr bescheren. | |
## Wohltuender Modernisierungszwang | |
Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, die Interessenvertretung der | |
hiesigen Unternehmen in Osteuropa, freut sich entsprechend über die | |
Marktöffnung. Durch WTO-Beitritt werde Russland einem wohltuenden | |
Modernisierungszwang unterworfen, was ja schließlich auch der dortigen | |
Wirtschaft Wachstumsimpulse gebe. | |
Das Abkommen biete nicht nur niedrigere Einfuhrzölle, sondern vor allem | |
auch mehr Rechtssicherheit für Investoren, so ein Dossier über den | |
WTO-Beitritt. Über 6.000 deutsche Unternehmen sind in Russland engagiert. | |
Allerdings bleiben die derzeitigen Wirtschaftsbeziehungen noch deutlich | |
hinter den Möglichkeiten zurück, heißt es dort. | |
Wenn die Möglichkeiten deutscher Firmen auf dem russischen Markt wachsen, | |
dürfte das jedoch zu Lasten vieler russischer Hersteller gehen. Die | |
Ratingagentur Moody's warnte, dass vor allem der Maschinen- und Fahrzeugbau | |
unter dem WTO-Beitritt leiden werde, denn wenn die bislang hohen | |
Importpreise für Maschinen made in Germany sinken, gibt es eigentlich | |
keinen Grund mehr, die russischen Geräte zu kaufen. | |
In Russland befürchtet auch manch einer den Kollaps weiter Teile der | |
Landwirtschaft, wenn diese sich nicht rasant modernisiert, denn die bisher | |
hohen Zölle auf Milch- und Getreideprodukte müssen besonders kräftig | |
gesenkt werden. Profitieren dürften laut Moody's hingegen der Einzelhandel, | |
der höhere Umsätze mit günstigen Importgütern machen kann, und die jetzt | |
schon im Ausland erfolgreiche Stahlindustrie. | |
11 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Nicola Liebert | |
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