# taz.de -- Kuratorin über Politik und Kunst in Rumänien: „Dieser Krieg mus… | |
> Die Kunstkritikerin und Kuratorin Raluca Voinea will sich nicht mehr für | |
> das geringere Übel entscheiden müssen. Ein Gespräch über Politik, | |
> Zivilgesellschaft und Korruption in Rumänien. | |
Bild: Anti-Basescu-Proteste in Rumänien. | |
taz: Frau Voinea, werden Sie an dem Referendum am kommenden Sonntag | |
teilnehmen, in dem es darum geht, ob die Absetzung des langjährigen | |
Präsidenten Basescu durch das Volk bestätigt wird? | |
Raluca Voinea: Ja, ich werde für die Amtsenthebung von Präsident Basescu | |
stimmen. Eigentlich unterliegt dies ja dem Wahlgeheimnis, aber um der | |
Diskussion willen sage ich das öffentlich. Bei dem vergangenen Referendum | |
im Jahr 2007 habe ich für ihn gestimmt, das habe ich später bedauert. Es | |
gibt viele Gründe, aus denen man ihm nicht neuerlich das Vertrauen | |
aussprechen sollte. | |
Wäre Ihre Stimme damit nicht aber eine für die gegenwärtige Regierung unter | |
Ponta, von der man in Westeuropa den Eindruck hat, sie bedrohe die | |
Demokratie? | |
Nein, das ist es ja. So ist es in den vergangenen zwanzig Jahren immer | |
gewesen. Leute wurden immer in die Situation gebracht, sich für ein | |
geringeres Übel entscheiden zu müssen. Heute gibt es eindeutige Reaktionen | |
und starke Kritik aus allen Bereichen des ideologischen Spektrums, die sich | |
dieser Hysterie der Polarisierung zu entziehen versuchen. Das Referendum | |
ist erst einmal nur ein Schritt. Es ist im Grunde eine logische Konsequenz | |
der Proteste, die Anfang des Jahres begannen, und wenn der Präsident damals | |
zurückgetreten wäre, wären wir heute vielleicht in einer anderen Situation. | |
Es gibt seit sechs Monaten Proteste gegen Basescu. Warum? | |
Vor allem wegen der Austeritätspolitik. Die Menschen haben das Gefühl, dass | |
man sie bei den Entscheidungen der letzten Jahre vollständig ignoriert hat. | |
Viele Gesetze wurden fast im Geheimen beschlossen. Ausgelöst wurden die | |
Proteste von einer scheinbar unbedeutenden Personalentscheidung. Der | |
Präsident forderte den Unterstaatssekretär für Notfallmedizin, Raed Arafat, | |
zum Rücktritt auf. Aber die Verbitterung geht weit über diesen Anlass | |
hinaus. Bei den Protesten ging es nicht um einen Regierungswechsel, aber | |
natürlich trat genau das ein. Und die neue Regierung hat nun manche der | |
neoliberalen Maßnahmen sogar noch beschleunigt. | |
Gibt es dazu Alternativen? | |
Ich weiß nicht, ob es unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen | |
andere Möglichkeiten gibt, vor allem angesichts des Drucks, den die EU und | |
der IWF ausüben. Die Grundbedürfnisse der Menschen werden ignoriert. Im | |
Gesundheitssystem, in der Bildung, in der Sozialpolitik werden wir | |
langfristige Konsequenzen sehen, und sie werden schlimm sein. Der Präsident | |
lässt sich nun als Opfer eines Putsches zeichnen, aber das kann nicht von | |
der Staatskrise ablenken, von der die Menschen betroffen sind. Er | |
verkörpert diese Krise, auch wenn er natürlich nicht allein dafür | |
verantwortlich ist. | |
In Westeuropa gilt Basescu als der Mann, der verhindert hat, dass Rumänien | |
zu einem zweiten Griechenland wurde. | |
Ich bin keine Ökonomin, deswegen kann ich das schwer einschätzen. Das mag | |
zutreffen, wenn man der Meinung ist, dass die EU unserem Land die richtige | |
Richtung vorgibt. Aber mehr und mehr Menschen haben daran Zweifel. Rumänien | |
