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# taz.de -- Dignitas-Chef übers Sterben: „Gute Arbeit soll bezahlt werden“
> Ludwig Minelli, Chef der Suizidhilfe-Organisation Dignitas, erklärt die
> Kosten eines Freitods. Das in Deutschland geplante Vermittlungsverbot
> stärke seine Organisation.
Bild: Mittel zum Zweck: Pentobarbital-Natrium, von Dignitas-Ärzten für den Su…
taz: Herr Minelli, was kostet mich ein Freitod in der Schweiz?
Ludwig Minelli: Das sage ich Ihnen gerne. Doch zuerst muss ich klarstellen:
Dignitas bietet in erster Linie Lebenshilfe. Nur wenn das nicht passt,
kommt ein Suizid in Frage.
Was heißt das konkret?
Wenn uns jemand sagt: „Ich will sterben“, dann fragen wir: „Was ist Ihr
Problem?“ Dann reden wir darüber. Meist finden wir eine Lösung. Von vielen
Anrufern hören wir nie wieder etwas. Dignitas kann Menschen helfen, die
keine andere Beratungsstelle erreicht.
Warum?
Wer sterben will, ruft nicht bei einer kirchlichen Beratungsstelle an. Er
befürchtet, dass diese ihm den Freitod auszureden versucht. Wir nehmen die
Menschen ernst, deshalb kommen wir auch mit lebensmüden Menschen ins
Gespräch.
Aber ist es nicht eine Banalisierung des Todes, die Suizidhilfe als
bezahlte Dienstleistung anzubieten?
Keineswegs. Die meisten Sterbewilligen kommen mit Angehörigen oder Freunden
zu uns. Oft werden in den letzten Stunden noch wichtige Gespräche geführt,
alte Konflikte bereinigt. Der Sterbewillige geht in Frieden. Die
Angehörigen können den Tod leichter überwinden.
Wenn aber der Freitod so einfach wird, besteht dann nicht die Gefahr, dass
alte Menschen nur deshalb sterben wollen, damit sie niemandem zur Last
fallen?
Wer am Leben hängt, kommt nicht zu Dignitas. Wer aber ein jahrelanges
Dahinvegetieren im Pflegeheim vermeiden will, sagt sich: Das dafür
erforderliche Geld ist in der Ausbildung von Enkeln besser angelegt. Das
ist vernünftig und anerkennenswert. Kirchen, die an Pflegeheimen verdienen,
sehen das anders. Wer fragt nach deren kommerziellen Interessen?
A propos „kommerzielle Interessen“: Was kostet mich also ein Freitod in der
Schweiz?
Sie werden bei Dignitas Deutschland Mitglied: Aufnahmegebühr 95 Euro,
Jahresbeitrag 196 Euro. Vorbereitung einer Freitodbegleitung in der
Schweiz: 3.000 Schweizer Franken [rund 2.500 Euro], Durchführung: noch
einmal 3.000 Franken. Hinzu kommen Pauschalen von insgesamt 4.500 Franken
[rund 3.750 Euro] für Arzt, Behörden, Bestatter, Krematorium. Bedürftigen
erlassen wir die Beiträge teilweise oder ganz.
Warum trennen Sie zwischen Vorbereitung und Durchführung der
Freitodbegleitung?
Vielen unserer Mitglieder genügt letztlich das „provisorische grüne Licht�…
Dann müssen sie nicht mehr weiterleben. Plötzlich fällt eine zentnerschwere
Last von ihnen ab. Und viele können nun – selbstbestimmt – wieder das Leben
bejahen.
Warum sind die Mitgliedsbeiträge in Deutschland dreimal höher als bei
Dignitas Schweiz, wo sie nur 80 Franken [66 Euro] jährlich betragen?
In Deutschland müssen wir mehr Lobbyarbeit betreiben und das Recht auf
einen selbstbestimmten Tod erst durchsetzen.
Wie viele Mitglieder hat Dignitas?
Es sind knapp 6.400 Mitglieder, davon rund 2.700 Deutsche.
Und wie viele Mitarbeiter?
In Zürich haben wir 18 Teilzeitkräfte, also rund 10 Stellen. In Hannover
arbeiten drei Teilzeitbeschäftigte.
Gibt es ehrenamtliche Helfer?
Nein. Gute Arbeit soll auch gut bezahlt werden.
Wie viele Mitarbeiter sind für Sterbebegleitung zuständig?
Bei den Schweizer Mitarbeitern machen manche sowohl Büroarbeit als auch
Sterbebegleitung, andere nur Begleitung.
Sind die Mitarbeiter hierfür speziell ausgebildet?
