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# taz.de -- Verunreinigtes Essen: Desinfektionsmittel in Milch und Obst
> Spuren eines Desinfektionsmittels finden sich auf nahezu allen
> Nahrungsmitteln. Die EU setzt daraufhin einfach die Grenzwerte hoch –
> denn sonst drohen leere Regale.
Bild: Knackig – und möglicherweise mit DDAC verunreinigt.
BERLIN taz | Von einem Zufallsfund war die Rede, als ein Biobauer vor
einigen Wochen bei einer Eigenkontrolle auf seinem Hof im niedersächsischen
Papenburg Spuren des Wirkstoffs DDAC (Didecyldimethylammoniumchlorid) auf
seinem Rucolasalat feststellte. Der Fall war ein Alarmsignal. Er gab Anlass
zur Sorge und zog umfangreichere Kontrollen nach sich.
Nach ersten Tests, die bundesweit von privaten Instituten und von Laboren
von Behörden durchgeführt wurden, sind Wissenschaftler verunsichert. Zwar
ist unklar, ob DDAC und andere Desinfektionswirkstoffe für Menschen
schädlich sind. Aber gerade weil das nicht sicher ist, sind sie bei
Lebensmitteln nicht zugelassen.
Bei Stoffen, deren Ungefährlichkeit nicht bewiesen ist, liegt der Grenzwert
in der Regel bei 0,01 Milligramm pro Kilogramm. Das ist ein Schutzwert, der
bewusst gering gehalten wird. Normalerweise darf Ware, bei der dieser nicht
eingehalten wird, nicht in den Handel. Warum also hat die [1][Europäische
Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa] kürzlich entschieden, den Grenzwert
auf 0,5 Milligramm vorläufig anzuheben? Dadurch können viele Lebensmittel,
bei denen überhöhte Werte festgestellt wurden, weiterhin verkauft werden.
Diplomchemiker Albrecht Friedle vom [2][Lebensmittellabor Friedle] sagt
dazu: „Würden die Behörden konsequent durchgreifen, stünden wir bei der
vorgefundenen Breite der Kontamination bald vor leeren Regalen.“ Sollten
Verbraucher sich also Sorgen machen? Ob die Stoffe uns Menschen schaden,
ist ungeklärt.
## „Unwahrscheinlich“ im Sinne einer juristischen Absicherung
Das [3][Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)] gibt bislang Entwarnung:
Unter Berufung auf Studien aus den USA und den Niederlanden schätzt es
sowohl akute als auch langfristige Gesundheitsschäden wegen DDAC als
„unwahrscheinlich“ ein. Der Begriff „unwahrscheinlich“ ist jedoch, wie …
BfR-Sprecherin Britta Michalski selbst sagt, eher als juristische
Absicherung zu verstehen.
Fest steht: Studien aus den USA und Kanada haben den Wirkstoff an Hunden
gestestet. Nur diese Studien hat das BfR bislang in sein Urteil
miteinbezogen. „Neue Laborergebnisse werden jedoch laufend in die Bewertung
miteinbezogen und diese gegebenenfalls korrigiert“, sagt Michalski.
Für Diplomchemiker Jörg Thumulla vom privaten Umweltinstitut [4][Anbus
Analytik] in Fürth bleiben hingegen einige Fragen bei der Bewertung des BfR
ungeklärt. So seien Tests an Kaninchen und Ratten nicht in die endgültige
Bewertung eingeflossen. Dabei traten bei den Nagern vereinzelt Reizungen
auf, bei denen selbst das BfR weiteren Klärungsbedarf sieht.
Darüber hinaus warnt Thumulla, der in der Vergangenheit bereits im Auftrag
des Umweltbundesamts zur Verbreitung der quartären Ammoniumverbindungen
geforscht hat: „Anders als die meisten Stoffe löst unsere Magensäure die
Stoffe wie DDAC nicht auf. So gelangen sie in die Darmflora – und was sie
dort anstellen, darüber wissen wir bislang noch viel zu wenig.“ So könne
der Wirkstoff etwa in menschliche Zellmembranen eindringen. „Wenngleich von
DDAC keine direkte Gesundheitsgefahr ausgehen sollte, kann der Wirkstoff
auf diese Weise als Schleuse für andere Schadstoffe fungieren.“
## „Wertvolle Stoffe – allerdings nicht auf Lebensmitteln“
Auch Chemiker Friedle zeigt sich besorgt, betont jedoch gleichzeitig,
Stoffe wie DDAC seien keinesfalls generell zu verteufeln: „Diese Stoffe
sind sehr wertvoll – aber doch bitte nicht auf Lebensmitteln.“ Aus
Krankenhäusern beispielsweise, wo sterile Geräte und Flächen benötigt
werden, sind sie als Desinfektionsmittelwirkstoffe kaum mehr wegzudenken.
Umso bedrohlicher die Gefahr von Resistenzbildungen: „Kaum vorstellbar, was
passiert, wenn Bakterien in unserem Körper durch eine dauerhafte Aufnahme
dieser Stoffe nicht mehr auf Antibiotika reagieren“, bemerkt Thumulla.
Ob die Desinfektionsstoffe nun schädlich sind oder nicht – solange das
nicht feststeht, sollten die Behörden dafür sorgen, dass die Grenzwerte
eingehalten werden. Die Hochsetzung des Grenzwerts durch die
EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde weist eher darauf hin, dass dem Problem
derzeit aus dem Weg gegangen wird. Wissenschaftler gehen davon aus, dass
sich die Werte von Desinfektionsstoffen seit der Ehec-Krise noch einmal
stark erhöht haben. Denn seither gelten schärfere Vorschriften für die
Hygiene von Lebensmitteln.
Dass sich Spuren von Desinfektionsstoffen in fast allen Lebensmitteln
finden, zeigen nicht nur die Untersuchungen. Es ist auch plausibel, wenn
man sich den Verarbeitungsprozess vor Augen führt. Täglich desinfizieren
Milchbauern Melkmaschinen und die Euter ihrer Kühe. Gleiches gilt
beispielsweise für den Fleischwolf in der Wurstproduktion. Auch
Verpackungsstationen hinterlassen unweigerlich Wirkstoffe wie DDAC auf den
Lebensmitteln.
## Konzentrationen deutlich über dem Grenzwert
Erste Tests im Juni wiesen Desinfektionsstoffe auf etlichen Lebensmitteln
nach: Nicht nur auf Topfkräutern wie Basilikum, sondern bei praktisch allen
Lebensmitteln von Früchten über Fleischprodukte bis zu besonders
betroffenen Molkereierzeugnissen finden sich Rückstände von
Desinfektionsstoffen. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt in
Stuttgart fand beispielsweise auf Petersilie DDAC-Rückstände von 0,92
Milligramm pro Kilogramm. Die Belastung ist damit immer noch fast doppelt
so hoch, wie es der neu angesetzte Grenzwert erlaubt.
Bei dem Biobauern, der DDAC zuerst auf seinen Pflanzen entdeckte, war der
Fall noch komplizierter: Es war kein Desinfektionsmittel schuld, sondern
ein Pflanzenstärkungsmittel, das mittlerweile aus dem Handel genommen
wurde.
31 Jul 2012
## LINKS
[1] http://www.efsa.europa.eu/de/
[2] http://www.labor-friedle.de/
[3] http://www.bfr.bund.de/de/start.html
[4] http://www.anbus-analytik.de/
## AUTOREN
Marius Münstermann
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wird.
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