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# taz.de -- Debatte EU-Kritik: Unsere eigenartigen Europa-Kritiker
> Bislang ereiferte sich niemand über Europa. Die EU gehörte den
> Technokraten. Jetzt beginnt im egozentrischen Deutschland eine
> irrationale Debatte.
Bild: Die Realitäten fechten die EU-Kritiker nicht an: Deutschland soll vorgeh…
Mit der EU-Kritik verhält es sich wie mit der Islamkritik. Kritik am Islam
gibt es, seit er existiert. Aber Islamkritiker als Beruf und Islamkritik
als Geschäftsmodell verdanken ihr Aufkommen und ihre Konjunktur der Krise
des Islam. Die Wirtschafts- und Finanzkrise brachte Berufsbild und
Geschäftsmodell des EU-Kritikers hervor.
Diese treten in drei Kostümierungen auf – der deutsch-nationalen, der
wohlstands-chauvinistischen und der radikal-populistischen. Das sind
Typisierungen. Es gibt auch Mischformen. In der Zielsetzung einer
fundamentalen Ablehnung von Euro und politischer Union sind sich alle
einig.
Die deutsch-national kostümierte EU-Kritik lehnt jede weitere
Kompetenzverlagerung von der nationalen Ebene auf die europäische ab. Der
Prototyp für diese Form von Kritik ist der Juraprofessor Karl Albrecht
Schachtschneider, der zusammen mit anderen Professoren 1992 gegen den
Vertrag von Maastricht und 1998 gegen den EU-Verfassungsvertrag klagte.
Der Wanderer zwischen allen Parteien hat keine Berührungsängste nach rechts
und trat auch schon bei rechten Gruppen und Parteien auf, im rechtslastigen
Studienzentrum Weikersheim ebenso wie bei der Jungen Freiheit oder bei den
Burschenschaften. In ihrem deutsch-nationalen Selbstverständnis sehen
Schachtschneider und seine Mitstreiter die europäische Integration als eine
Fehlentwicklung, obwohl die aktuelle Krise eines ganz deutlich macht: Nur
mit einer koordinierten Finanz-, Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik –
also einer Vertiefung der Integration zumindest unter den 17 Eurostaaten –
kann der Angriff der Finanzmärkte, Hedgefonds, Investmentbanker und
Spekulanten auf die Demokratie gestoppt werden. Von der Standarte
„nationale Souveränität“ werden sich diese Angreifer nicht abschrecken
lassen.
Für den Typus der wohlstands-chauvinistischen EU-Kritik stehen der
Historiker und Talkshow-Dauerredner Arnulf Baring und – als Verstärker –
die Bild-Zeitung, die Baring zum „klügsten Professor Deutschlands“
promovierte. Den Rang als „Exportweltmeister“ verdankt Deutschland der
europäischen Integration. Und aus diesem Faktum folgt, dass es neben dem
Gewinner Deutschland auch Verlierer geben muss. Das sind – aus
unterschiedlichen Gründen – die südeuropäischen EU-Mitglieder Griechenland,
Italien, Spanien und Portugal. In der Perspektive von Baring & Bild sind
das die Länder, die lernen müssen, „dass vor der Siesta harte Arbeit
steht“. Dort leben „die Faulenzer“, die „wir“ durchfüttern müssen, …
der Euro überlebt.
## Wohlstandschauvinismus
Für Baring ist die Währungsunion kein Deal, aus dem Deutschland als
Gewinner hervorging, sondern „ein gigantisches Erpressungsmanöver“. Die
wohlstands-chauvinistisch unterlegte EU-Kritik ruft die „Bürger auf die
Barrikaden“ (Baring) gegen ein sozialstaatlich verfasstes, vereintes
Europa, dass nur eine Chance hat, wenn durch die Harmonisierung von Steuern
und Abgaben „die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ zunächst in den …
Eurostaaten als Ziel gilt, wie dies das Grundgesetz (Art. IV Ziff. 3) für
die Bundesländer vorschreibt und mit dem Bundesfinanzausgleich verfolgt.
Der neudeutsche Wohlstandschauvinismus will von der europäischen
Integration profitieren, lehnt aber einen solidarischen Beitrag zur
Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Euroraum ab. Dass diese
Solidaritätsbereitschaft nicht strapaziert werden darf und nur
funktioniert, wenn gleichzeitig eine institutionelle Demokratisierung der
EU den EU-Bürgern reale Partizipationschancen einräumt, haben Jürgen
Habermas, Peter Bofinger und Julian Nida-Rümelin unlängst in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. 8. 2012) überzeugend dargelegt.
Peter Gauweiler, Horst Seehofer und Markus Söder (alle CSU) sind die
lautesten unter den radikal-populistischen EU-Kritikern. Um sich von rechts
abzugrenzen, beruft sich etwa Gauweiler auf Charles de Gaulle, den er sich
als Gegner der politischen Union zurüstet.
Richtig an dieser „Interpretation“ ist nur eines: De Gaulle wollte
tatsächlich keinen supranationalen europäischen Bundesstaat, da es „keinen
Föderator gibt, der hierfür genügend Kraft, Geschick und Glaubwürdigkeit
besitzt“. Einen EU-Bundesstaat will im Übrigen fast niemand, denn das liefe
auf eine geschichtswidrige politische und kulturelle Homogenisierung
Europas hinaus.
## Und jetzt noch zu de Gaulle
De Gaulles Position war viel nuancierter als Gauweilers grobianische
Verkürzung, wonach „Charles de Gaulle keine politische Union wollte“. De
Gaulle dagegen sagte: „Denn die Staaten, nur die Staaten, haben diese
Wirtschaftsgemeinschaft errichtet. […] Man macht Politik, […] wenn man
dafür sorgt, dass die Löhne und Gehälter und die Soziallasten in den sechs
Staaten gleich sind. […] Man kann in Wahrheit die wirtschaftliche
Entwicklung Europas nicht ohne politische Union gewährleisten.“
Da de Gaulle als Kronzeuge nicht taugt, unterlegt Gauweiler seine
radikal-populistische EU-Kritik für die wohlhabenden und gebildeten
„Leistungsträger“ mit einer historischen Analogie. Er vergleicht die
Reichseinigung von 1871 unter preußischer Vorherrschaft, bei der Bayern
seinen König behielt, aber seine Souveränität teilweise an Berlin abtreten
musste, mit dem „Vorhaben eines Vernunftstaates namens Europäische Union.“
Die Frage ist nun, inwiefern gleichen sich der Fürstenbund von 1871 und die
europäische Integration im 20. Jahrhundert?
Nur wenn man die Brüsseler Bürokratie, die viel kleiner und bescheidener
ist, als die Beschwörungsformel vom „sanften Monster Brüssel“
(Enzensberger/Gauweiler) suggeriert, als Legierung aus Bismarck, Junkertum
und Preußentum zusammenfantasiert, kann man zu dieser Analogie kommen.
Dazu passt Gauweilers Joker: Europa als „Schweiz der Welt“, also als ein
selbstgerecht-national imprägniertes Gebilde, das sich einigelt wie die
Alpenrepublik. Freilich – „es gibt keinen Zauberspruch, mit dem sich etwas
so Schwieriges wie das vereinte Europa bauen ließe“ (de Gaulle).
7 Aug 2012
## AUTOREN
Rudolf Walther
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