| # taz.de -- Interview mit der Künstlerin Anja Huwe: "Ich wollte nie ein Popsta… | |
| > Früher war sie Punk, heute malt sie Punkte. Die Hamburger | |
| > Ex-Punk-Sängerin Anja Huwe über Musik, die man sehen kann, und die | |
| > Missgunst in der Kunstwelt. | |
| Bild: Malt ausschließlich Punkte: Anja Huwe in ihrem Hamburger Atelier. | |
| taz: Frau Huwe, war Hamburg mal die Hauptstadt des deutschen Punk? | |
| Anja Huwe: Hamburg war schon eine Hochburg für recht harte Musik. Das lag | |
| zum einen an der norddeutschen Sprache, außerdem fanden hier sehr starke | |
| Charaktere zusammen. Bands wie Abwärts oder Slime waren mehr oder weniger | |
| die Protagonisten, sie waren die wirklich wichtigen Bands und standen | |
| sowohl durch ihre Präsenz und ihre Musik als auch durch ihre Texte für | |
| Hamburg - nur Berlin kam dem nahe. | |
| Wie wirkte sich diese "harte Musik" konkret aus? | |
| Es ging einzig und allein darum, anders zu sein als alle anderen. Optisch, | |
| aber auch musikalisch. "Kommerziell" war ein böses Wort, wir alle haben | |
| immer alles abgelehnt und den anderen Weg gesucht. Das kommerzielle Denken | |
| war bei uns überhaupt nicht angesagt, und im Verhältnis zu britischen Bands | |
| - unseren musikalischen Vorbildern, denn Punk kam aus England - ging es uns | |
| ja geradezu super hier in Deutschland. Wer in England in einer Band | |
| spielte, der wohnte meistens in einem besetzen Haus ohne Heizung, hatte | |
| eine Hose, ein paar Schuhe, seine Gitarre und das wars. In England gab es | |
| nur Musik oder Fußball, um aus elenden Verhältnissen herauszukommen. | |
| Das war in der Hamburger Szene nicht so? | |
| Hier hatten sie alle eine gute Bildung, wohnten mit ihren Freunden in einer | |
| WG und gingen jeden Abend aus oder auf Konzerte. Die Markthalle war | |
| musikalisch ein wichtiger Ort. Irgendwie ging es immer. Das war eine ganz | |
| andere Zeit. Dieser relativ elitäre Gedanke "Ich mach das so wie ich das | |
| will" - kam auch daher, dass wir uns das erlauben konnten. | |
| Punk war elitär? | |
| Wir waren sehr kompromisslos. Auf Fotos stellte man sich nicht in den | |
| Fokus, trat immer als Band auf, als Gesamtkonzept. Das läuft ja heute total | |
| anders. Es gibt eine Band, aber der Fokus liegt immer auf der Frontperson. | |
| Wir haben zu all dem immer Nein gesagt. Ab und zu hätte man etwas | |
| diplomatischer sein können. | |
| Sie waren nicht die Frontfrau? | |
| Doch, schon, aber eigentlich wollte ich das nicht. Ich wollte nie ein | |
| Popstar werden. Ich war Teil dieser Band und habe sie als Mittel zum Zweck, | |
| als Form von Kunst gesehen. Das brachte mich hinaus in die Welt, die Musik | |
| hat die Tore geöffnet. Dann habe ich aber gemerkt, dass ich zwangsläufig im | |
| Vordergrund stehen muss. Und dann fing der Druck an - mit der Plattenfirma | |
| und in der Band. | |
| Das Goethe-Institut hat schon Anfang der 80er den Punk entdeckt. Man hat | |
| Ihre Band zusammen mit den Toten Hosen und den Einstürzenden Neubauten nach | |
| Rom eingeladen. | |
| Dabei ging es nicht allein um Musik - da gab es eine deutsche Woche in Rom, | |
| bei der alle möglichen deutschen Bands spielten. Aber auch bekannte andere | |
| Kulturtreibende waren dabei: Rainer Werner Fassbinder, Ingrid Caven, | |
| Rainald Goetz, einige junge deutsche Maler, Wirtschaftswunder, Tom Dokupil | |
| - der Stern der "Neuen Wilden" ging auf. Es war ein Whos who - sehr | |
| aufregend. Zu der Zeit konnte man über das Goethe-Institut richtig viel | |
| machen, Bands bekamen Einladungen und spielten in den Goethe-Instituten | |
| rund um den Globus. | |
| Aber die Toten Hosen haben doch was ganz anderes gemacht als Sie, das war | |
| doch Fun-Punk. | |
| Musikalisch war das schon was anderes, aber wir haben ja die gleichen | |
| Wurzeln. Die Toten Hosen wohnten bei uns, wenn sie in Hamburg waren. Unsere | |
| riesige Wohnung in der Hein-Hoyer-Straße, in den Ex-St.-Pauli-Nachrichten, | |
| war das Asyl für fast alle durchreisenden Bands. Ich wohnte da mit Klaus | |
| Maeck, der heute mit Fatih Akin zusammenarbeitet, Christiane F. und Teilen | |
| der Einstürzenden Neubauten. | |
| Irgendwann ist der harte, düstere Punk dann unter die Räder gekommen. | |
| Punk war nicht düster, X Mal Deutschland waren es! Ich bin mit Punk | |
| musikalisch aufgewachsen und habe anfangs im Plattenladen "Rip Off" | |
| gearbeitet, da war das Motto: "Keine Mark der Plattenindustrie". Da haben | |
| viele Leute aus der Szene gearbeitet, der Laden hing auch mit dem Label | |
| Zick Zack zusammen. Es gab das Krawall, später das Subito, aber es war eine | |
| relativ kurze Zeit wirklich aufregend und innovativ. Dann kam die Neue | |
