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# taz.de -- Alt, krank, Ramadan: Essen tut weh
> Ramadan bedeutet Fastenmonat. Doch was machen gläubige Muslime, die auf
> Medikamente angewiesen sind? Im schlimmsten Fall spielen sie mit ihrem
> Leben.
Bild: Kein Essen bedeutet: Blutzuckerspiegel runter, Krankheitsrisiko rauf.
Der Koran sagt, alte und kranke Menschen müssen nicht fasten. Meriah
El-Sana sagt, sie tut es trotzdem. Sie ist 71 Jahre alt, sie ist
zuckerkrank, hatte bereits drei Herzinfarkte und leidet an
Schilddrüsenunterfunktion.
Aber den Ramadan wollte El-Sana unbedingt durchziehen, so wie jedes Jahr,
das hatte sie sich fest vorgenommen. Deshalb aß sie ab dem 20. Juli nur
noch zur Zeit des Iftar, so heißt das Fastenbrechen zwischen
Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Nach Sonnenaufgang aß sie nichts mehr,
sie trank nicht und nahm keine Medikamente. Obwohl sie sie dringend
braucht, die Blutverdünner, die Schmerz- und Diabetestabletten.
Ihr Fastenkalender für Berlin-Kreuzberg, wo El-Sana wohnt, zeigt an: Nur
zwischen 21.20 Uhr und 3 Uhr nachts darf über den Mund etwas eingenommen
werden. Eigentlich heißt Meriah El-Sana anders, doch sie schämt sich vor
den Mitgliedern ihrer Gemeinde, über das Thema Alter und Ramadan zu
sprechen.
„Sie sind alt und krank, Sie müssen nicht fasten“, das sagt Güngör Altun
immer wieder. Sie ist El-Sanas Hausärztin. Doch ab wann ist man alt? Diese
Frage zu beantworten fällt allen Menschen schwer. El-Sana lässt sie gar
nicht erst zu. Ob zu Hause oder in der Praxis, ihre Augen blicken immer
wach aus dem kantigen Gesicht unter dem Seidenkopftuch hervor. Sie sagt:
„Ich faste schon immer, seit ich zehn Jahre alt bin, das ist für mich
selbstverständlich.“ Dabei fielen ihr die langen Perioden ohne Flüssigkeit
in den vergangenen Jahren immer schwerer. „Es ist sehr anstrengend, mir
wird häufig schwindelig und ich fühle mich zittrig.“
## „Gott vergibt Ihnen, wenn Sie krank sind“
Güngör Altun sitzt El-Sana gegenüber und schüttelt den Kopf. „Wenn Ihr
Blutzuckerspiegel wie zuletzt unter 60 fällt und Ihre Hände zu zittern
beginnen, müssen Sie essen“, sagt sie. Besonders besorgt ist sie, weil ihre
Patientin den Blutverdünner nicht richtig einnimmt. Im Juni hatte El-Sana
ihren letzten Herzinfarkt. „Gott vergibt Ihnen, wenn Sie krank sind, Sie
können auch Geld spenden“, sagt Altun.
Und so dauert Meriah El-Sanas Ramadan nur sechs Tage. Sie muss aufhören.
Auch der Kardiologe hat ihr gesagt, er könne für nichts garantieren, wenn
sie die Medikamente nicht regelmäßig nimmt. Sieben Mal schon wurde El-Sana
am Herzen operiert.
Nun sitzt sie da, gehüllt in ihr schwarzes Gewand, rot und türkisfarben
bestickt, auf der Cordcouch in ihrer Wohnung. Sie versucht, sich durch
Koranlesungen und arabische Serien im Fernsehen abzulenken. Doch sie schaut
kaum auf den Bildschirm, sie starrt vor sich hin, sieht immer wieder auf
die Uhr. Seit elf Tagen schon läuft der Ramadan ohne sie. „Meine Situation
macht mich aggressiv, ich muss ständig darüber nachdenken, dass ich gegen
eine der Säulen verstoße“, sagt El-Sana. „Ich gehöre so einfach nicht zur
Gemeinschaft.“
Während ihre Bekannten ab Sonnenuntergang mit einer Dattel und Wasser das
Fasten brechen und die traditionellen Suppen, Fleischgerichte mit Aubergine
oder Datteln, Kichererbsenfladen und Grießbrei genießen, isst El-Sana nur
widerwillig. Sie freut sich nicht auf das Toastbrot mit Käse zum Frühstück,
sie freut sich nicht auf den mittäglichen Tomatensalat mit viel Petersilie
oder das gedünstete Gemüse am Abend – genau die Speisen, die sie sich sonst
so gern zum Fastenbrechen zubereitet hat. Jetzt dienen die Mahlzeiten nur
als Vehikel für die Medikamente. Spaß macht das nicht.
## Seine Grenzen zu akzeptieren ist schmerzhaft
Für gläubige Muslime, die auf Medikamente angewiesen sind, steht im Ramadan
die Befolgung ärztlicher Anweisungen gegen die religiöser Regeln. Und im
Alter verstärkt sich dieser Zwiespalt noch. Doch haben
Anpassungsschwierigkeiten zwangsläufig etwas mit Religion zu tun? Verhält
sich Meriah El-Sana nicht in gewisser Weise so, wie der passionierte
Bergsteiger, der mit 70 Jahren noch den Fünftausender besteigen muss? Der
Prozess, die eigenen Grenzen zu akzeptieren, ist schmerzhaft. Deshalb tut
Meriah El-Sana das Essen gerade weh.
„Ich fühle mich ohne das Fasten schwach und krank, irgendwie nicht wie eine
volle Muslimin“, sagt sie. Dabei ist eine enge Verbindung zu ihrer Religion
lebensnotwendig für sie. El-Sana kommt aus dem Libanon, vor 29 Jahren ist
sie während des Bürgerkriegs nach Deutschland geflohen. Seit drei Jahren
erst hat sie eine befristete Aufenthaltserlaubnis, ihre Kinder wohnen in
Schweden und Dänemark. „Im Ramadan fühlte ich immer eine intensive
Verbindung zur religiösen Gemeinschaft und vor allem zu Allah“, sagt
El-Sana.
Die Ärztin Güngör Altun weiß, wie wichtig ihren muslimischen Patienten der
Fastenmonat ist. Die Türkin ist selbst Muslimin und versucht deshalb, wann
immer möglich, keine Verbote auszusprechen. „Es kamen schon Patientinnen zu
mir, die waren depressiv, weil ihre vorherigen Ärzte ihnen das Fasten
verboten haben“, berichtet Altun. „Dabei kann das Gemeinschaftsgefühl
während des Ramadan viel Kraft geben.“ Deutschen Ärzten und Pflegekräften
fehle dafür oft noch das Gespür, Möglichkeiten wie alternative Medikamente
würden nicht gesehen.
Für Meriah El-Sana ist der Ramadan diesmal ohne sie gelaufen. Jetzt freut
sie sich umso mehr aufs Zuckerfest an diesem Wochenende. Sie wird mit ihren
Kindern und Enkeln nach Marokko fliegen. „Dann fühle ich mich nicht mehr so
weit weg von allem“, sagt sie.
17 Aug 2012
## AUTOREN
Karen Grass
## TAGS
Ramadan
Kopftuch
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