# taz.de -- Ramadan I: Fasten für die Konzentration | |
> Viele Berliner Muslime verzichten im Ramadan gänzlich auf Essen und | |
> Trinken - tagsüber. Nachgeholt wird das an den Abenden, oft gemeinsam. | |
> Vor allem junge Gläubige erleben den Fastenmonat als identitätsstiftend. | |
Bild: Kuppel und Kronleuchter der Neuköllner Sehitlik-Moschee. | |
Der Kellerraum der Neuköllner Sehitlik-Moschee ist hell erleuchtet. An den | |
langen Tischreihen sind alle Plätze belegt: Die Gläubigen sitzen dicht | |
gedrängt vor Alubehältern mit dampfenden Bohnen, Reis und Suppe, hastig | |
löffeln sie ihre Speisen mit Plastikbesteck. In der einen Hälfte sitzen die | |
Frauen; links, durch einen Vorhang separiert, die Männer. Es ist die 14. | |
Nacht des muslimischen Fastenmonats Ramadan, und mit dem Sonnenuntergang | |
hat das allabendliche Fastenbrechen begonnen. | |
Dass das Arrangement im Moscheekeller eher den Charme einer Mensa hat, | |
stört Betül nicht im Geringsten. Langsam schiebt sich die 28-Jährige einen | |
Löffel Bohnenreis in den Mund, es ist ihre erste Mahlzeit seit über 16 | |
Stunden. „Wenn du weder isst noch trinkst, nimmst du den Tag | |
hochkonzentriert wahr“, sagt Betül – und wirkt selbst dabei noch | |
hochkonzentriert. Ein fester Blick aus grün-braunen Augen, klare, | |
kontrollierte Gesichtszüge. Nein, das Fasten sei für sie nicht hart, | |
versichert Betül, auch schränke es sie nicht bei ihrem BWL-Studium ein. „Es | |
macht mir meinen Glauben wieder bewusst.“ Und daraus ziehe sie Kraft. | |
Etwa 200.000 Muslime leben nach Schätzungen des Senats derzeit in Berlin – | |
wie viele ihren Glauben praktizieren, ist unklar. „Ich habe den Eindruck, | |
dass dieses Jahr weniger Berliner Muslime den Ramadan begehen als in den | |
Jahren zuvor“, sagt Ender Cetin, der Vorsitzende der Sehitlik-Moschee, die | |
jeden Abend zum Iftar, dem gemeinsamen Fastenbrechen, einlädt. Aber das sei | |
nur die eine Seite der Medaille: „Dieses Jahr fasten verstärkt junge | |
Menschen“, sagt Cetin. Ihr Interesse am eigenen Glauben wachse. | |
Verlässliche Zahlen hat der Vorsitzende dazu nicht, doch er belegt seinen | |
Eindruck am Beispiel des Mittwochsunterrichts in der Moschee. Der wurde vor | |
vier Jahren für Nichtmuslime eingerichtet, die sich mit dem Islam | |
beschäftigen wollten. „Nun sind es vor allem junge Muslime, die jede Woche | |
mit ihren Fragen in den Unterricht kommen – gerade während des Ramadan.“ | |
Und sie kommen zahlreich: Am vergangenen Mittwoch saßen rund 80 junge | |
Frauen und Männer auf einem flauschigen Teppich und hörten dem Referenten | |
Halid Durmosch zu, wie er berlinernd den Ramadan als Trainingsmonat für | |
Muslime bezeichnete: „Wir trainieren, Danke zu sagen. Das Lesen des Korans | |
ist im Ramadan der ultimative Ausdruck von Dankbarkeit.“ Und es sei so | |
sinnvoll, wie 30.000 Omas über die Straße zu helfen. Ein Vergleich, der | |
hier und da mit einem Lacher goutiert wird. | |
Die BWL-Studentin Betül hat auch am Mittwochsunterricht teilgenommen. „Aus | |
Neugier“, wie sie sagt. Beeindruckt zeigt sie sich davon im Nachhinein | |
nicht. „Ich erlebe den Ramadan in Berlin insgesamt eher als kühl und | |
oberflächlich“, sagt die gebürtige Berlinerin. „Aber das ist wohl ein | |
Metropolenphänomen.“ | |
Ähnlich geht es Emna. Die 24-Jährige studiert Arabistik an der FU und | |
begeht den Ramadan, seit sie volljährig ist: „Der Islam wird in Berlin | |
zunehmend zu einer Wettbewerbsgeschichte“, erzählt sie: „Wer ist der | |
bessere Moslem?“ Emna fehlt es bisweilen am Gemeinschaftsgefühl, das sie | |
von den Besuchen bei ihren Freunden und Verwandten in Tunesien her kennt. | |
„Man wird jeden Abend von allen möglichen Leuten zum Fastenbrechen | |
eingeladen und lädt selber ein. Kurz vor Sonnenuntergang kannst du die | |
Spannung spüren, die in der Luft liegt.“ | |
In Berlin tröstet sie sich bisweilen mit beliebten tunesischen | |
Fernsehserien, die eigens für den heiligsten aller heiligen Monate des | |
Islam produziert werden. Auch in diesem Jahr schaut sie sich die Serien | |
wieder an. Diesmal allerdings vor Ort, in Tunesien. | |
13 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
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