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# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Das Tabu
> Über Fragen, die man sofort wieder bereut, das Fehlen eines Dazwischens
> und jede Menge bedrückende Stille.
Nichts. Es ist eine merkwürdige Stille am Telefon. Er, nennen wir ihn
Yunus, schweigt. Dann ringt er nach Worten. „Wie bitte?“ Er räuspert sich.
„Wie kommst du da drauf?“, fragt er. „Also, das sagen ja viele, aber … …
bin nicht so. Bin ich nicht.“ Die Stimmung ist angespannt. Ich entschuldige
mich.
Ich entschuldige mich für die unangenehme Situation, in der wir uns beide
jetzt befinden. Yunus ringt nicht nur mit Worten, er ringt mit sich. „Es
tut mir wirklich leid. Ich wollte dir nicht zu nahe treten“, sage ich.
„Kein Problem“, beeilt er sich. Obwohl offen und geradeheraus so etwas zu
fragen, sei ja doch schon ziemlich komisch, fügt er hinzu und lacht
vorsichtig. Ich stimme ihm zu und entschuldige mich noch einmal.
„Du bist natürlich nicht die Erste“, erklärt er. „Meine Mutter hat mich
groß gezogen – ohne Vater. Deshalb bin ich so, wie ich bin, und manche
Leute sprechen mich halt schon darauf an. Sie sagen, das liege daran, dass
ich so höflich spreche.“ Er pausiert. „Aber das ist doch etwas Gutes.
Höflich sprechen ist doch gut. Ich verstehe das nicht. Und ich bin ja
wirklich nicht, also …“ Er verhaspelt sich. „Du musst mir nichts erkläre…
Egal was ist, das ist deine Privatsache, das geht mich überhaupt nichts an.
Das anzusprechen war falsch von mir“, sage ich. „Ja, stimmt. Ich muss
nichts erklären“, wiederholt Yunus.
Yunus und ich hatten uns zufällig auf einer islamischen Veranstaltung
kennengelernt. Ob ich ihm mit ein paar beruflichen Tipps helfen kann, hatte
er gefragt. „Klar“, hatte ich gesagt. Wochen später telefonierten wir.
Er hat da ein kleines Projekt vor, das Thema verrät er nicht. Ich dränge
nicht, frage nicht nach. Irgendwann ahne ich aber, worum es gehen soll. Ich
warte ein bisschen. Wir sprechen weiter. Ich bin mir jetzt sicher. „Habe
ich recht?“, frage ich. Er ist überrascht. „Ist ja naheliegend“, erkläre
ich, „so wie du das beschrieben hast.“ – „Ja, stimmt, so kommt man sehr
schnell drauf“, sagt er nachdenklich.
Ein schwieriges Thema habe sein Projekt, denn man spreche nie darüber. Das
Thema sei ein Tabu. Yunus war bei Imamen. Die seien keine Hilfe gewesen,
ganz im Gegenteil. Die einen sagten ihm, das sei eine Krankheit, das müsse
behandelt und geheilt werden. Die anderen sagten, sie wüssten auch nicht
weiter. Das müsse man selbst lösen, selbst entscheiden. Das sei halt eine
harte Prüfung, da müsse man durch.
Tabu. Stille. Es war nichts und es ist nie etwas gewesen.
Eine sehr harte Prüfung, denn es ist absolut verboten.
Entweder oder. Es gibt kein Dazwischen, kein Beides. Zumindest keines, das
akzeptiert wäre. Etwas, worüber sich Gelehrte einig wären. „So ein Mensch
könnte ja einfach sagen: Dann bin ich halt nicht mehr religiös!“, sagt
Yunus. Einfach den einfachen Weg könnte „so ein Mensch“ wählen.
Aber was ist, wenn „so ein Mensch“ glaubt? Wenn „so ein Mensch“ tief im
Herzen glaubt und weiter glauben will?
„So ein Mensch“ sei ratlos, sagt Yunus. Und traurig auch. Die Leute
sprächen nicht darüber. Die meisten fänden das krank. „Ich will ja
natürlich nicht sagen, dass das normal ist“, sagt Yunus. „Aber das gibt es
halt. Es gibt solche Muslime.“
„Und du?“, frage ich. Schon während ich die Frage stelle, bereue ich sie.
Nichts.
Es ist eine merkwürdige Stille am Telefon. Er, nennen wir ihn Yunus,
schweigt.
13 Aug 2012
## AUTOREN
Kübra Gümüsay
## TAGS
taz.gazete
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