| # taz.de -- Chusovitinas sechste Olympische Spiele: Die Einmalige vor ihrem let… | |
| > Turnerinnen sind meist sehr jung. Oksana Chusovitina wird mit einer | |
| > Mischung aus Ungläubigkeit und Respekt betrachtet: Sie ist 37 und nimmt | |
| > zum sechsten Mal an Olympia teil. | |
| Bild: Oksana Chusovitina: „Ich kann sagen, ich bin alt.“ | |
| BERLIN taz | Die weltbesten Turnerinnen sind sehr klein, sehr leicht und | |
| vor allem sehr jung. Über Jahre trainieren sie rund dreißig Stunden in der | |
| Woche, und wenn alles gut geht, dann starten sie ein einziges Mal bei | |
| Olympischen Spielen. Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel. Oksana | |
| Chusovitina ist die Ausnahme, und das schon sehr lange. | |
| Auch sie ist sehr klein und sehr leicht, ihr Körper ist von jenen | |
| vorpubertären der 15-jährigen Konkurrentinnen nicht zu unterscheiden. Aber | |
| sie ist im Juni 37 Jahre alt geworden, trainiert nur noch etwa zwei Stunden | |
| am Tag und wird in London ihre sechsten Olympischen Spiele erleben. Eine | |
| Karriere, die in der Geschichte des Frauenturnens einmalig ist und die | |
| eigentlich niemand für möglich hielte, würde Chusovitina sie nicht | |
| vorleben. Mittlerweile begegnet ihr die Turnwelt mit einer Mischung aus | |
| Ungläubigkeit und großem Respekt. | |
| Für Chusovitina selbst war es all die Jahre normal, zu turnen: Sie tut eben | |
| das, was sie gelernt hat. An die Anfänge erinnert sie sich genau, damals im | |
| usbekischen Buchara. Gemeinsam mit ihrem Bruder ging sie in die Turnhalle | |
| und liebte besonders die Ringe, ein Männergerät. Der Bruder hörte bald | |
| wieder auf, und ihr sagte man: Du musst zu den Mädels gehen! „Aber ich | |
| hatte Spaß an den Ringen.“ Sie ging dann doch zu den Mädels und zu ihrer | |
| langjährigen Trainerin Swetlana Kusnetsowa, mit der sie auch heute noch | |
| nach jedem Wettkampf telefoniert. | |
| 1991 gewann Chusovitina ihr erstes WM-Gold für die Sowjetunion, 1992 | |
| Teamgold mit der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bei den Spielen in | |
| Barcelona. Die politischen Umbrüche spielten kaum eine Rolle, nach den | |
| Spielen seien alle aus dem Team „anderen Ländern zugeschrieben“ worden, sie | |
| habe dann eben für Usbekistan gewonnen und „einfach weitergeturnt“. | |
| Ende der Neunziger Jahre dachte Chusovitina nach der Geburt ihres Sohns | |
| Alisher und dem ersten Achillessehnenriss erstmals ans Aufhören. Aber das | |
| war nur ein Gedanke. In Sydney startete sie 2000 erneut, gemeinsam mit | |
| ihrem Mann, dem usbekischen Ringer Bakhodir Kurpanov, und errang in den | |
| kommenden Jahren weitere WM-Medaillen an ihrem Spezialgerät Sprung. Bis sie | |
| 2002 am schwersten Moment ihrer Karriere stand: „Nach irgendeinem Wettkampf | |
| kam ich nach Hause, und der Arzt sagte mir: ’Dein Sohn ist sehr krank.‘ “ | |
| ## Spendensammlungen in der ganzen Welt | |
| Alishers Leukämie konnte in Taschkent nicht adäquat behandelt werden. Die | |
| sprichwörtliche Turnfamilie half und sammelte in der ganzen Welt Spenden. | |
| In Köln, für dessen Bundesligateam Chusovitina bereits seit Jahren | |
| startete, organisierte man die Behandlung in der dortigen Uniklinik. | |
| Chusovitina wohnte alsbald im Kölner Schwesternheim und turnte weiter. Sie | |
| habe damals nicht ans Turnen gedacht, es einfach getan, mit ihrer neuen | |
| Kölner Trainerin Shanna Poljakova. Die mageren Preisgelder bekamen eine | |
| existenzielle Bedeutung, galt es doch die Behandlung Alishers zu | |
| finanzieren. 2003 wurde sie Weltmeisterin am Sprung. Das Interesse des | |
| Deutschen Turner-Bunds ließ nicht lange auf sich warten, die Einbürgerung | |
| gelang allerdings erst 2006. Seitdem sammelt Chusovitina Medaillen für | |
| Deutschland, dessen Frauenturnen zuvor eher drittklassig gewesen war. Bei | |
| den Spielen 2008 gewann sie Silber am Sprung und erfuhr kurz darauf, dass | |
| Alisher wieder völlig gesund ist. „Das war die schönste Nachricht und Zeit | |
| in meinem ganzen Leben.“ | |
| ## Konkurrenz im eigenen Team | |
| Seit drei Jahren ist Chusovitina Cheftrainerin der usbekischen Turnerinnen, | |
| auch dies wohl eine weltweit einzigartige Konstellation. Doch momentan hat | |
| das eigene Training absoluten Vorrang. In London möchte sie noch einmal | |
| „ganz gut springen“. Sie ist amtierende Vizeweltmeisterin und hat in diesem | |
| Jahr weltweit die dritthöchste Wertung (14,966 Punkte) zu verbuchen. | |
| Konkurrenz ist ihr im eigenen Team erwachsen: Janine Berger aus Ulm, | |
| geboren 1996, springt noch einen Tick schwieriger als Chusovitina, | |
| Erfahrung auf der großen Bühne hat sie allerdings noch keine. | |
| In der Halle seien „alle gleich“, da merke sie den Altersunterschied gar | |
| nicht. „Wir sind alle Freundinnen“, sagt Chuso, wie man sie in Deutschland | |
| nennt. Aber langsam reicht es ihr. „Ich kann sagen, ich bin alt“, sagt | |
| Chusovitina sehr ernst. Sie habe jetzt „ein ganz tolles Leben“, aber sie | |
| wolle mehr Zeit mit ihrem Mann und ihrem Sohn verbringen, und dann müsse | |
| eben mal Schluss sein – nach London. | |
| 20 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Sandra Schmidt | |
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