ist stark ländlich geprägt, und viele der Regulierungen der EU dienen vor | |
allem der Sicherung der Marktmacht der großen Länder. Viele Dörfer sind | |
entvölkert, weil es für die Leute mehr bringt, in Spanien Erdbeeren zu | |
pflücken, als ihren eigenen Boden zu bestellen. | |
Die Landwirtschaft ist zu einem großen Experiment geworden. Alle Parteien | |
haben auch enge Verbindungen mit US-Lobbys, und so können Konzerne in | |
Rumänien all das tun, was sie anderswo in Europa nicht dürfen: genetisch | |
modifizierte Sorten anbauen zum Beispiel. Für Investitionen wird nahezu | |
alles erlaubt. Jetzt ist das Fracking die nächste große Sache, obwohl | |
bekannt ist, dass diese Form der Erdgasgewinnung große Risiken birgt. In | |
Rosia Montana wird versucht, Gold mit Hilfe von Cyanid abzubauen. Die | |
Proteste dagegen sind die am längsten andauernden in Rumänien seit 1989. | |
Wie sehen Sie Victor Ponta? | |
Es ging bisher fast nur um Personalentscheidungen, während sich im | |
Hintergrund schon unter Basescu das Klima immer stärker nationalisiert hat. | |
Dazu kommt eine weitverbreitete Rückkehr zur Religion, die orthodoxe Kirche | |
ist ein florierender Wirtschaftsbetrieb. Und eine Menge Geld geht in | |
private Sicherheitsdienste, Überwachungstechnik und in die Polizei. Ponta | |
macht übergangslos dort weiter, wo auch Basescu schon war: Er spielt ein | |
politisches Spiel, in dem das Volk nur zur Stimmabgabe da, wenn überhaupt. | |
Dabei fehlen die Alternativen. Aber Basescu war zuerst da, deswegen ist es | |
richtig, wenn die große Welle des Misstrauens ihn zuerst trifft. Wenn Ponta | |
und Antonescu aber glauben, dass diese Stimmen für sie sind, dann sind sie | |
im Irrtum. Die Leute werden Wege finden, danach auch sie unter Druck zu | |
setzen. Dieser Krieg muss enden, damit wir endlich zu den wichtigen Dingen | |
kommen können. | |
Ist Ponta eine Marionette, oder agiert er in eigener Sache? | |
Viele unserer Politiker waren anfangs die „Kreaturen“ ihrer Vorgänger. | |
Sobald sie aber im Amt sind, emanzipieren sie sich. Die Macht entgrenzt sie | |
gewissermaßen, sie agieren plötzlich, als wären sie unsterblich. Das soll | |
nicht heißen, dass die Parteistrukturen nicht nach wie vor stark wären. | |
Aber ich würde Ponta nicht als Instrument in den politischen Plänen anderer | |
sehen. | |
Das Hauptinteresse der gegenwärtigen Regierung ist der Schutz einer | |
korrupten Elite, heißt es in den deutschsprachigen Medien. | |
Korruption ist unser größtes Problem. Es liegt offen zutage, niemand | |
versucht, sie zu verbergen. Sie gehört zu der Weise, wie hier Geschäfte und | |
Politik gemacht werden, und sie trägt zu der kaum zu durchdringenden | |
Verflechtung dieser beiden Bereiche bei. Basescu gelang es, den Eindruck zu | |
erwecken, er ließe ein funktionierendes Justizwesen entstehen. Er schwang | |
die antikommunistische Flagge und legte die Netzwerke der Securitate offen. | |
Daneben ging aber alles ganz normal weiter, die Tentakel wurden nicht | |
gekappt. Leute aus allen Parteien profitieren von einem System, in dem die | |
meisten staatlichen Agenturen von politisch nominierten Leuten geführt | |
werden. Die Politiker machen Geschäfte mit dem Staat, sie erhalten für sich | |
und ihr Umfeld alle möglichen Privilegien. | |
Was ist von der früheren Justizministerin Monica Macovei zu halten? | |
Die Zivilgesellschaft in Rumänien ist zerrissen. Intellektuelle, die | |
