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# taz.de -- Spitzenkandidaten-Debatte der Grünen: Die Frau für die guten Werte
> Katrin Göring-Eckardt wird von Realo-Grünen dazu gedrängt, als
> Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl anzutreten. Sie soll Renate
> Künast und Claudia Roth verhindern.
Bild: Erfahren, talkshowaffin, Christin: Katrin Göring-Eckardt.
ERFURT taz | Manche Dinge sieht man schärfer, wenn man sich etwas von ihnen
entfernt. Insofern ist dieses lauschig-alternative Café unweit des Erfurter
Hauptbahnhofs nicht der schlechteste Ort, um mit Katrin Göring-Eckardt über
die Grünen im Allgemeinen und sich selbst im Speziellen zu sprechen.
Göring-Eckardt sitzt also in der Sonne, tupft zerschmolzene Butter auf eine
Baguettescheibe und erzählt, wie gut ihr das tut. Mal rauszukommen aus
Berlin, in der Heimat durchzuatmen.
Weg von Berlin, das bedeutet in ihrem Fall auch weg von der heiklen
Spitzenkandidatendebatte. In den Sommerwochen müssen die Führungskräfte der
Partei endgültig entscheiden, wer die Grünen im Wahlkampf 2013 anführen
soll. Und dabei könnte Göring-Eckardt eine nicht unwesentliche Rolle
spielen.
Führende Vertreter des Realo-Flügels aus Bund und Ländern beknien sie
intern seit Monaten, eine Bewerbung abzugeben. Boris Palmer,
Oberbürgermeister in Tübingen, schlägt jetzt als erster profilierter
Realo-Kopf öffentlich vor, die 46-Jährige an die Spitze zu schieben. „Mit
Göring-Eckardt würden die Grünen auch bürgerliche Wähler der Mitte oder
kirchlich orientierte Kreise gewinnen“, sagt Palmer der taz.
Die Thüringerin ist die letzte Hoffnung der Realos. Göring-Eckardt,
Bundestagsvizepräsidentin und Präses der Synode der Evangelischen Kirche,
ist durch ihre Funktionen eines der wenigen bundesweit bekannten grünen
Gesichter. Sie gilt als erfahren, talkshowaffin und hat in der Partei schon
viele Jobs gemacht. Sie hätte das Format, neben einem Jürgen Trittin nicht
unterzugehen.
Doch will sie auch? Natürlich ist Göring-Eckardt klug genug, sich nicht
selbst anzupreisen. Nach ihren Ambitionen gefragt, gibt sie ein paar
ausweichende Standardantworten. Die Menschen wählten die Grünen wegen der
Inhalte, nicht wegen der Personen. Der Zeitplan für die Klärung stehe –
erst am 2. September solle sich der Länderrat mit den Kandidaturen
befassen. Doch sie sagt auch: „Natürlich ist es wichtig, durch verschiedene
Personen verschiedene Milieus anzusprechen.“
## Vorbild Kretschmann
Dies ist ein interessanter Satz. Wenn man ihn im Lichte ihrer strategischen
Analyse für den Wahlkampf anschaut, wird er nämlich zur dezenten
Eigenwerbung. „Wir Grünen müssen 2013 auch Menschen gewinnen, denen Werte
jenseits des Ökonomischen besonders wichtig sind“, analysiert sie. „So, wie
es uns in Baden-Württemberg gelang.“ Dort schaffte Winfried Kretschmann den
historischen Sieg im März 2011 auch deshalb, weil die Grünen mit ihm in
bürgerliche Milieus einbrachen, die die CDU ganz bei sich glaubte.
Wer könnte dies im Bund schaffen, wenn nicht die ausgleichend auftretende
Kirchenfrau Göring-Eckardt, argumentieren ihre Fans. Sie schaltete sie sich
wiederholt in ethische Debatten ein, ihre Fraktion brachte sie als
Präsidentschaftskandidatin ins Spiel, ohne dass dies größere Verwunderung
oder Spott beim politischen Gegner auslöste. Und ihr Profil als
Sozialpolitikerin passt zum Thema Gerechtigkeit, das Parteichef Cem Özdemir
neuerdings als zentrales Wahlkampfanliegen bewirbt.
Tatsächlich kann Göring-Eckardt lange und bildhaft über Sozialpolitik
reden. Sie spricht über die auseinanderfallende Gesellschaft, über 20
Prozent der Bevölkerung, die zurückblieben, die nicht mehr partizipierten.
Diese Menschen zu integrieren und mitzunehmen, das sieht sie als große
Aufgabe der Grünen.
Dieser Fokus zeigt, dass auch eine an Werten orientierte Frau wandelbar
ist. Die Sozialpolitikerin Göring-Eckardt führte in der zweiten
Legislaturperiode der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder die
Bundestagsfraktion an. Und verteidigte die Agenda 2010 und die
Hartz-Reformen vehement gegen interne Kritiker. Was vielen Grünen heute
noch als sozialpolitischer Sündenfall gilt, bejubelte Göring-Eckardt damals
als „revolutionäre Umbruchphase“.
## Taktisches Dilemma
Wahr ist auch, dass Göring-Eckardt nicht nur wegen ihrer persönlichen
Qualitäten im Gespräch ist. Sie wurde auch wegen eines taktischen Dilemmas
der Realos nach vorn gespült. Bisher hat nur Parteichefin Claudia Roth
ihren Willen zur Spitzenkandidatur erklärt. Und Jürgen Trittin gilt vielen
Grünen wegen seiner starken innerparteilichen Position und seiner Expertise
in Finanz- und Europafragen als gesetzt. Ein solches Duo, bestehend aus
zwei Parteilinken, wäre für die Reformer eine Demütigung.
Noch vor einem Jahr wäre Fraktionschefin Renate Künast eine natürliche
Ergänzung von Roth oder Trittin gewesen. Doch seit ihrem taktischen
Desaster bei der Berlin-Wahl haben sie Realo-Vertreter mehrfach und sehr
gründlich demontiert. Göring-Eckardt soll also gleich zwei taktische
Bedürfnisse mancher ihrer Unterstützer bedienen: Künast verhindern, und
gleichzeitig die übermächtigen Führungsfiguren der Linken kontern.
Göring-Eckardt käme wohl zum Zuge, wenn sich die Grünen für mehr als zwei
Spitzenkandidaten entscheiden, also ein quotiertes Duo durch weitere Köpfe
ergänzt würde. Denn an einer Urabstimmung gegen Roth kann sie kein
Interesse haben. Weil einer Frau für Werte eine Kampfabstimmung schlecht zu
Gesicht stünde, weil sie aber auch keine Chance gegen die bei der Basis
beliebte Roth hätte. Die Frau für Werte wartet auf eine gütliche Lösung
aller – was irgendwie auch seine Logik hat.
13 Jul 2012
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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