# taz.de -- Streit um Spitzenkandidatur bei den Grünen: Brandbrief an die „D… | |
> Elf Frauen aus der Bundestagsfraktion machen ihrer Wut über Grünen-Männer | |
> Luft. Und stärken Renate Künast im Machtkampf um die Spitzenkandidaturen | |
> den Rücken. | |
Bild: Knifflige Kandidatensuche: Wer soll die Grünen in den Bundestagswahlkamp… | |
BERLIN taz | Der Brief, der am Mittwoch gegen 21 Uhr im Mailpostfach des | |
Grünen-Vorstandes in Berlin landet, hat es in sich. Elf Frauen aus der | |
Bundestagsfraktion machen ihrem Ärger über die Spitzenkandidatur-Debatte | |
der Grünen mit drastischen Worten Luft. | |
Schon die Anrede spricht Bände: An die „Dear Boys“ der Partei wenden sich | |
die Politikerinnen süffisant. Und was dann folgt, ist eine Abrechnung mit | |
dem Verhalten einiger männlicher Parteistrategen. | |
„Wir Frauen werden nicht akzeptieren, dass offenbar einige wenige Männer in | |
unserer Partei glauben, Personalvorschläge auf Kosten von Frauen machen zu | |
können“, schreiben die Unterzeichnerinnen. Und weiter: „Autokratische | |
Ausrufungen entsprechen nicht unserem Demokratieverständnis.“ | |
Personalpolitik in Hinterzimmern, so die erbosten Frauen, führe zu keinen | |
konstruktiven Ergebnissen. | |
Das Schreiben, das der taz vorliegt, wendet sich somit kaum verklausuliert | |
an einige Parteifreunde. Und es enthält einen harten Vorwurf: Der Verlauf | |
der Debatte „schadet dem Ansehen der Partei“. | |
Gemeint sein dürfte unter anderen Boris Palmer, Oberbürgermeister von | |
Tübingen. Der profilierte Realo-Kopf hatte Mitte Juli im taz-Interview | |
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidatin | |
vorgeschlagen. Göring-Eckardt wird in der Partei Interesse nachgesagt. Sie | |
hat bisher aber nicht angekündigt, sich um einen Platz in einem Spitzenduo | |
zu bewerben. | |
## Genervt vom Machtgetue mancher Grüner | |
Auch Bayerns Landeschef Dieter Janecek dürfte sich vom Vorwurf der | |
„autokratischen Ausrufungen“ angesprochen fühlen. Er hatte sich ebenfalls | |
öffentlich für die bislang schweigende Göring-Eckardt stark gemacht. | |
Unterzeichnet haben das Schreiben etwa die Fraktionsvizechefinnen Kerstin | |
Andreae und Ekin Deligöz, die Haushaltsexpertin Priska Hinz oder die | |
Außenpolitikerin Marieluise Beck. Dabei dürfte sich der Brandbrief auf mehr | |
beziehen als nur die Ausrufung einer möglichen Spitzenfrau, die sich selbst | |
nicht äußert. „Die Frauen sind einfach vom Machogetue mancher Grüner | |
genervt“, sagt ein Partei-Insider. Offenbar hat sich die Wut bei den | |
Abgeordneten lange angestaut. | |
Am 15. Juli - zwei Tage nach dem Palmer-Vorstoß für Göring-Eckardt - | |
postete Marieluise Beck eine wütende Analyse auf Facebook. „Merken | |
eigentlich die Weiber bei den Grünen nix?“, wetterte die erfahrene | |
Abgeordnete, die schon in der ersten Grünen-Fraktion neben Petra Kelly im | |
Bundestag saß. Da hockten ein paar Jungs in den Hinterzimmern, schrieb | |
Beck, „zerbröseln erst die eine Spitzenfrau, dann die andere, haben sich | |
eine dritte ausgeguckt und nun geht die Dekonstruktion qua Presse munter | |
weiter.“ | |
Beck ist neben Andreae die Initiatorin des Protestbriefs. Sie war am | |
Donnerstag - ebenso wie andere Unterzeichnerinnen - für die taz nicht zu | |
