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# taz.de -- Die Beckenpinkler: Merkt doch keiner
> Viele tun es, keiner gibt es zu: Nicht nur die olympischen Schwimmer,
> auch die Berliner urinieren ins Wasser. Die taz weiß, warum
Bild: Phelps bei 200 Meter Butterfly am 31. Juli in London: Hat er schon?
Endlich ist es raus. Was muss, das muss. Viele tun es. Erwachsene
versteckt. Kleinkinder offen. Egal ob jung oder alt – Berlins Badeanstalten
sind ein öffentliches Pissoir. Die Mehrheitsgesellschaft empfindet das als
eklig, unhygienisch und ungesund. In Wirklichkeit ist es eher eine
kulturelle Frage. Denn das Wasser in den Becken ist gechlort und Urin an
sich unschädlich.
Die US Olymipaschwimmstars Michael Phelps und Ryan Lochte waren es, die bei
der Olympiade in London ein lange gehütetes Tabu gebrochen haben: „Everyone
pees in the pool“, verriet der 18-fache Olympiasieger Phelps dem Wall
Street Journal. „Wenn wir beim Training zwei Stunden im Wasser sind, gehen
wir nicht raus, um uns zu erleichtern“. Man lasse es beim Schwimmen einfach
laufen, bestätigte Lochte in einem Video. Aber auch beim Pinkeln im Wasser
brauche man Übung, um es zum Profi zu bringen.
Was auf Olymipiasieger zutrifft, gilt für das allgemeine
Schwimmbad-Publikum allemal. Der englische Guardian startete nach
Bekanntwerden des Geständnisses eine Umfrage unter Briten. „Haben Sie je in
ein Schwimmbecken gepinkelt?“ Eine Zwei-Drittel-Mehrheit antwortete: Ja.
Die taz hat sich jetzt in Berlins Badeanstalten umgehört. „Das stimmt
leider“, bestätigt ein Schwimmeister des Kreuzberger Prinzenbades. „Die
Leute pinkeln ins Becken, und nicht nur Kinder“. Die Badegäste sind da
weniger offen. Nur eine junge Frau gibt zu,beim Schwimmen schon mal ins
Wasser gepinkelt zu haben. Und das sei in einem See gewesen. Mit Ausnahme
einer älteren Dame sind sich allerdings alle Befragten sicher: Es gibt
genug andere, die das tun. „Das ist eine Sauerei“, sagt ein
durchtrainierter Mittvierziger sichtlich angewidert.
Vor kaum etwas ekelten sich Leute mehr als vor den Ausscheidungen anderer
Menschen, erklären Mediziner solche Reaktionen. Gerechtfertigt sei das
nicht. Messungen zufolge werden in normalen Hallenbädern pro Liter Wasser
zwischen 0,7 und 1,6 Milligramm Harnstoff gemessen. An einem Tag kämen
schon mal 200 Liter Urin zusammen, wissen Experten. Allerdings sind diese
verteilt auf eine Gesamtwassermenge von einer Million Liter. Laut Berliner
Bäder Betriebe sieht die Norm DIN 19643 einen Grenzwert von einem Miligramm
Chlor pro Liter Wasser vor. Chlor wird zur Desinfizierung und Abtötung von
Erregern eingesetzt.
In Frankreich sei vor einiger Zeit mal ein Test gemacht worden, erzählt ein
anderer Bademeister. „Da wurde eine Flüssigkeit ins Wasser gekippt.
Pinkelte einer rein, verfärbte sich das Wasser. „So was könnten wir auch in
Berlin gebrauchen, haben wir gedacht“. Doch dazu kam es nie. Die Substanz
sei in Frankreich aus dem Verkehr gezogen worden. „Ein Badegast hatte
geklagt, weil sich nicht nur das Wasser verfärbt hatte, sondern auch seine
Haare.“
Das Tabu, nicht ins Wasser zu pinkeln, sei eine Kulturfrage, sagen
Mediziner. Ungesund oder gar gefährlich sei es nicht. Im Gegenteil: Urin
ist in der Regel steril, Harnstoff ein wichtiges Medikament. „Das ist ein
überzüchtetes Getue“, sagt eine Internistin. „Alles soll hypersteril sein,
aber alle Welt hat Allergien, weil wir nicht mit Dreck und Ausscheidungen
in Berührung kommen“.
Physiologisch ist der Drang, ins Wasser zu pissen, so erklärbar: Die Kälte
übt einen Reiz auf die Blase aus. Aber nicht nur ein schwaches
Harnwegssystem und Bequemlichkeit sind Gründe, warum so viele Menschen dem
Druck erliegen. „Das ist auch ein halberotischer Moment. Das hat was Cooles
und Subersives, weil es verboten ist“, sagt ein Psychologe. „Alle sehen
einen, aber keiner weiß, was man gerade macht.“
Wenn er sich da mal nicht täuscht. Axel Ott arbeitet als dienstältester
Bademeister Berlins lange genug im Strandbad Wansee, um zu wissen, wie
Badegäste aussehen, wenn sie im Wasser Wasser lassen. Bei schönem Wetter
sei es besonders auffällig. Selbst Wasserscheue gingen dann in den See.
„Aber nur so tief, dass die Badehose bedeckt ist. Sie schauen sich um, ob
niemand guckt, erleichtern sich und haben plötzlich einen ganz entspannten
Gesichtsausdruck.“ Auch er kenne dieses Gefühl, sagt Ott und lacht. „Das
ist ein menschliches Bedürfnis“.
12 Aug 2012
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Schwimmen
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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