Basescu nahestehen, haben die Rede von einem Staatsstreich forciert. Sie | |
behaupten, die öffentliche Meinung zu repräsentieren. Aber das stimmt | |
nicht. Als Justizministerin trat Monica Macovei auf wie eine neue Silvia | |
Conti (aus der Fernsehserie „Allein gegen die Mafia“, d. Red.). Aber im | |
Moment lässt sie sich zu sehr von ihrer Loyalität für Basescu leiten. Sie | |
erweckt den Eindruck, wir wären immer noch im Jahr 1990 und würden auf dem | |
Universitätsplatz gegen die Kommunisten kämpfen. Die Katastrophenrhetorik | |
macht alles noch schlimmer. Was wir brauchen, ist Luzidität, Besonnenheit | |
und Vernunft. Und niemand ist heute vernünftig, unsere Politik ist sehr | |
emotional. | |
Was stehen die Dinge bei der Auseinandersetzung um das rumänische | |
Kulturinstitut? | |
Das ICR war die erste Institution, die Ponta attackierte. Sein Direktor, | |
Horia-Roman Patapievici, wurde 2004 von Basescu bestellt, das Institut | |
unterstand bisher immer dem Präsidenten. Patapievici hat nie ein Hehl | |
daraus gemacht, dass er für Basescu ist. Davon unabhängig aber hat er gute | |
Arbeit geleistet. Das ICR hat viel für die Gegenwartskunst getan. Es hat | |
begriffen, dass Nationalkultur nicht nur aus Tradition und Folklore | |
besteht, sondern immer im Entstehen ist. Ponta unterstellte das Institut | |
dem Senat. | |
Die meisten Angehörigen dieser Kammer verstehen nichts von Kultur. Damit | |
war der Krieg gegen Basescu eröffnet, damit wurde aber auch klar, dass die | |
Kultur insgesamt auf Linie gebracht werden sollten. Das Institut sollte | |
dazu gebracht werden, „im Chor mitzusingen wie alle anderen“, so | |
formulierte es der Kulturminister. Der ganze Zynismus der Sache wurde in | |
dem Moment deutlich, in dem Ion Antonescu zum Interimspräsidenten bestellt | |
wurde. Mit breitem Grinsen fragte Ponta nun Patapievici: Nun, wollen Sie | |
immer noch lieber in die Zuständigkeit des Präsidenten gehören? | |
Hat die Kunstinstitution Tranzit schon eine Örtlichkeit gefunden? | |
Noch nicht. Ich habe mich um einen Mietvertrag in einem staatlichen Gebäude | |
bemüht, aber im Moment geht nichts weiter. Das kann sich noch bis zu dem | |
Parlamentswahlen so hinziehen, dass die Behörden de facto in Wartestellung | |
bleiben. Ich plane zur Eröffnung eine Ausstellung über den | |
Universitätsplatz in Bukarest, da ist es wichtig, wo sie zu sehen sein | |
wird. Denn nichts ist hier ideologisch neutral, auch die Architektur nicht. | |
Wenn ich einen Ort in einer der vielen schönen, modernistischen Villen | |
mieten würde, die wir in Bukarest haben, könnte das die Ausstellung | |
neutralisieren. | |
Die Implikation dieser Ausstellung ist, dass dieser Platz, auf dem 1990 für | |
die Demokratie demonstriert wurde, immer noch starke Symbolkraft hat. | |
Das war die Hoffnung. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, denn die | |
Stadtverwaltung hat mit der Umgestaltung des Platzes begonnen. Der Brunnen, | |
der ein wichtiger Treffpunkt geworden ist, soll abgerissen werden. Die | |
Anordnung des Platzes soll verändert werden, sodass der Zugang für die | |
Leute erschwert wird. Die Machthaber tun alles, um diesen Platz des | |
Protests zu neutralisieren. Es gab die Hoffnung, hier so etwas wie eine | |
Agora zu haben, aber es ist unklar, ob so etwas noch toleriert wird. | |
25 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Bert Rebhandl | |
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