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# taz.de -- Radio-Show in Afghanistan: „Wenn die Taliban anrufen, lege ich au…
> Nasratullah Khatir ist Radiomoderator – in einer US-Militärbasis in
> Afghanistan. Die Taliban rufen auch an. Sie wünschen sich keine Lieder,
> sondern seinen Tod.
Bild: „Hallo, ich wünsche mir 'Like a virgin' von Madonna.“
Von Nasratullah Khatir darf man nicht viel erzählen: Jedes Wort bringt
seine Jäger näher an ihn heran. Deshalb nur so viel: Der junge Paschtune,
der eigentlich anders heißt, moderiert unter dem Schutz der Isaf-Truppen
eine Radio-Popshow im Taliban-Gebiet. Viele seiner Hörer in der
abgeschiedenen Provinz Kunar an der pakistanischen Grenze erleben erstmals,
wie witzig freie Meinungsäußerung sein kann.
taz: Herr Khatir, Sie senden unter anderem von den Taliban verhasste
Popsongs. Haben Sie manchmal Angst um Ihr Leben?
Nasratullah Khatir: Natürlich habe ich Angst. Aber ich mache die Popshow
von einer US-Basis aus, was die meisten Leute nicht wissen.
Aber Sie selbst leben draußen.
Stimmt, ich bin von hier. Ich arbeite aber schon seit Längerem als
Übersetzer für die Amerikaner, und hier in meinem Studio arbeite ich als
DJ. Ich habe aber meinen Namen geändert. Die Leute kennen mich nur als
Nasratullah Khatir. Meinen richtigen Namen verrate ich natürlich nicht.
Welche Art von Programm machen Sie?
Morgens senden wir Koranrezitationen, Erläuterungen und so weiter. Dann
folgt die Rede eines Mullahs. Dann kommen Nachrichten von
Distriktgouverneuren, der Polizei und Dorfältesten.
Das klingt nicht nach einer Popshow.
Das ist ja auch nur das Morgenprogramm. Um 9.30 Uhr folgen dann die
Nachrichten aus ganz Ostafghanistan – also unserem Staat Kunar, dann
Laghman, Nangarhar und Nuristan. Dann fängt die Anrufershow an. Die geht
täglich von 10 bis 11 Uhr.
Und wer ruft da an?
Die ganzen Leute aus den nahe gelegenen Distrikten. Sie wünschen sich dann
indische oder paschtunische Popsongs, hin und wieder auch traditionelle
Musik. Wir präsentieren das als Unterhaltungsshow. Wir machen Späßchen mit
den Anrufern, und die reden mit uns und können zum Beispiel Nachrichten und
Grüße an andere Leute schicken, die gerade zuhören
Rufen nur Männer an oder auch Frauen?
Sowohl als auch.
Machen Sie mit den Frauen auch Späßchen?
Ja, manchmal schon. Während der Anrufershow sind wir natürlich ein bisschen
vorsichtig. Wenn wir mit den Frauen reden und Fragen stellen, müssen wir
auf die paschtunische Kultur Rücksicht nehmen, sonst wollen uns die Leute
bald nicht mehr hören. Viele haben schon ein bisschen Angst, bei uns
anzurufen. Aber manche schnappen sich einfach die Handys ihrer Väter oder
Ehemänner oder Brüder, und die kriegen gar nichts davon mit, dass ihre
Tochter oder Frau oder Schwester hier anruft.
Die rufen heimlich an?
Ja, und wenn sie wollen, dürfen sie bei uns sogar Witze erzählen. Wir
drängen sie aber nicht dazu.
Sind das junge Mädchen, die anrufen?
Es sind auch ältere Hausfrauen dabei, vor allem sind es aber tatsächlich
junge Mädchen, die sich Songs wünschen.
Und was passiert, wenn die Mädchen erwischt werden?
So schlimm ist es meistens gar nicht. Meistens rufen sie nach kurzer Zeit
wieder an. Die Mädchen hier sind im Großen und Ganzen so wie überall auf
der Welt.