Manche haben schon in Sozialberufen gearbeitet, etwa als Krankenschwester
oder Psychiatriepfleger. Alle haben Patchworkbiografien und deshalb viel
Lebenserfahrung. In erster Linie ist allerdings Empathie gefragt.
Wo führen Sie die Sterbebegleitung durch? Immer noch auf Parkplätzen?
Wir haben seit 2009 ein kleines Häuschen im Industriegebiet von
Pfäffikon/ZH, eine ehemalige Erwachsenenbildungsstätte. Davor hatten wir
eine Wohnung in Zürich. Es gab nur zwei Freitodbegleitungen auf einem
Parkplatz – auf Wunsch der beiden Mitglieder –, das waren ruhige Orte am
Waldrand, nicht an der Autobahn, wie manche Zeitungen schrieben.
Wie hoch ist Ihr Gehalt, Herr Minelli?
Ich beziehe kein festes Salär, sondern erhalte Akontozahlungen, was ich zum
Leben brauche. Im Jahr 2012 habe ich von Dignitas Schweiz bisher cirka
80.000 Franken [66.000 Euro] bekommen. Dignitas Deutschland übernimmt die
Spesen, wenn ich zu Terminen nach Deutschland reise.
Erhält Dignitas Erbschaften?
So gut wie keine. Ich bin ein miserabler Fundraiser. Wenn ich mit
Mitgliedern spreche, lenke ich nie das Gespräch auf mögliche Erbschaften
oder Vermächtnisse. Außerdem ist Dignitas bislang nicht als gemeinnützig
anerkannt, weil wir angeblich so umstritten sind.
Warum angeblich?
Tatsächlich haben wir ja großen Rückhalt in der Bevölkerung. Letztes Jahr
gab es im Kanton Zürich eine Volksabstimmung über die Suizidbegleitung. Der
Antrag auf ein Verbot wurde mit 85 Prozent der Stimmen abgelehnt. Ein
zweiter Antrag, der nur die Sterbebegleitung von Ausländern verbieten
wollte, wurde ebenfalls ganz deutlich mit 78 Prozent abgelehnt.
In der Schweiz ist die Beihilfe zum Suizid strafbar, wenn sie aus
„selbstsüchtigen Gründen“ erfolgt. Wie oft wurden Sie bereits verurteilt?
Nie! Es gab nicht einmal ein Ermittlungsverfahren. Die Strafvorschrift
zielt nicht auf organisierte Sterbebegleitung, sondern auf Verwandte, die
die Großtante zum Selbstmord verleiten, weil sie schneller erben wollen.
Nimmt der begleitete Suizid in der Schweiz zu?
Die absoluten Zahlen nehmen leicht zu, weil immer mehr Menschen älter
werden. Umgerechnet auf die Bevölkerung bewegen wir uns aber auch in der
Schweiz immer noch im Promille-Bereich.
Wie viele Suizide hat Dignitas seit der Gründung begleitet? Wie viele davon
betrafen Deutsche?
Etwa 1.400 Freitodbegleitungen, davon etwa 800 Deutsche. Wir haben
Mitglieder in 74 Ländern der Erde.
Sind die ausländischen Kunden die „Marktlücke“ von Dignitas, während
Schweizer die alte Organisation Exit bevorzugen?
Eine solche strategische Entscheidung gab es nie. Das große deutsche
Interesse entstand, nachdem der Spiegel 2001 über meine Arbeit berichtete.
Warum haben Sie 2006 Dignitas Deutschland gegründet?
Das war eine Idee von Mitgliedern aus Deutschland. Ich habe damals gesagt:
„Ich leite den Verein gerne, wenn Ihr die Arbeit macht“.
Werden Sie Dignitas Deutschland auflösen, wenn das neue Gesetz durchkommt?
Auf keinen Fall. Wir werden dagegen Verfassungsbeschwerde einlegen. Die
Weitergabe bloßer Informationen darf niemand verbieten.
Das heißt, Sie wollen in Deutschland weiterhin Freitodbegleitungen in die
Schweiz vermitteln?
Dignitas Deutschland vermittelt nicht, sondern gibt die Beratung in
Richtung Leben oder – wenn es nicht anders geht – in Richtung Sterben an
Dignitas Schweiz ab. Wie im Detail in Hannover weitergearbeitet werden
kann, prüfen zurzeit deutsche Juristen.
Verlieren Sie wegen der Diskussion in Deutschland Mitglieder?
Im Gegenteil. Wir haben seit Jahresbeginn 400 neue deutsche Mitglieder.
Öffentliche Diskussion ist die beste Werbung für uns.
16 Aug 2012
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Bestattung
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