# taz.de -- Islamunterricht in NRW: Allah wird endlich eingeschult | |
> Bekenntnisorientierter Islamunterricht: Noch gibt es weder Lehrplan noch | |
> qualifiziertes Personal. Trotzdem spricht NRW-Schulministerin Löhrmann | |
> von einem „Signal“. | |
Bild: Islamkundliche Unterweisung und kein Islamunterricht an einer Grundschule… | |
KÖLN taz | Wenn am Mittwoch an Rhein und Ruhr die Schule beginnt, steht für | |
einige Muslime ein neues Fach auf dem Stundenplan, das sie bisher nur von | |
ihren christlichen Mitschülern kannten: Religionslehre. Als erstes | |
Bundesland führt Nordrhein-Westfalen den so genannten | |
bekenntnisorientierten islamischen Unterricht ein. | |
Der Start ist überschaubar, vieles noch ein Provisorium. Aber es ist ein | |
Anfang. „Die Einführung ist ein Signal für die Integration der Muslime in | |
Deutschland“, freut sich die grüne Landesschulministerin Sylvia Löhrmann. | |
An 44 von insgesamt 3.038 Grundschulen im Land beginnt das Experiment, das | |
im Dezember vergangenen Jahres von SPD, Grünen und CDU im Düsseldorfer | |
Landtag beschlossen wurde. „Wir gehen bei der Einführung des islamischen | |
Religionsunterrichts planvoll und schrittweise vor“, sagt Ministerin | |
Löhrmann. | |
So werden zunächst nur 2.500 der insgesamt 320.000 muslimischen | |
SchülerInnen das neue Angebot wahrnehmen können. Auch einen Lehrplan gibt | |
es noch nicht. Er soll bis zum Sommer 2013 fertiggestellt sein. Speziell | |
qualifiziertes Personal fehlt ebenfalls. Die ersten theologisch | |
ausgebildeten Religionslehrer werden die Universitäten erst 2019 verlassen. | |
Zunächst einmal übernehmen 40 bisherige IslamkundelehrerInnen den Job. | |
Es ist ein Schritt zur Beendigung einer Ungleichbehandlung. Erstaunlich | |
aber wahr: Die konfessionsgebundene schulische Glaubenslehre genießt in der | |
Bundesrepublik besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Nicht Deutsch oder | |
Mathematik – nur der Religionsunterricht findet im Grundgesetz besondere | |
Erwähnung. Dort ist festgeschrieben, dass er an öffentlichen Schulen ein | |
ordentliches Lehrfach zu sein hat und „in Übereinstimmung mit den | |
Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ wird. | |
Die NRW-Landesverfassung schreibt auch vor, dass Lehrpläne und Lehrbücher | |
„im Einvernehmen mit der Kirche oder Religionsgemeinschaft“ zu bestimmen | |
sind und auch die Religionslehrer „der Bevollmächtigung durch die Kirche | |
oder durch die Religionsgemeinschaft“ bedürfen. Das sichert der | |
entsprechenden religiösen Vereinigung sehr weitgehende Einflussrechte. | |
## Keine Anerkennung | |
Das Problem für die Muslime: Ihren Organisationen fehlt bislang die | |
Anerkennung als Religionsgemeinschaft – was bis heute als formalrechtliche | |
Begründung dient, ihnen nicht die gleichen Rechte zuzugestehen wie den | |
Kirchen. Da es jedoch gleichzeitig dem Staat verfassungsrechtlich untersagt | |
ist, ein bekenntnisorientiertes Angebot nach eigener Fasson zu kreieren, | |
fiel islamischer Religionsunterricht bislang aus. | |
In NRW setzten die jeweiligen Landesregierungen darum auf | |
Hilfskonstruktionen. Seit 1986 können muslimische SchülerInnen im Rahmen | |
des „muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts“ an einer, meist in | |
türkischer Sprache gehaltenen „islamkundlichen Unterweisung“ teilnehmen. | |
1999 wurde zusätzlich das kulturwissenschaftlich orientierte Fach | |
„Islamkunde in deutscher Sprache“ eingeführt, das auch nicht an ein | |
Bekenntnis zum Islam gebunden ist. | |
Nun soll ein achtköpfiger Beirat das Dilemma lösen, keinen adäquaten | |
Ansprechpartner auf muslimischer Seite zu haben und trotzdem eine | |
Gleichbehandlung der Religionen zu erreichen. Die eine Hälfte ist mit | |
VertreterInnen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion | |
(Ditib), des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), des Verbands der | |
islamischen Kulturzentren (VIKZ) sowie des Islamrats besetzt. Die vier | |
anderen Mitglieder wurden vom Schulministerium im Einvernehmen mit den im | |
Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) zusammengeschlossenen | |
Verbänden bestimmt. Für die Übergangsphase bis 2019 ist der Beirat als eine | |
Art „Ersatzreligionsgemeinschaft“ sowohl an der Auswahl der LehrerInnen als | |
auch der Lehrpläne und -bücher beteiligt. | |
## Umstrittene Lösung | |
Schulministerin Löhrmann spricht von einer „Brücke“. Wäre man der „rei… | |
Lehre“ gefolgt, hätte dies bedeutet, dass es auf absehbare Zeit keinen | |
islamischen Religionsunterricht geben könnte. Der Landtag habe deshalb „zu | |
Recht entschieden, nicht abzuwarten, bis sich islamische | |
Religionsgemeinschaften im Sinne des Staatskirchenrechts gebildet haben“. | |
Die Lösung ist umstritten. Die damals noch im Landtag vertretene | |
Linkspartei stimmte gegen die Novelle des Schulgesetzes. Die FDP enthielt | |
sich, weil sie den gewählten Weg für „rechtlich zu riskant“ hielt. In der | |
vorangegangenen Landtagsanhörung hegten Verfassungsrechtler Bedenken über | |
den zu großen Einfluss des Schulministeriums, der die Gefahr berge, einem | |
Staatsislam Tor und Tür zu öffnen. | |
Auch die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor sieht die derzeitige | |
Beiratskonstruktion kritisch. Sie sei zwar „im Prinzip sehr erfreut“ über | |
die Einführung des islamischen Religionsunterrichts, der ein „längst | |
überfälliger Schritt“ sei. Aber der Einfluss der im KRM | |
zusammengeschlossenen Islamverbände sei zu stark. Obwohl sie nur gerade mal | |
20 bis 30 Prozent der Muslime in Deutschland vertreten würden, werde ihnen | |
„durch die Hintertür die Quasianerkennung als alleinige Repräsentanz der | |
Muslime erteilt“. | |
Ditib, Islamrat, VIKZ und ZMD würden einen traditionell-konservativen Islam | |
vertreten, der legitim und notwendig sei, aber alleine nicht die Mehrheit | |
der Muslime ausmache. „Es gibt auch andere, zeitgemäßere Sichtweisen“, sa… | |
die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Außerdem sei der Beirat | |
rein sunnitisch zusammengesetzt. Damit werde er dem Anspruch nicht gerecht, | |
alle islamischen Strömungen mit Ausnahme der Aleviten, die bereits einen | |
eigenen Unterricht haben, zu erfassen: „Die Schiiten sind nicht direkt | |
berücksichtigt.“ | |
21 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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