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# taz.de -- Drogenpolitik in den Niederlanden: Ausländische Kiffer bleiben dra…
> Seit der Einführung des Mitgliedspasses „Wietpas“ haben zahlreiche
> Maastrichter Coffeeshops geschlossen. Ein Zeichen der Not, denn gedealt
> wird jetzt auf der Straße.
Bild: Cannabiskonsum im Maastrichter Coffeeshop: Nur noch für Einheimische, di…
MAASTRICHT taz | Gleich hinter den Anlegern der Maas-Redereien, wo
Fahrgäste auf Boote warten, beginnt es zu zischeln. „Kss, kss“, klingt es
den Passanten entgegen. „Français? Belge? Deutsch?“ Wer den Blick nicht
abwendet, bekommt ein beflissenes „Tu veux quelque chose?“ zu hören. Dazu
malen Daumen und Zeigefinger imaginäre Päckchen in die Luft: „Marihuana?“
Straßendealer auf Akquise gehören in diesem Sommer zum Alltag an der
Uferpromenade in Maastricht.
Sie profitieren von einem Strukturwandel: Die südlichste Stadt der
Niederlande, durch ihre grenznahe Lage seit jeher Wallfahrtsort für
Westeuropas Cannabisliebhaber, verweigert Drogentouristen den Zugang zu
ihren Coffeeshops. Wie im gesamten niederländischen Grenzgebiet häuften
sich hier Klagen der Bewohner, die sich durch falsch parkende Autos, wildes
Fahren, lärmende Menschen belästigt fühlten.
„Wir sind eine Provinzstadt“, erklärt Rathaussprecher Gertjan Bos. Seit dem
1. Mai sind auswärtige Kiffer nun auch offiziell nicht mehr willkommen. Aus
Protest gegen die neue Regelung blieben Maastrichts Coffeeshops am Stichtag
dicht. Die Hälfte ist es noch immer. Im „Kosbor“ hängt ein Plakat im
Fenster: „Wegen Reorganisation bis auf Weiteres geschlossen.“
Von Reorganisation zeugt auch der verwaiste Parkplatz unten am Fluss, wo
sich bis vor Kurzem Pkws aus Nordrhein-Westfalen und Belgien Stoßstange an
Stoßstange drängten. Ihr Ziel war die weiße Flotte der schwimmenden
Cannabisquellen, zwei Personenschiffe auf der Maas, umfunktioniert zu
Coffeeshops. Während die „Smoky“ nach wie vor geschlossen ist, hat die
„Mississippi“ nebenan seit einigen Wochen wieder geöffnet. Doch an Deck, wo
einst 1.500 Gäste täglich in einem Sprachmischmasch aus Französisch,
Englisch, Deutsch und Niederländisch plauderten, geht es still zu. Den
beiden einzigen Kundinnen ist der lokale Akzent anzuhören.
## 400 neue Arbeitslose
„Zwei Prozent meines Umsatzes sind mir geblieben“, sagt Stephan Korsten. Er
ist Mitinhaber der „Mississippi“, außerdem betreibt er noch einen
Coffeeshop in der Stadt. Was bleibe ihm anderes übrig, als Mitarbeiter zu
entlassen? Nur noch neun von ehemals 40 Angestellten arbeiteten für ihn,
berichtet Korsten. In der ganzen Stadt hat die neue Drogenpolitik bislang
400 Menschen den Job gekostet.
In der Vitrine vor der holzgetäfelten Bordwand der „Mississippi“ stehen
neben bunten Bongs die Kristallwürfel, mit denen die Produkte des Hauses
kürzlich ausgezeichnet wurden. Ein erster Preis für Marihuana Marke Bio
Haze, ein dritter für Nederhasj, dazu der Pokal des Gesamtsiegers beim
Highlife Cup 2012. „Schade, dass dies niemand mehr sieht“, sagt Korsten,
der erwägt, im Herbst seine Coffeeshops ganz zu schließen. Aufstieg und
Fall seines Familienunternehmens stünden dann durchaus symbolisch für die
Geschichte der niederländischen Softdrugs-Politik.
Ende der 1980er Jahre musste Korstens Vater, ein Binnenschiffer, in
Maastricht anlegen. Eine größere Reparatur stand an, doch die Bank
verweigerte den nötigen Kredit. So begann Korsten senior, der vorher nie
mit Drogen zu tun hatte, an der Maas mit Gras zu handeln. Weil die Stadt
gerade dabei war, den Wildwuchs im Drogenbereich in offizielle Bahnen zu
lenken, kam eines Tages ein Beamter an Bord und lud ihn ein, aus seinem
Schiff einen offiziellen Coffeeshop zu machen. Zwanzig Jahre später steht
die „Mississippi“ ebenso vor dem Aus wie die Institution Coffeeshop.
Wenn Korstens aus dem Bullauge schaut, kann er an der Uferpromenade die
Dealer bei der Arbeit beobachten. Anders als die Coffeeshops fühlen sie
sich nicht an den Auftrag gebunden, weiche Drogen von den harten zu
trennen. Dieses Prinzip stand 1976 am Anfang der liberalen niederländischen
„Duldungspolitik“. Gerade im Grenzgebiet aber versuchten Straßenhändler
schon länger ins Geschäft einzusteigen.
