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# taz.de -- Buch über Sprachphilosophie: Worte schaffen Wirklichkeit
> John Searle ist einer der führenden Vertreter der Sprechakttheorie. In
> seinem aktuellen Buch widmet er sich der Sprache als „Struktur der
> menschlichen Zivilisation“.
Bild: „Ach, würden Katie und Tom doch verheiratet bleiben...“ – Ein eind…
Was ist der Unterschied zwischen den Sätzen „John und Dagmar sind
verheiratet“, „Wenn John und Dagmar doch bloß heiraten würden!“ und
„Hiermit erkläre ich Sie, John und Dagmar, für verheiratet“?
Im ersten Fall wird eine Tatsache behauptet, im zweiten ein Wunsch geäußert
und im dritten – unter bestimmten Bedingungen – eine Eheschließung
vollzogen. Damit könnte man die Sache im Grunde auf sich beruhen lassen.
Sprachphilosophen hingegen fangen an diesem Punkt oft erst an zu denken.
Besonders John Searle, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, hat sich in
seinem Werk in immer neuer Form mit der Frage beschäftigt, wie man mit
Worten etwas tut. Die drei Satztypen stehen bei ihm für bestimmte Arten von
Sprechakten. „Speech Acts“ lautete denn auch der Titel seines ersten Buchs
von 1969, dessen Ideen die Grundlagen seines Denkens bis heute bilden.
Der 1932 in Denver, Colorado, geborene John Rogers Searle systematisierte
darin verschiedene Möglichkeiten, eine Beziehung zwischen Worten und der
Welt herzustellen. So kann man Worte benutzen, um mit ihnen die Welt zu
beschreiben, man kann aber genauso gut mit Worten die Welt verändern oder
zumindest darauf hinarbeiten, dass sie sich ändert.
In Searles Terminologie heißt das: Der Satz „John und Dagmar sind
verheiratet“ gehört zu den „Assertiva“, einer Art Sprechakte mit rein
deskriptiver Funktion, während er „Wenn John und Dagmar doch bloß heiraten
würden!“ den „Expressiva“ zurechnet – hier wird eine Einstellung zu ei…
möglichen Veränderung der Welt kundgetan, die in diesem Fall befürwortet
wird.
## Mehr als bloße Darstellung
Richtig interessant wird die Sache aber bei „Hiermit erkläre ich Sie, John
und Dagmar, für verheiratet“, dem Beispiel für „Deklarativa“. Das sind
Sätze, deren Äußerung zugleich die Realität schafft, die sie darstellen.
Wenn etwa ein Standesbeamter diese Worte bei einem Trauungstermin zu den
zukünftigen Eheleuten spricht, wird mit dem Satz ein neuer Zustand in der
Welt geschaffen.
Searle, seit 1959 Professor an der University of California in Berkeley,
hat diese Form der Sprachanalyse nie als abgehobenen Selbstzweck
betrachtet. Vielmehr engagierte er sich politisch, unterstützte die
Studentenproteste und beteiligte sich an der Free Speech Movement.
In dieser Zeit entstand sein Buch „The Campus War: A Sympathetic Look at
the University in Agony“ von 1971. Er hielt darin die Beobachtung fest,
dass er sowohl von Regierungsseite als auch von radikalen Aktivisten
angegriffen worden sei, wobei sich die Strategien beider Seiten stark darin
ähnelten, dass sie sich gegen die gründliche Analyse von Argumenten
sperrten.
Das sollte ihn später, bei einer Kontroverse mit dem französischen
Philosophen Jacques Derrida, nicht davon abhalten, diesem – unter Verweis
auf eine Bemerkung, die Derridas Kollege Michel Foucault im Gespräch mit
Searle gemacht haben soll – „terroristischen Obskurantismus“ vorzuhalten.
Ein klassischer Fall von Autoritätsargument, konterte Derrida – harte
Kritik für einen analytischen Philosophen wie Searle, der sonst Wert auf
saubere Argumentation legt.
## Konstitutives Element
Maßgeblich beeinflusst wurde Searle durch seinen Oxforder Lehrer John
Langshaw Austin. In der analytischen Sprachphilosophie, die im
angelsächsischen Raum in der Nachkriegszeit auf dem Vormarsch war,
dominierten zwar Fragen der formalen Semantik, doch hatte sich in Oxford
die ebenfalls einflussreiche Schule der „Ordinary language philosophy“ um
Austin, Gilbert Ryle oder Peter F. Strawson gebildet. Austins postum
veröffentlichter Vorlesungsband „How to Do Things With Words“ von 1962
wurde ein Klassiker der Sprechakttheorie, dessen Ansätze Searle aufgriff
und erweiterte.
Mittlerweile konzentriert sich Searles Arbeit auf den Zusammenhang von
Sprechakten und sozialer Wirklichkeit. In seinem aktuellen Buch „Wie wir
die soziale Welt machen“ kündigt er im Untertitel gar vollmundig „Die
Struktur der menschlichen Zivilisation“ an.
Die Deklarativa rücken dabei als konstitutive Elemente der menschlichen
Gesellschaft ins Zentrum der Betrachtung. Durch sie werde „die gesamte
institutionelle Realität des Menschen“ geschaffen und aufrechterhalten.
Geld, Recht oder Regierungen sind Institutionen, die durch Sprechakte
geschaffen werden und dadurch weiterbestehen, dass wir sie als solche
akzeptieren. Für all diese Dinge ist Sprache zentral. Ohne sie, so Searle,
lassen sich Handlungen, wie sie die Deklarativa auszeichnen, gar nicht
vollziehen. Das heißt: Institutionen wie Recht oder Geld wären ohne Sprache
nicht möglich.
Searles „Sozialontologie“ ist insofern faszinierend, als sie mit
minimalistischen Mitteln eine Theorie zur Beschreibung der sozialen
Wirklichkeit entwickelt. Doch auch er entgeht nicht der unter
Sprachanalytikern so beliebten Formalisierung von allgemeinen Aussagen nach
dem Muster „Wir anerkennen (S verfügt über die Macht (S tut A))“, was
mitunter unfreiwillig komisch wirkt. Schwer nachvollziehbar ist sein
Anspruch, seine sprachphilosophischen Analysen sollten „mit den
Grundtatsachen“ der Naturwissenschaften in Einklang stehen.
In diesem Sinne naturalisiert er das Bewusstsein zu einem durch Evolution
zustande gekommenen Phänomen. Wirklich weiter bringt ihn dieser
vorauseilende Gehorsam nicht. Aber wer weiß, vielleicht dienen diese
Sprechakte auch einfach dazu, das Auseinanderdriften von Geistes- und
Naturwissenschaften abzubremsen.
## John R. Searle: "Wie wir die soziale Welt machen. Die Struktur der
menschlichen Zivilisation". Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 351 Seiten, 28,95 Euro
30 Jul 2012
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Philosophie
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