# taz.de -- Ernährung in der Schule I: "Verpflegung oft lästige Pflicht" | |
> Zu Ganztagsschulen gehört kostenfreie Versorgung, sagt der Soziologe | |
> Michael Jäger. Ein Gespräch über den Wert von Essen zum Schulstart am | |
> Montag. | |
Bild: Selbstgekocht wird in den Mensen überlichweise nicht. | |
taz: Zerkochte Kartoffeln, saure Eiersoße oder Milchreis als Hauptmahlzeit | |
– warum ist Schulessen oft so mies? | |
Michael Jäger: Wir alle essen täglich. Es gibt also 80 Millionen | |
ExpertInnen für Essen in Deutschland, die sich berufen fühlen, bei diesem | |
Thema mitzureden. Im Bereich Schule sorgen sich Eltern zudem, ob ihre | |
Kinder ein Mittagessen in vernünftiger Qualität bekommen. Schließlich sind | |
die Kinder sechs, acht, teilweise zehn Stunden in der Schule. Da brauchen | |
sie ein ausgewogenes Essensangebot. | |
Eine Seltenheit! | |
Dabei gibt es in Berlin gute Voraussetzungen. Viele Schulen sind | |
Ganztagsschulen, Schulessen wird subventioniert, die Schulträger nehmen den | |
Schulen die Suche nach Essensanbietern ab und orientieren sich dabei an | |
Qualitätsstandards. Es fehlt aber der prüfende Blick nach | |
Vertragsabschluss, ob die vereinbarte Qualität auch auf den Tellern der | |
Kinder landet. | |
Dabei ist Ernährung ein wichtiges gesellschaftliches Thema – von | |
Übergewicht bis hin zu Bulimie und Magersucht. | |
Ja, und in den Schulen und Kitas hätten wir die perfekte Gelegenheit, den | |
Kindern vorbildhaft zu zeigen, wie gute Ernährung sein sollte. Aber diese | |
Gelegenheit nutzen wir noch zu wenig. | |
Warum? | |
Schulessen hat in Deutschland keine lange Tradition – außer in den neuen | |
Bundesländern, wo es aber oft auch mangelhaft war. Erst seit der Einführung | |
von Ganztagsschulen diskutieren wir über Schulverpflegung. Sie wird von den | |
Schulen noch zu häufig als lästige Pflichtaufgabe, nicht als wichtiger Teil | |
des Ganztagsschulalltags wahrgenommen. Dem Thema wird nicht genug | |
Aufmerksamkeit gewidmet. Unternehmen strengen sich in ihren Kantinen | |
mittlerweile sehr an, für ihre Beschäftigten ein gutes Angebot und eine | |
angenehm motivierende Atmosphäre zu schaffen, damit diese gut | |
weiterarbeiten können. Bei Schulen dagegen wird bei der Planung an alles | |
gedacht, an die Gestaltung der Mensa aber zuletzt. So entstehen | |
Räumlichkeiten, die den Bedarf der Zielgruppe gar nicht treffen. | |
Es geht gar nicht um Qualität? | |
Natürlich ist es oft die Qualität des Essens, die nicht zufriedenstellend | |
ist. Aber die Beurteilung des Essens ist durch viel mehr Faktoren geprägt | |
als durch die reine geschmackliche Qualität. Da spielen die Räumlichkeiten, | |
spielt die Ablauforganisation eine Rolle – welche Wertigkeit das Essen in | |
einer Schule hat, wie es in den Tagesablauf eingebunden wird. Wir erleben, | |
dass der gleiche Caterer an einer Schule positiv, an einer anderen schlecht | |
bewertet wird. Das liegt an den vielen verschiedenen Faktoren, die den | |
Eindruck beeinflussen. | |
In Friedrichshain-Kreuzberg darf ein Essen 2,10 Euro kosten. Kriegt man | |
dafür überhaupt ein gutes Mittagessen hin? | |
Experten bezweifeln das. Und die Caterer klagen schon lange über die | |
Preise. Einige haben deshalb bei der Ausschreibung für dieses Schuljahr | |
keine Angebote abgegeben. Das hat hoffentlich so etwas wie eine | |
Katalysatorfunktion. Wir hoffen, endlich eine Diskussion mit allen | |
Beteiligten darüber beginnen zu können, wie Schulessen in Berlin aussehen | |
soll. | |
Wie viel muss denn ein gutes Schulessen kosten – und wer sollte es | |
eigentlich bezahlen? | |
Grundsätzlich hängen die Preise von den Bedingungen ab, unter denen | |
produziert und ausgegeben wird. In Berlin dominiert leider das | |
Warmverpflegungssystem, wobei Essen in Großküchen hergestellt und in | |
Warmhaltebehältern angeliefert wird. | |
Das finden Sie nicht gut? | |
Berlin hat sich aus finanziellen Gründen dafür entschieden, das überwiegend | |
so zu organisieren. Ich fände da mehr Flexibilität besser, die die Umstände | |
an den einzelnen Schulen berücksichtigt. Beim Umbau von Schulen im Rahmen | |
der Schulreform wurden vielerorts nur Ausgabeküchen geplant. Da sind andere | |
Verfahren kaum möglich. Bei der Planung für die neuen Sekundarschulen, | |
alles Ganztagsschulen übrigens, wurde davon ausgegangen, dass höchstens 30 | |
Prozent der Schüler am Mittagessen teilnehmen. Wenn man schon so plant, | |
zeigt das, welche Bedeutung dem Thema Schulessen beigemessen wird. | |
Zurück zum Preis. | |
Auf den haben alle diese Faktoren Einfluss. Ob er 500 oder 50 Essen | |
verkauft, macht für den Caterer einen Unterschied. Und zur Frage, wer | |
bezahlt: Da kann man viele Möglichkeiten diskutieren bis hin zu der, ob | |
Schulessen nicht kostenfrei sein müsste für Kinder, die Ganztagsschulen | |
besuchen. Man kann sich fragen, ob der Aufwand, der derzeit betrieben | |
werden muss, um das Geld fürs Schulessen einzuziehen – und zwar sowohl von | |
den Caterern wie von der Verwaltung –, nicht selbst so hohe Kosten | |
verursacht, dass es günstiger wäre, das Essen einfach für alle für einen | |
Euro auszugeben oder im Ganztagsbetrieb umsonst zu stellen. Man sollte auch | |
mal grundsätzlich darüber nachdenken, ob es überhaupt Sinn hat, Schulessen | |
zu privatisieren, dass Eltern also privatrechtliche Verträge mit externen | |
Firmen schließen. Aus unserer Sicht ist das eine Sache, die zwischen den | |
Eltern und dem Schulträger geklärt werden müsste, weil es Teil der | |
Ganztagsbetreuung ist. | |
Dann müsste mit Schulessen auch kein Gewinn mehr gemacht werden. | |
Wenn man ernsthaft Ganztagsschulen will, muss das ein integriertes Konzept | |
sein, zu dem Verpflegung dazugehört. Alle Schulen, in denen das Essen als | |
gut bewertet wird, sind Schulen, die die Verpflegung als Teil des | |
schulischen Lebens betrachten und aktiv mitgestalten. Wenn das | |
Verpflegungsangebot aber von vielen Schulleitungen als Anhängsel betrachtet | |
wird, Eltern das mit privaten Caterern klären müssen, mit denen die Schule | |
eigentlich gar nichts zu tun hat, kann das nicht funktionieren. | |
5 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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