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# taz.de -- Debatte Afghanistan: Bloß weg vom Hindukusch
> Die Bundeswehr soll 2014 Afghanistan verlassen. Wie lässt sich das
> schwere Gerät ins Heimatland schaffen? Von den Afghanen redet man nicht
> so gern.
Bild: Fernes Land: Die Bundeswehr besuchen deutsche Politiker wie Verteidigungs…
Die Debatte darüber, wie man nun die Bundeswehrsoldaten wieder sicher aus
Afghanistan herausbekommt, ist schon skurril. Und sie ist ungeheuer
nabelschaumäßig, aber so wurde ja der ganze Afghanistaneinsatz politisch
und medial behandelt.
Wird Deutschlands Freiheit tatsächlich am Hindukusch verteidigt? Wie viele
Büchsen Bier bekommt jeder Soldat im Feldlager? Der Bundespräsident kommt!
Die Kanzlerin kommt! Paul Kalkbrenner kommt und legt vor Bundeswehrsoldaten
auf!
Jetzt werden Abzugsrouten und Transitgebühren debattiert. 4.800 Soldaten,
1.700 Fahrzeuge, 6.000 Materialcontainer – das kostet. „Die Rückverlegung
ist ein komplizierter Prozess“, sagt der Verteidigungsminister. Zum Glück
hat sich Deutschland ganz am Anfang strategisch günstig gleich hinter der
Grenze in Kundus und Masar-i-Scharif positioniert.
Über die Einheimischen redet man nicht so gern. Gerade hat man ihnen auf
der gefühlt hundertsten internationalen Afghanistankonferenz in Tokio eine
Beruhigungspille im Wert von 16 weiteren Milliarden US-Dollar an
Entwicklungshilfe gedreht. Denn angesichts des für 2014 angekündigten
[1][Nato-Abzugs] und der Befürchtung, dass die Taliban zurückkehren,
breitet sich Angst aus.
## Karsai verspricht erneut Korruptionsbekämpfung
Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der afghanischen Asylbewerber in
den Industriestaaten um ein Drittel an. Das Mantra von Tokio, in Berlin
mitgesungen, lautet deshalb: Nach dem Abzug der Kampftruppen 2014 werden
wir Afghanistan nicht alleinlassen. Völker, seht die Milliarden!
Dann verweist man auf ein Dokument mit dem schönen Namen „Rahmenabkommen
über gegenseitige Rechenschaft“. Das soll verhindern, dass auch diese
Gelder in Afghanistans Korruptionssystem versickern. Nur: Ähnliche
Zusicherungen gab Präsident Karsai schon in London 2006, in Paris 2008, in
Den Haag 2009 und in Kabul 2010.
Wie es schon der vorletzte UN-Sondergesandte Staffan de Mistura auf seine
unverwechselbare Weise auf den Punkt brachte: „Wir befinden uns in einer
Huhn-und-Ei-Situation. Aber nun hat das Huhn versprochen, dass es bald ein
Ei legen wird.“
Nicht dass die internationalen Aufseher der afghanischen Legebatterie eine
bessere Performance vorweisen können. 60 Milliarden Dollar wurden seit Ende
2001 für den Wiederaufbau zugesagt, nur drei Viertel davon, 44 Milliarden,
wirklich ausgezahlt. Davon wiederum verblieben, laut Weltbank, nur ein
Drittel im Land. Und wie viel davon wirklich effektiv verwendet wurde, zur
Verbesserung der Lebenssituation der Afghanen – großes Fragezeichen.
## Die Mantras des Westens
Zur Erinnerung: Afghanistan liegt immer noch auf Platz 172 (von 184) auf
dem UN-Entwicklungsindex, ist Drittletzter auf dem Korruptionsindex und
Vorletzter bei Gendergleichheit. Die „Geberländer“ drücken sich reihenwei…
davor, die Wirkung ihre Zahlungen von unabhängigen Auditoren unter die Lupe
nehmen zu lassen. Unter diesen Bedingungen ist Entwicklungshilfe eher eine
Nebelmaschine.
