# taz.de -- Wikipedia will weiblicher werden: Mehr Hochzeitskleid, weniger Linux | |
> Nur acht Prozent der Wikipedianer sind Frauen. Um das zu ändern, will das | |
> Online-Lexikon das Bearbeitungssystem nutzerfreundlicher gestalten und | |
> wirbt aktiv für mehr Autorinnen. | |
Bild: Der Frauenanteil bei Wikipedia ist viel zu klein. | |
WASHINGTON dpa | Wenn sie für Wikipedia Artikel verfasst oder Nachrichten | |
austauscht, signiert Sarah Stierch als „MissVain“ (etwa: Fräulein Eitel). | |
Dennoch wird sie in Chats und E-Mails meist als „Er“ bezeichnet. Dass die | |
meisten glauben, sie sei ein Mann, ist kein Zufall: Nach einer internen | |
Umfrage aus dem Jahre 2010 machen Frauen gerade einmal acht Prozent der | |
ehrenamtlichen Mitarbeiter und weniger als ein Drittel der Millionen Nutzer | |
des populären Online-Lexikons aus. | |
„Ich war es gewöhnt, die einzige Frau im Raum zu sein. Ich war eben wie | |
einer der Jungs“, sagt Stierch. Das habe sich geändert, als sie von der | |
riesigen Geschlechterkluft bei Wikipedia erfahren habe. Seither setzt sie | |
sich innerhalb der Wikimedia-Stiftung dafür ein, mehr Frauen für die | |
Mitarbeit am Internet-Nachschlagewerk zu begeistern. | |
Angesichts der Anonymität im Internet werde vielen das Problem erst bei den | |
Jahrestagungen der Wikipedianer bewusst, denn da springe es ins Auge. So | |
auch auf der diesjährigen „Wikimania“, die am Wochenende in Washington | |
stattfand: Der überwiegende Teil der Anwesenden war männlich. „Viele Leute | |
sagen zwar, es wäre toll, mehr Frauen dabei zu haben“, erzählt Stierch. | |
„Anderen ist es aber egal, weil sie meinen, das Internet sei | |
geschlechtsneutral.“ | |
„Es ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung“, meinte der Vorsitzende von | |
Wikimedia Deutschland, Pavel Richter. Es wirke prägend, wenn 92 Prozent der | |
Redakteure Männer seien. Dies führe dazu, dass es weniger für Frauen | |
interessante Artikel und somit auch weniger weibliche Leser gebe. Dass es | |
auch schwieriger sei, Frauen für eine Mitarbeit bei Wikipedia zu | |
begeistern, sei somit kein Wunder. | |
## „Belangloses Frauengeschwätz“ | |
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales räumte auf der Jahrestagung ein, dass die | |
geringe Beteiligung von Frauen ein Problem sei. Er machte das an einem | |
konkreten Beispiel fest: Kaum war in Wikipedia ein Artikel über das | |
Hochzeitskleid von Prinz Williams Frau Kate Middleton erschienen, regten | |
sich viele darüber auf und forderten, den Text umgehend zu löschen. | |
„Es wäre ein großer Fehler zu behaupten, so etwas sei belangloses | |
Frauen-Geschwätz und gehöre deshalb nicht in ein Lexikon“, warnte er. | |
Schließlich gebe es in Wikipedia einige hunderte Beiträge über das | |
Betriebssystem Linux, was nur Computerfreaks wirklich interessiere. | |
Aber nicht nur die Inhalte sind ein Problem. Auch das technisch hoch | |
komplizierte Wikipedia-Programm zum Schreiben und Bearbeiten der Artikel | |
stellt Frauen - wie Männer - vor eine große Herausforderung. „Frauen | |
wünschen sich ein anderes Design“, weiß Stierch. „Die meisten glauben | |
nicht, dass sie Texte bearbeiten können.“ Schon die Edit- Taste mache | |
vielen Angst. Einen wichtigen Schritt, das zu ändern, haben die | |
Wikipedia-Macher kürzlich getan: Im Juni stellten sie die Testversion eines | |
benutzerfreundlicheren Programms vor. | |
## „Teahouse“ für Frauen | |
Den Schlüssel, um den weiblichen Anteil zu erhöhen, sieht Stierch darin, | |
Frauen in einer ihnen vertrauten Umgebung anzusprechen. Sie selbst rief ein | |
Online-Projekt, das „Teahouse“, ins Leben, das Frauen Wikipedia näher | |
bringen will. Mit einer anderen Initiative versuchen sogenannte | |
Campus-Botschafter, Studenten und Professoren für Wikipedia zu begeistern. | |
Dieses Projekt hat bei Frauen ebenfalls Erfolg – auch im Ausland: An der | |
Universität von Alexandria in Ägypten seien mehr als die Hälfte der | |
Campus-Botschafter Frauen. | |
Mary Gardiner, die Mitbegründerin einer Initiative zur Beteiligung von | |
Frauen an Open-Source-Technologien, forderte die Wikipedianer auf der | |
Jahrestagung zu mehr Offenheit auf. „Ein erster guter Schritt wäre es, aus | |
der eigenen Wohlfühlzone herauszukommen.“ Es gelte, viel über andere zu | |
lesen, bevor man wirklich mit ihnen reden könne. Ihr Rat: „Haltet den Mund | |
und hört einfach mal zu!“ | |
16 Jul 2012 | |
## TAGS | |
Feminismus | |
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