sprechen. Mit ihrem Wutausbruch auf Facebook spielt Beck neben | |
Göring-Eckardt auf zwei weitere Spitzenfrauen an, die intern und öffentlich | |
Angriffen ausgesetzt waren: Fraktionschefin Renate Künast und die | |
Parteivorsitzende Claudia Roth. | |
## Einige Realos arbeiteten an der Demontage Künasts | |
Die Realo-Frontfrau Künast wäre ebenfalls eine natürliche Kandidatin für | |
ein Spitzenteam. Sie wurde aber nach ihrem Debakel bei der Berlin-Wahl 2011 | |
durch manche Vertreter des Realo-Flügels demontiert. Künast wollte | |
Regierungschefin in der Hauptstadt werden, doch die Grünen landeten in der | |
Opposition - nach diesem Absturz mochten ihr einige Realos ihre | |
Führungsrolle nicht mehr zugestehen. Und arbeiteten gezielt an ihrer | |
Abwertung. | |
Mit ihrem Brief geben die Abgeordneten deshalb auch eine | |
Solidaritätsadresse an Künast ab, wenn sie die Rolle aller vier Fraktions- | |
und Parteivorsitzenden in der Spitzenkandidatur-Frage betonen. Die Grünen | |
hätten „vier durch Wahlen legitimierte RepräsentantInnen“, schreiben sie. | |
„Diese Grünen sind unser Spitzenpersonal.“ Und Künast, lautet die Botscha… | |
zwischen den Zeilen, ist längst nicht abgemeldet. | |
Dazu passt, dass einige der Unterzeichnerinnen intern als | |
Künast-Unterstützerinnen gelten. Deligöz kämpfte zum Beispiel bereits 2009 | |
mit Künast zusammen für eine Kindergrundsicherung. Die dritte Frau, auf die | |
Beck auf Facebook anspielt, ist Claudia Roth. Die Parteivorsitzende hat im | |
Gezerre um die Spitzenkandidaten der Grünen bisher als einzige Interesse | |
angemeldet. Und in einem taz-Interview angekündigt, sich zur Wahl für ein | |
Spitzenteam zu stellen. | |
Roth musste sich seit dieser Ankündigung intern harte Kritik anhören. | |
Mancher soll sie dem Vernehmen nach gebeten haben, auf ihren Anspruch zu | |
verzichten - zum Wohle der Partei. Denn ein wichtiger Grund für die | |
Dauerdebatte um Spitzenfrauen ist der Proporz. Fraktionschef Jürgen Trittin | |
gilt vielen in der Partei als gesetzt. Er gehört formal dem linken Flügel | |
an. Roth, ebenfalls eine Parteilinke, neben Trittin, das wäre eine | |
Demütigung für die Realos. | |
## Hektische Suche nach Kandidatinnen | |
Deshalb wurde bei den Realos hektisch nach Gegenkandidatinnen gesucht, die | |
gegen Roth antreten könnten. In der Berliner Parteizentrale führte der | |
Protestbrief der Frauen zu unterschiedlichen Reaktionen. Parteichef Cem | |
Özdemir reagierte genervt. „Ich nehme diese Erklärung, wie auch alle | |
anderen öffentlichen Äußerungen zur Frage der Spitzenkandidaturen, zur | |
Kenntnis“, sagte Özdemir. „Hilfreich sind sie alle nicht.“ | |
Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke signalisierte Verständnis. „Ich kann | |
die Intention der Erklärung gut nachvollziehen“, sagte Lemke. „Denn wir | |
haben ein von Bundesvorstand und Parteirat beschlossenes Verfahren.“ Bis | |
Ende August müssen sich alle BewerberInnen für eine Spitzenkandidatur beim | |
Vorstand melden. Anfang September entscheidet dann ein Länderrat darüber, | |
ob eine Urwahl nötig ist. Spätestens dann ist klar, wie die Grünen die | |
Frauenfrage im Spitzenteam lösen. | |
26 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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