# taz.de -- Flüchtlinge I: Warten auf bessere Zeiten | |
> Ob Flüchtlinge die Zeit bis zur Bearbeitung ihres Asylantrags sinnvoll | |
> nutzen können, hängt davon ab, wo sie untergebracht werden. Brandenburg | |
> bietet weniger als Berlin. | |
Bild: Aufbruch: Ein Mann zieht seinen Koffer durch Kabul. | |
Schlafen, wenn es dunkel wird – das würde er gern manchmal, erzählt der | |
25-jährige Hossein: „Was soll ich denn sonst hier machen?“ Im | |
Flüchtlingsheim Waßmannsdorf im Brandenburger Landkreis Dahme-Spreewald | |
teilt er sich ein Zimmer mit zwei weiteren Männern. „Da will einer | |
schlafen, einer fernsehen, einer reden“, erzählt Hossein. Ruhe finde man | |
nur schwer. Etwa 70 Menschen aus Afghanistan und dem Iran wohnen in dem | |
Heim zusammen mit Flüchtlingen aus anderen Ländern. „Glücklicherweise | |
verstehen wir Iraner und Afghanen uns gut und helfen einander“, sagt Mina, | |
Iranerin. | |
Wer hier wohnt, hat im Vergleich zu den Berlinern den Schwarzen Peter | |
gezogen. 500 Meter vom Heim entfernt steht das Berliner Ortseingangsschild. | |
Muttersprachliche Beratung, Anwälte, Sprachkurse gibt es nur dahinter – auf | |
dem flachen Brandenburger Land sind solche Angebote dünn gesät. Für die | |
Flüchtlinge im Heim heißt das: „65 Euro monatlich für die Fahrkarte, 30 f�… | |
den Anwalt“, berichtet Atta, ebenfalls Iraner. Von den knapp 200 Euro, die | |
er nach dem Asylbewerberleistungsgesetz monatlich bekommt, bleiben | |
lediglich 105 Euro übrig: für Essen, Kleidung, Telefonate und alles übrige. | |
In Waßmannsdorf klingen die Geschichten der Flüchtlinge anders als in | |
Berlin – nicht die von der Flucht, die von der Zeit nach der Ankunft. Von | |
Hoffnung, von Sicherheit ist kaum zu hören. Es geht um Warten, um | |
Aushalten. | |
Atta und seine Frau wohnen seit 15 Monaten hier, etwa zwölf Quadratmeter | |
groß ist das Zimmer, in dem die beiden schlafen, essen, wohnen. Was sie | |
tun? „Warten“, sagen die beiden Akademiker. Eine Reaktion auf ihren | |
Asylantrag haben sie bisher nicht bekommen. Auch Hossein wartet auf die | |
Bearbeitung seines Antrags, aber auch auf eine Operation, deren | |
Notwendigkeit ihm der Arzt bestätigt hat: Er hat offene Wunden an den | |
Beinen, Folge starker Krampfadern. Die zuständige Behörde hat den Eingriff | |
trotzdem bislang abgelehnt. | |
Mina zeigt ihr Zimmer im Wohnheim – vielleicht 25 Quadratmeter, die sie | |
sich mit ihrem Mann und dem 17 Jahre alten Sohn teilt. Ein Schrank teilt | |
den Raum mit drei Fenstern in zwei Teile, dahinter, wo die Betten stehen, | |
ist kein Glas im Rahmen. Eine Plastikfolie verdeckt die Öffnung: „Das war | |
schon immer so“, sagt Mina, die seit neun Monaten im Heim lebt. Seit zwei | |
Monaten hat ihr Sohn einen Schulplatz, Jahrgangsstufe 9, in einer | |
Regelklasse. Deutschunterricht hatte er vorher nicht, von dem im Unterricht | |
Gesprochenen versteht er kein Wort: „Den Stoff kann ich aber“, sagt der | |
17-Jährige. Schule im Iran sei viel anspruchsvoller. | |
Mina führt zu den Frauenduschen im Heim, Sammelduschen im Keller, wo auf | |
nacktem Betonboden Pfützen stehen und Rohre unter der niedrigen Decke | |
entlanglaufen. „Die Frauen haben Angst, hier abends duschen zu gehen“, sagt | |
Hossein. Sie müssen dann vormittags duschen: Von 12 bis 18 Uhr sind die | |
Sanitärräume abgeschlossen. Niemand weiß, warum. | |
Die Afghanin Shakila und ihre Familie leben seit zwei Jahren hier. Sie | |
haben es gut: Die Wartezeit auf die Bearbeitung des Asylantrags ist | |
abgeschlossen. Der Antrag ist abgelehnt, trotzdem hat die vierköpfige | |
Familie einen dreijährigen Aufenthalt bekommen. Sie dürfen aus dem Heim | |
ausziehen. Doch südlich von Berlin rund um den künftigen Flughafen ist | |
Wohnraum inzwischen Mangelware, die Mietpreise explodieren. Shakila | |
schießen die Tränen in die Augen, als sie von ihrer Angst berichtet, dass | |
ihre Kinder, 16 und 7 Jahre alt, nie aus diesem Wohnheim herauskommen. Die | |
Flüchtlingsfamilie muss in dem Landkreis bleiben, dem sie zugewiesen wurde: | |
Eine Wohnung in Berlin suchen darf sie nicht. Das Warten geht weiter. | |
## Ein Baby im Heim | |
Auch die 18-jährige Zahra wartet: auf ihr erstes Baby. Vor fünf Monaten ist | |
sie mit ihrem Mann Omid aus Afghanistan gekommen, nun ist sie im vierten | |
Monat schwanger. Das Zimmer der beiden ist kaum zehn Quadratmeter groß, | |
Holzplatten liegen statt des defekten Lattenrostes unter ihren Matratzen | |
auf den Betten, die den halben Raum einnehmen. Nein, sie habe kaum | |
Hoffnung, dass sie aus dem Heim herauskomme, bevor ihr Kind geboren wird, | |
sagt Zahra und zeigt auf den Kinderwagen vor dem Nachbarzimmer: Dort wurde | |
gerade ein Baby geboren. | |
Einige der iranischen und afghanischen Flüchtlinge aus dem Heim besuchen | |
die Sprachkurse und Beratungsstunden des Iranischen Flüchtlingsvereins in | |
Berlin. Mit dessen Hilfe haben sie eine Petition verfasst, „an die | |
Zuständigen der Flüchtlingspolitik in Brandenburg“. Ihr Heim müsse | |
besichtigt, die Einhaltung von Hygienestandards geprüft werden, und sie | |
möchten die Erstattung der Fahrkarten für die Deutschkurse in Berlin und | |
Hilfe bei der Wohnungssuche. Ein ähnlicher Versuch von Flüchtlingen aus dem | |
Heim vor eineinhalb Jahren blieb ohne Folgen. | |
Mina zeigt die Packung mit den Antidepressiva, die sie seit Monaten nehmen | |
muss. Im Iran arbeitete die 40-Jährige als Krankenhausmanagerin, ihr Mann | |
ist Ingenieur für Elektrotechnik. „Unsere besten Jahre, die besten Jahre | |
unserer Kinder gehen hier vorbei“, sagt sie. Warum es in einem Land wie | |
Deutschland geduldet wird, dass Menschen so leben müssen, fragt sie. Die | |
Antwort versteht sie nicht. „Sie wissen es nicht? Wie kann es sein, dass | |
Sie das nicht wissen?“, fragt sie: „So ein Leben ist menschenunwürdig.“ | |
17 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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