## Kaum Registrierungen
Die neue Regelung spielt ihnen nun auf einen Schlag das Gros des Markts zu.
„Das wird ein guter Handel“, versicherte ein Maastrichter Dealer am Tag der
Einführung im Fernsehen. Er behielt Recht. 400 Verhaftungen wegen illegalen
Kaufs oder Verkaufs von Cannabis vermeldete die Polizei der Provinz Limburg
zwei Monate später – der tatsächliche Umfang des Handels dürfte weitaus
höher liegen.
Dass dieser sich allmählich in die Vororte verlagert, an die Ausfallstraßen
zur Autobahn, spüren auch andere Branchen. Rund um den
pflastersteingesäumten Marktplatz ist man gar nicht gut auf den „Wietpas“
zu sprechen. Den Schnellrestaurants bricht die Kundschaft weg, waren doch
Kebab und Burger beliebte Erste-Hilfe-Maßnahmen, wenn nach dem Joint der
große Hunger zuschlug. „Mehr Dealer als Touristen“, macht der Inhaber der
türkischen Taverne aus. Gegenüber bei McDonald’s verkündet ein Schild am
Eingang, „ohne guten Grund“ dürften sich Kunden nicht länger als eine hal…
Stunde auf der Terrasse aufhalten.
Ein paar Meter weiter im Rathaus ist man anderer Meinung. „Der
Straßenhandel hat nicht zugenommen, er ist nur sichtbarer geworden“,
erläutert Gertjan Bos, der Sprecher des Bürgermeisters. „Insgesamt kommen
deutlich weniger Drogentouristen, und um die ist die Konkurrenz härter.“
Auch die von Anwohnern häufig beklagte Belästigung sei weniger geworden.
„Falschparken, aggressives Fahrverhalten, herumliegender Müll, wildes
Urinieren, aber auch Autos, in denen morgens vier Franzosen mit
Baseballkappen liegen – die Menschen hier fühlen sich durch so etwas
bedroht.“ Nur dass sich bislang erst 1.000 Menschen in den Coffeeshops der
Stadt registrieren ließen, trübt das Bild. „Wir hätten deutlicher machen
müssen, dass ihre Daten nach einer Kontrolle nicht gespeichert werden“,
sagt Bos.
## Schweigen zwischen Behörden und Coffeeshops
Auf der Strecke geblieben ist eine Maastrichter Besonderheit: der Dialog,
den man hier einst zwischen Behörden und Coffeeshops pflegte. Um Verkehrs-
und Parkprobleme für die Bewohner zu lösen, diskutierte die Kommune, am
Stadtrand drei „Coffeecorners“ mit jeweils ein oder zwei Shops einzurichten
– der Plan liegt nun auf Eis.
Eine Ode brachte dieser Linie einst die Limburger Punkband Heideroosjes:
„Das ist doch dope, man, dass ein Tütchen einfach kann!“ Der Videoclip
wurde im Rathaus gedreht, und der alte Bürgermeister Gerd Leers rappte dazu
mit Amtskette um den Hals. Nachfolger Onno Hoes dagegen, so sein Sprecher
Gertjan Bos, halte sich strikt an die Order aus dem Sicherheitsministerium.
„Der Dialog ist beendet. Das war eine andere Zeit.“
Am Abend erinnert das Glockenspiel des Rathauses an eine noch fernere
Vergangenheit, indem es Ohrwürmer der THC-affinen 60er Jahre intoniert. Auf
das Stones-Lied „Ruby Tuesday“ folgt „Paint it Black“. Während zwei ä…
Touristinnen mitsummen, drehen Polizeistreifen ihre Runden und beäugen
Jugendliche auf ihren Mofas. In diesem Sommer häufen sich die Berichte über
mobile Dealer auf zwei Rädern. Manche sollen ihre Ware an der Haustür
abliefern.
Auswärtigen bleibt die Straße. So wie Dieter Schmitz aus dem nahen
Rheinland, der schon sein halbes Leben zum Graskaufen nach Maastricht kommt
und mit einem Bier am Fluss sitzt. Natürlich wusste er von der Neuregelung,
doch er wollte sich mit eigenen Augen überzeugen. Dieter Schmitz ist
Logistikmanager und heißt eigentlich anders. Wohl fühlte er sich nicht, als
er zwischen zwei Dealern herlief, um etwas Gras zu erstehen. Mitten in der
Fußgängerzone blieb der eine dann stehen und reichte ihm das Päckchen. Er
schob den Schein hinüber, und bevor die Dealer sich im Gewimmel verloren,
fragten sie noch, ob er wirklich nichts anderes wolle.
Doch Dieter Schmitz will lieber gar nichts mehr aus Maastricht. Etwas
wehmütig blickt er über die Maas. „Ich bin immer gerne hierhergekommen“,
erzählt er. Oft brachte er die Kamera mit und flanierte durch die Gassen.
„Jetzt werde ich es wohl in Nijmegen probieren.“ Auch diese Stadt liegt
nahe der Grenze, doch die Provinz Gelderland ist von dem neuen Gesetz –
noch – nicht betroffen.
26 Jul 2012
## AUTOREN
Tobias Müller
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