# taz.de -- Zwei Minister in Afghanistan gestürzt: Karsai in Zugzwang | |
> Das Parlament hat zwei afghanische Minister abgesetzt. Die Regelung | |
> seiner eigenen Nachfolge zwingt Präsident Hamid Karsai nun zu neuen | |
> Kompromissen. | |
Bild: Fehlendes Vertrauen: Verteidigungsminister Wardak musste seinen Posten r�… | |
BERLIN taz | Erneut hat Afghanistans Präsident Hamid Karsai zwei seiner | |
wichtigsten Minister verloren. Verteidigungsminister Rahim Wardak und | |
Innenminister Bismillah Khan Mohammadi fielen am vergangenen Sonnabend | |
relativ deutlich bei einer Vertrauensabstimmung im Parlament durch. Die | |
Abgeordneten hielten ihnen Tatenlosigkeit angesichts des sporadischen | |
pakistanischen Artilleriebeschusses afghanischer Grenzgebiete vor. | |
Dieser seit zwei Jahren andauernde Beschuss gilt Taliban-Gruppen | |
pakistanischer Herkunft, die von afghanischem Gebiet aus ihre eigene | |
Regierung bekämpfen. Das geschieht vor allem von der Provinz Kunar aus, in | |
der die Kabuler Regierung und ihre ausländischen Verbündeten kaum mehr als | |
die Provinzhauptstadt kontrollieren. | |
Das Thema war von den afghanischen Medien hochgekocht worden, und die | |
Abgeordneten nahmen es unmittelbar nach ihrer Rückkehr auf. Das dürfte | |
selbst Karsai und seine Unterstützer überrascht haben. | |
Solch ein Ministersturz durch das mehrheitlich präsidentenfreundliche | |
Parlament ereignet sich allerdings nicht zum ersten Mal. Der letzte Fall | |
war der des damaligen Außenministers (und langjährigen Grünen-Stadtrates | |
von Aachen) Rangin Dadfar Spanta im Mai 2007. | |
## Karsai will Votum des Parlaments respektieren | |
Dennoch hielt Karsai Spanta über zwei Jahre lang gegen das Votum des | |
Parlaments im Amt. Karsai selbst warf Mitte 2010 Bismillahs Vorgänger und | |
den Geheimdienstchef raus, nachdem eine Taliban-Rakete ihn während einer | |
Rede beinahe getroffen hatte. | |
Diesmal hat Karsai erklärt, er werde das Votum des Parlaments respektieren. | |
Zwar bat er Wardak und Bismillah weiter zu amtieren, bis er Nachfolger | |
gefunden hat. Aber zumindest Wardak winkte schon ab und erklärte seinen | |
Rücktritt. | |
Das Parlament hatte offenbar genug davon, sich wie im Falle Spantas von | |
Karsai bevormunden zu lassen, und im Falle Wardaks und Bismillahs mit der | |
Faust auf den Tisch gehauen, indem es seine recht weitgehenden Befugnisse | |
ausreizte. | |
Politisch zielgerichtet ist diese Kraftdemonstration trotzdem nicht. Beide | |
Minister gehören verschiedenen politischen Lagern an. Wardak ist ein | |
Karsai-Mann, an einer US-Militärakademie ausgebildet und bei den | |
Amerikanern als verlässlicher Kooperationspartner geschätzt, wohl auch, | |
weil er sich gern beraten lässt. | |
Nicht zu seinem Schaden: Seinem Sohn gehört eine Firma, die einen | |
Löwenanteil der milliardenschweren Versorgungsaufträge für die US-Armee in | |
Afghanistan erhalten hat. Auch diese Tatsache spielte beim | |
Abstimmungsverhalten im Parlament eine Rolle. | |
## Präsidentschaftswahl wirft ihren Schatten voraus | |
Bismillah hingegen war der letzte Vertreter der früheren Nordallianz in | |
einem Schlüsselressort. Diese Allianz steht eigentlich in Opposition zu | |
Karsai, aber es ist ihm immer wieder gelungen, sie durch Ämtervergabe zu | |
spalten. Zugang zu Macht und Ressourcen ist in Afghanistan oft stärker als | |
politische Loyalität. | |
Da die Präsidentschaftswahlen 2014 ihre Schatten vorauswerfen, steht Karsai | |
nun unter Zugzwang. Er darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten, will | |
aber einen ihm genehmen Nachfolger aufbauen. Doch der wird, wie er selbst | |
2009, Stimmen der Nicht-Paschtunen im Landesnorden benötigen, in dem die | |
Nordallianz dominiert. Also wird Karsai wieder Vertreter der Nordallianz | |
mit Ministerämtern ködern müssen, um die stärkste Oppositionskraft zu | |
spalten. | |
Derweil wird der Westen sich in seiner Abzugsphase auf neue Minister | |
einstellen müssen, mit denen die Kooperation nicht einfacher werden dürfte. | |
8 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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