Rufen auch die Taliban an?
Ja, manchmal schon, um uns zu warnen.
Was sagen sie?
„Hör mit diesem Radioprogramm auf, sonst bringen wir dich um. Wir kriegen
dich und machen dich alle.“
Sagen sie offen, dass sie Taliban sind?
Ja, sie rufen an und stellen sich vor. Dann sagen sie: „Hör auf oder wir
kommen zu dir nach Hause und töten dich!“
Aber die wissen doch gar nicht, wer Sie sind?
Stimmt, aber sie tun so, als wüssten sie es.
Was antworten Sie denen?
Ich hänge einfach auf.
Wie oft kommt das vor?
Das ist bestimmt schon 50-mal passiert.
Gewöhnt man sich daran?
Irgendwie schon. Wir schreiben uns ihre Nummern und Namen auf, und wenn sie
irgendwann wieder anrufen, drücken wir sie gleich weg.
Haben Sie gar keine Angst, dass Sie mal jemand an Ihrer Stimme erkennt?
Das kommt schon vor. Manchmal spricht mich jemand auf dem Markt an und
sagt: „Hey, du bist doch Nasratullah Khatir aus dem Radio.“ Ich sage dann
immer: Nein, das bin ich nicht. Ich heiße so und so und sage meinen
richtigen Namen.
Und kommen Sie damit durch?
Viele glauben mir nicht, doch dann zeige ich ihnen meinen Pass und sage:
Schau selbst – ich bin nicht Nasratullah. Ich bin Student und arbeite
nirgends.
Haben Sie sich an die dauernde Gefahr gewöhnt?
Ja, aber Angst habe ich trotzdem. Ich lebe in einem Dorf in der Nähe des
Camps bei meiner Familie. Um die mache ich mir mehr Sorgen. Wenn die
Taliban wirklich rauskriegen, wer ich bin, holen sie sich vielleicht meinen
Bruder.
Was machen Sie, wenn die Amerikaner 2014 abziehen?
Ich hoffe, sie nehmen mich mit.
Und Ihre Familie?
Die müsste natürlich auch mit, aber viel Hoffnung habe ich nicht. Wir sind
sehr arm, und ich bin eigentlich der Einzige, der Geld verdient. Einen
älteren Bruder habe ich auch nicht. In den USA würde ich Journalismus
studieren, um noch besser zu werden …
… und wieder zurückkehren nach Afghanistan?
Ja, aber eben nur, wenn ich noch besser wäre. Dann würde ich zurückkommen
und einen eigenen Sender aufmachen.
Wie stehen die Leute in Ihrem Bekanntenkreis zu den Taliban?
Zwei Prozent mögen sie, der Rest lehnt sie ab. Sie wollen eine gute
Regierung, Sicherheit, Frieden. Sie haben den Krieg gründlich satt. Das ist
jedenfalls mein Eindruck. Aber so ganz genau weiß man nie, wer alles auf
ihrer Seite steht.
Die Taliban – ebenso wie al-Qaida – sagen, sie kämpfen für den Islam. Sie
sind selbst Muslim. Wie klingen die Botschaften von Al-Qaida-Anführer Aiman
al-Sawahiri in Ihren Ohren?
Ich frage mich wie die meisten: Wenn sie Muslime sind, warum ermorden sie
dann unschuldige Menschen? Warum entführen sie Kinder, Ärzte und sogar
Mullahs?
Wenn Sie zehn oder zwanzig Jahre in die Zukunft schauen: Wie könnte sich
Afghanistan entwickelt haben?
Wenn wir nicht zusammenarbeiten, wird es übel aussehen. Wenn wir uns
zusammentun, könnte es in zwanzig Jahren ganz schön werden. Vielleicht
haben wir dann viele Touristen wie die Schweiz, denn wir haben ein sehr
schönes Land mit Bergen, Flüssen und wundervollem Wetter.
3 Aug 2012
## AUTOREN
Christian Kreutzer
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