Das zweite westliche Mantra für eine sichere Zukunft Afghanistans lautet:
einigermaßen faire Wahlen 2014 und eine geordnete Machtübergabe. Hamid
Karsai darf, nach zwei Amtsperioden, nicht noch einmal antreten. Doch er
festigt bereits seine Kontrolle über die „unabhängigen“ Wahlinstitutionen,
nachdem seine Leute schon beim großen Wahlbetrug 2009 die Hauptschuldigen
waren, mit 1,5 Millionen annullierten Stimmen.
Viele Afghanen befürchten, dass er den Weg der Alijews, Karimows und
Nasarbajews gehen könnte, in Richtung auf eine Familiendynastie mit
Strohmannparlament. Ein Karsai-Bruder hat sich bereits öffentlich als
Nachfolger positioniert.
Zudem mischen sich die USA schon wieder offen ein. CIA-Berater Michael
O’Hanlon empfahl seiner Regierung kürzlich in der Washington Post, „einen
Gewinner auszusuchen“, und hatte auch gleich ein paar Namen parat. Das wird
des derzeitigen Präsidenten politische Wagenburgmentalität eher festigen.
Aber auch den hatten die USA ja schon ausgesucht.
## Reformen in eine demokratische Richtung nötig
Wirklich partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit, die breiteren
Bevölkerungskreisen zugutekäme, Investitionen in die und Reformen der
staatlichen Institutionen in eine demokratische Richtung wären in der Tat
probate Mittel, wenn man das Land doch noch stabilisieren wollte und nicht
nur die Tür nach Afghanistan hinter sich zuknallen will.
Doch ob sich der Westen zu solch einem Kurswechsel noch durchringen wird,
ist angesichts seines bereits laufenden Disengagements äußerst fraglich.
Und dann ist da ja noch der Krieg, der so manchen Plan stören wird.
Mehr Druck aus Nichtregierungskreisen wäre notwendig. Leider aber fehlt es
der afghanischen Zivilgesellschaft oft an gemeinsamen Positionen. Der Kampf
um die austrocknenden Projektgelder verschärft die Konkurrenz, und Karsais
Regierung lernt gerade von Putin in Russland und Mubarak in Ägypten, indem
sie Teile der Zivilgesellschaft kooptiert.
Schon ein paar Millionen an institutioneller Förderung und behutsame
Beratung könnten dem entgegenwirken. Aber in Tokio hörten unsere
Regierungen Forderungen etwa nach konkreter zivilgesellschaftlicher
Beteiligung an der Kontrolle der Hilfsgelder zwar höflich an, nahmen sie
aber nicht in die Abschlusserklärung auf. Auch sie wollen sich
offensichtlich weiterhin nicht auf die Finger schauen lassen.
## Für die Entwicklungsszene ist Afghanistan ein Randthema
Die hiesige Zivilgesellschaft müsste ihren afghanischen Partnern ebenfalls
effektiver helfen, sich besser zu organisieren. Aber in der
Entwicklungsszene ist Afghanistan nur ein Randthema, den wenigen
Organisationen, die schon seit Jahrzehnten vor Ort arbeiten, fehlt das
politische Gewicht, und große Teile der Friedensbewegung, die überhaupt
nicht in Afghanistan präsent sind, beschränken sich auf die verbalradikale
Forderung nach sofortigem Truppenrückzug.
Dabei wird diese Position in Afghanistan nur von einer äußerst kleinen
Minderheit geteilt. Die meisten afghanischen Demokraten und
Zivilgesellschaftsaktivisten fürchten die eigenen Warlords mehr als die
rabiatesten US Marines.
26 Jul 2012
## LINKS
[1] /Debatte-Nato-und-Afghanistan/!93785/
## AUTOREN
Thomas Ruttig
## TAGS
Thomas de Maizière
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