Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Computerspiel Spirit Camera: Tagebuch des Spielerhorrors
> Der Entsorgungspark der gescheiterten Projekte ist um ein Videospiel
> reicher: Das Augmented-Reality-Game Spirit Camera spukt durch die
> Spielkonsole.
Bild: Szene aus dem Videotrailer zu „Spirit Camera – Das verfluchte Tagebuc…
Ein Spiel kommt auf den Markt und protzt gleich mal mit dem nächsten großen
Ding der Technikgemeinde: Augmented Reality. Erweiterte Realität.
Ihre Verfechter hören es ja ungern, aber erweiterte Realität ist zunächst
einmal nicht viel mehr als eine optische Livereproduktion der schnöden
Normalrealität: Auf einem Bildschirm wird gezeigt, was eh um uns herum ist.
Und irgendjemand Gewitztes, irgend ein Programmierfrickler hat in dieses
Abbild der Realität noch mal irgendetwas anderes hineingehängt: lustige
Flugsaurier. Possierliche Pänzerchen. Oder Menütipps für das Restaurant
gegenüber.
In der Zweitrealität aller spielenden Menschen ist die Augmented Reality
bislang noch erstaunlich wenig angekommen. Vielleicht weil spielende
Menschen etwas viel Besseres haben, eine ganz eigene Realität nämlich, in
der sie sich aufhalten können. Vielleicht aber auch, weil sich die
Augmented Reality noch nicht richtig nutzbar machen lässt fürs Gaming.
## Entsorgungspark der gescheiterten Projekte
Jetzt jedenfalls passiert dies: Ein Spiel kommt auf den Markt, es protzt
mit Augmented Reality, ja dem nächsten großen Ding – und es ist Sommer.
Oder auf Deutsch: Bei den Machern rechnet sich niemand von diesem Spiel
irgend etwas aus. Das ist bei Spielen nicht anders als bei Filmen: Der
Sommer ist der Entsorgungspark der gescheiterten Projekte.
Für uns Spielende also sollte "Spirit Camera", für die Nintendo 3DS
erschienen, doppelt und dreifach interessant sein: Zunächst weil es
irgendwie etwas Neues bietet (im Gamesbereich ja ein seltener Fall). Dann,
weil es uns an unsere vagen Wunschvorstellungen erinnert, was von der
Augmented Reality zu erhoffen sein könnte. Und drittens: Woran das alles,
Stand heute, scheitern kann.
Dankbar schieben wir das Spiel in den Konsolenschlitz und legen los.
Geister und Spukgestalten erwarten uns, ziehen uns durch das beiliegende
„Tagebuch“ in ein fremdes Haus hinein, werfen uns aber alsbald auch wieder
hinaus, damit sie in unserer Wohnung rumspuken und sich dort bekämpfen
lassen können. Die Handlung ist dabei total uninspiriert, sinnfrei und
konfus, was durch die extrem geringe Spiellänge einigermaßen aufgefangen
wird – aber das alles wäre ja gar nicht so schlimm.
## Zu hell, zu dunkel
Wenn das Neue und Aufregende uns denn begeistern könnte, wenn die Effekte
sitzen würden. Das aber tun sie nur bedingt. Denn zwar haben Geister aus
Programmierersicht den Vorteil, dass sie unheimlich gern einfach so
unverankert herumschweben, genau wie es die Art von
Augmented-Reality-Objekten ist. Aber dass es in der Bude recht hell sein
muss, damit die 3DS-Kamera überhaupt ihre Auslöserreize im „Tagebuch“
erkennt, führt doch schon recht weit weg von unseren Vorstellungen über
Horror.
So müssen wir also vormittags zwischen Frühstück und Holundersaft blutig
angekratzte Hände bekämpfen, die hartnäckig aus der Schreibtischplatte
hervorkommen, müssen kurz vorm Kaffeetrinken noch ein Geisterkind
austreiben, das kichernd durch unser Arbeitszimmer spukt – naja, was man
halt so tut, wenn keiner zugucken kann.
Abends jedenfalls wirds dem Spiel zu dunkel, oder wenn man ihm doch ein
wenig Schauer entlocken kann, so findet der jedenfalls vor undefinierbar
braunem Hintergrund statt – zu wenig Photonen sind in der ersten Realität
unserer Wohnung vorhanden als dass den verlorenen Seelen ein
gespenstwürdiges Ambiente geboten werden könnte. Wie schade!
## Eingeschränkte Bewegungsfreiheit
Überhaupt ist die Realität ihrer erweiterten Schwester Augmented Reality
noch lange nicht gewachsen: Denn selbst wenn abgefeimtester Spitzengrusel
mitsamt feinst geschliffener Stories in jenem Jenseits auf uns warten würde
– hienieden sind es vornehmlich doch immer noch nur unsere Netzhäute und
Trommelfelle, die Kontakt zur Augmented Reality herstellen können – derweil
der Rest des Körpers unter größten Anstrengungen Amtshilfe zu leisten hat:
Arme und Hände sind von der Handhabung der Spielekonsole sowie des leider
unverzichtbaren Spuktagebuchs gefesselt, der Kopf ist auf die beiden
kleinen Display-Rechtecke gebannt.
Die Augmented Reality im 3DS schränkt unsere Bewegungsfreiheit mehr ein als
irgend ein Spiel zuvor es geschafft hätte. Ebenso gut könnte man sich
fesseln und einen Gruselfilm vorspielen lassen – vielleicht ja das nächste
große Ding?
13 Aug 2012
## AUTOREN
Klaus Ungerer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spielemesse Gamescom: Lara Croft kämpft um Weihnachten
Drei Stunden warten, um einen kurzen Einblick zu erhaschen: Viele
Computerspiel-Fans nehmen das gerne in Kauf. Auf der Spielemesse in Köln
zeigt sich, was SpielerInnen cool finden.
Der Erfolg von mobilen Spielen: Klein, independent, profitabel
Große Computerspiele sind längst so teuer und riskant wie Hollywood-Hits.
Doch Gewinne machen vor allem kleinere Produktionen – und Indie-Spiele.
Crowdfunding für offene Spielekonsole: Offene Spielekonsole statt Xbox & Co.
4,4 Millionen Dollar hat eine Crowdfunding-Aktion für den Bau einer neuen
Open-Source-Spielekonsole eingebracht. Serienreif soll die Xbox-Konkurrenz
2013 sein.
Video der Woche: Die erweiterte Mädchenrealität
Ein Anime-Girl mit grünen Haaren läuft durch einen echten Park, dazu läuft
zuckersüßer Japanpop. Was soll das? Wie funktioniert das? Und wer ist die
Frau?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.