# taz.de -- Flüchtlinge II: Ankommen statt Ausharren | |
> Flüchtlinge in Berlin können auf Beratung, Sprachkurse und Anwälte | |
> zugreifen. | |
Bild: Aufbruch: Ein Mann zieht seinen Koffer durch Kabul. | |
Puh – ein kleiner Seufzer geht durch die Reihen der Deutschschülerinnen und | |
-schüler im Iranischen Flüchtlingsverein in Neukölln. „Arbeiten: die | |
Arbeit. Unterrichten: der Unterricht“, hat Lehrer Alireza Amoozandeh gerade | |
erklärt: Nein, eine Regel, welchen Artikel das aus dem Verb gebildete | |
Hauptwort bekommt, gebe es im Deutschen nicht: „Das müsst ihr einfach | |
auswendig lernen.“ | |
Einfach. Einfach ist hier eigentlich erst mal wenig. Wer in diesem | |
Sprachkurs sitzt, hat oft erst die lateinische Schrift, manchmal überhaupt | |
erst Lesen und Schreiben lernen müssen, um teilzunehmen. Oder um mit den | |
vielen Formularen umgehen zu können, mit denen der Neustart in Deutschland | |
die Flüchtlinge konfrontiert. Trotzdem ist die Stimmung im Deutschkurs und | |
in den Beratungsstunden, die der Verein iranischer Flüchtlinge seit einigen | |
Jahren auch Flüchtlingen aus Afghanistan anbietet, überwiegend | |
optimistisch. Mancher ist erst seit wenigen Monaten hier und kann schon | |
erste Sätze auf Deutsch sagen, amtliche Briefe lesen und halbwegs | |
verstehen. Die Bereitschaft der Neuankömmlinge, „es hier zu schaffen, auch | |
unabhängig zu werden von staatlicher Zuwendung“, sei enorm hoch, sagt | |
Tahere Mayvand-Grewemeyer. Sie ist selbst vor über 30 Jahren aus | |
Afghanistan nach Deutschland gekommen und berät nun in dem Verein | |
Neuankömmlinge: „Die wollen nach oben.“ | |
Zum Beispiel Homa. Mit drei Kindern und ihrem Mann kam die 40-Jährige vor | |
gut einem Jahr aus Kabul nach Berlin. Wie bei vielen hier war es ihre | |
zweite Flucht aus Afghanistan: 17 Jahre hatte Homa im Iran gelebt, bis sie | |
vor vier Jahren in ihre Heimat zurückkehrte. Im Iran waren die Flüchtlinge | |
aus dem Nachbarland nicht gern gesehen gewesen: Es gab keine | |
Arbeitserlaubnisse, keine Schulplätze für die Kinder – Afghanistan schien | |
sicherer zu sein. Die Familie baute sich einen kleinen Lebensmittelladen | |
auf. | |
## Flucht über die Berge | |
Als der gut lief, kamen jedoch die Schutzgelderpresser – „Dschihadis“ nen… | |
Homa sie – und drohten mit der Entführung der Kinder. Die Flucht nach | |
Berlin verlief über den Iran, die Türkei und Griechenland. Homa weint, als | |
sie von dem Weg über die Berge zwischen dem Westiran und der Osttürkei | |
erzählt, wo man es mit „schrecklichen Menschen“ – Schleppern – zu tun … | |
und die Tochter fast abgestürzt wäre. Auch in Griechenland hatte sie Angst | |
um ihre jetzt 12 und 15 Jahre alten Töchter – auch dort bedrohten | |
Einheimische die Flüchtlinge. | |
Jetzt haben alle Kinder Schulplätze, ihr siebenjähriger Sohn hat die erste | |
Klasse hinter sich gebracht mit einer Beurteilung, mit der sie „sehr | |
zufrieden“ sei, sagt Homa. Die Älteste besucht derzeit eine spezielle | |
Kleinklasse zum Deutschlernen. Man habe ihr dort schon prophezeit, dass sie | |
es aufs Gymnasium schafft, erzählt Homa. Sie selbst macht derzeit zwei | |
Deutschkurse gleichzeitig, neben dem beim Iranischen Flüchtlingsverein noch | |
einen eigenfinanzierten. Die Familie hat einen auf drei Jahre befristeten | |
Aufenthaltstitel bekommen – mit guter Perspektive für eine Verlängerung, | |
sagt Hamid Nowzari vom Flüchtlingsverein. | |
In dem Verein, auch im Flüchtlingswohnheim im Berliner Westen habe man ihr | |
sehr geholfen, sich in Deutschland zurechtzufinden, erzählt Homa. Nun | |
bewohnt ihre Familie eine eigene Wohnung, vier Zimmer, 108 Quadratmeter. | |
Homa ist glücklich. Bald will sie endlich eine Ausbildung beginnen: | |
„Verkäuferin wäre schön“, sagt sie. | |
Viele der Flüchtlinge aus Afghanistan hätten dort unter Bedingungen gelebt, | |
die man sich hier nur schwer vorstellen könne, sagt Tahere | |
Mayvand-Grewemeyer: „Eigentlich müssten sie alle durchgedreht sein. Aber | |
der Krieg hat sie gelehrt, sich anzupassen.“ Selbst heute seien in Kabul | |
Wasser und Strom nichts Selbstverständliches: „Wir haben eben mit Kerzen | |
gekocht und geschlafen, wenn es dunkel wird“, habe ihr eine Flüchtlingsfrau | |
erzählt. In Berlin hätten die Flüchtlinge nun „Sicherheit gefunden, ein | |
Dach über dem Kopf, genug zu essen, die Kinder gehen zur Schule: Klar sind | |
sie hier zufrieden.“ ALKE WIERTH | |
16 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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