| Deutsche Welle mit Nena und der "Ich will Spaß"-Fraktion auf - und X mal | |
| Deutschland gingen dann genau zur richtigen Zeit nach England. Damit | |
| wollten wir nichts zu tun haben. | |
| Und dann? | |
| Es gab in England keine andere Band, die deutsch sang. Wir wirkten für die | |
| total teutonisch, unnahbar - die haben uns mit offenen Mündern angestarrt. | |
| Wir haben das Bild der Engländer von Deutschen komplett erfüllt. | |
| Musikalisch waren wir denen mit den sehr harten Gitarren sehr ähnlich, | |
| allerdings mit deutschen Texten, die sie als "Wall of Sound" wahrnahmen. | |
| Wir waren total hip und tourten sehr viel durch Großbritannien, später auch | |
| weltweit. | |
| Anfang der 1990er-Jahre hat sich X mal Deutschland aufgelöst. Haben Sie die | |
| Musik ganz an den Nagel gehängt? | |
| Als sich die Band auflöste, hatte ich noch einen Vertrag mit Chapell Music, | |
| demselben Verleger wie Björk, die sich zur gleichen Zeit von ihrer Band | |
| Sugarcubes trennte, um ihre Solokarriere zu starten. Mein Verlag erwartete | |
| gleiches von mir. Ich wollte diesen Weg aber nicht gehen. Der Preis für so | |
| eine Solo-Karriere war mir zu hoch. | |
| Also wollten Sie mit der Musik kein Geld verdienen? | |
| Doch, und das haben wir auch. Aber auch wir haben, wie viele andere Bands, | |
| Verträge unterschrieben, die man nach heutigen Maßstäben als sittenwidrig | |
| bezeichnen kann. Aber woher willst du wissen, dass deine Band je | |
| erfolgreich sein wird. Du kriegst von einem Label einen Vertrag, und die | |
| sagen, wir machen ein paar Platten, das ist dann erst mal toll. Du gehst ja | |
| nicht davon aus, dass das richtig losgeht. Aus diesem Grund bin ich | |
| übrigens heute auch Schirmherrin von Rockcity Hamburg - hier werden junge | |
| Künstler beraten und unterstützt, damit sowas vermieden wird. | |
| Sie sind zurückgegangen zur Bildenden Kunst. Konnten Sie dort von Ihren | |
| Erfahrungen in der Musikszene profitieren? | |
| Mit der Kunst ist das für mich was anderes, ich bin keiner Gruppe | |
| verpflichtet. In der Kunst habe ich etwas gefunden, das ich vorher vermisst | |
| habe. Ich bin relativ autark. Die Kunstwelt funktioniert anders, weil es da | |
| um sehr viel Geld geht. Und weil das so ist, kommuniziert man auch anders | |
| untereinander. Es gibt sehr viele Künstler, aber nur wenige, die davon | |
| leben können. Da kommt viel Missgunst auf. Aber für mich erfüllt es das, | |
| was ich immer gesucht habe. | |
| Was genau? | |
| Mit Farbe zu arbeiten und auch zu erkennen, dass ich immer anders war. | |
| Irgendwann habe ich verstanden, dass Farbe und Musik für mich untrennbar | |
| verbunden sind. Ich bin Synästhetikerin, das ist eine Verknüpfung der | |
| Sinne. Bei mir sind das Augen und Ohren. | |
| Wie kann man sich das vorstellen? | |
| Ich kann Farben hören, allerdings vor meinem geistigen Auge. Viele Künstler | |
| kennen dieses Phänomen. Heute male ich also Musik. | |
| Jetzt mögen Sie Farben und lehnen das Monochrome ab? | |
| Nein, ich lehne es nicht ab, aber heute bin ich eher farbig. Der Mensch | |
| entwickelt sich ja weiter. Ich will schon seit Jahren ein Bild machen, das | |
| monochrom ist, aber ich krieg es nicht hin. Weil ich "es" verstehe, finde | |
| ich es langweilig. Die Kombination von Farben verändert die Farben - und | |
| klingt für mich. | |
| Lag das Schwarz-Weiß-Denken am Punk? | |
| Eher an der Haltung. Punk war ja sehr bunt. Alles drumherum war schillernd. | |
| Nur wir waren das nicht, wir kamen ja eher existenzialistisch und düster | |
| rüber. | |
| Ist es ohne den scharfen Kontrast denn möglich, unangepasst zu sein? | |
| Das hat sich geändert. Wenn du wirklich gegen den Strom schwimmen willst, | |
| musst du dir das erlauben können, also finanziell relativ unabhängig sein | |
| oder ein zweites Standbein haben. Heute ist es härter, gleichzeitig sind | |
| die Chancen aber größer, sich über Medien zu verbreiten. Heute mache ich | |
| Bildende Kunst, und meine Erfahrung mit der Musik hilft mir oft, Dinge | |
| einschätzen zu können. Leute werden entdeckt, weil es gerade Trend der Zeit | |
| ist oder weil sie gut sind, das will ich nicht beurteilen. Die Kunstwelt | |
| ist wie eine Börse. | |
| Und das ist für Sie interessant? | |
| Ich verkaufe meine Bilder weltweit, ich arbeite mit dem System. Aber ich | |
| habe auch hier meinen eigenen Weg gefunden. Ich versuche zumindest, mich zu | |
| arrangieren. | |
| 12 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
| Lena Kaiser | |
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| Hamburg | |
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