| # taz.de -- Rudi Gutendorf zum Bundesligajubiläum: „Die Damen rümpften die … | |
| > Trainer Rudi Gutendorf spricht über die Schönheit des Fußballs vor 50 | |
| > Jahren und seine Comebackpläne. In der ersten Bundesligasaison 63/64 | |
| > trainierte er den Meidericher SV. | |
| Bild: Ein Leben als Fußballlehrer: Rudi Gutendorf (re.) 1999 beim Training mit… | |
| taz: Herr Gutendorf, erinnern Sie sich noch an den 24. August 1963? | |
| Rudi Gutendorf: Natürlich. Das war der vielleicht wichtigste Tag meiner | |
| Karriere. | |
| Der erste Spieltag der neuen Bundesliga: Meiderich gegen den Karlsruher SC. | |
| 4:1. Zweimal Krämer, einmal Rahn, einmal Clichy. Und Sie als Trainer auf | |
| der Bank. | |
| Nach dem Spiel habe ich vor Glück auf der Laufbahn getanzt. Diese | |
| Provokation hat man mir in Karlsruhe lange übel genommen. | |
| Sie kamen damals als sehr junger Trainer in die neue Bundesliga. Welche | |
| Erinnerungen an diese erste Saison haben sich bei Ihnen eingebrannt? | |
| In der Saison habe ich meinen Spitznamen „Riegel-Rudi“ bekommen. Das sollte | |
| negativ klingen, für mich war er aber ein Markenzeichen. Ich habe alle | |
| Spieler in die Deckung zurückgezogen und nur den Mittelstürmer vorne | |
| gelassen. Immer wenn die gegnerischen Spieler böse und leichtsinnig wurden, | |
| weil sie einfach kein Tor geschossen haben, bin ich auf die Bank gesprungen | |
| und habe die Arme ausgebreitet. Das war das Zeichen: Jetzt! Dann sind alle | |
| von hinten gekommen und nach vorne gestürmt. So sind wir ganz knapp hinter | |
| dem 1. FC Köln Vizemeister geworden. Das war ein Wunder! | |
| Die Gründung der Bundesliga war ein Neustart für den deutschen | |
| Vereinsfußball, begleitet von viel Kritik. Wie wurde die neue Liga vom | |
| Publikum und den Klubs angenommen? | |
| Sepp Herbergers Idee, aus den einzelnen Oberligen eine Bundesliga zu | |
| machen, stieß am Anfang tatsächlich auf Kritik, weil viele Clubs ums | |
| Überleben gefürchtet haben. Aber das hat sich Jahr für Jahr entwickelt. Der | |
| beste Beweis sind doch die ausverkauften Stadien. Von Anfang an kamen zum | |
| Beispiel jedes Jahr 6.000 Leute aus Essen nach Duisburg, um uns zu sehen. | |
| Natürlich gab es Kritiker, aber 99 Prozent der Leute waren sehr glücklich, | |
| dass es diese eine Liga gab, in der dann die Allerbesten spielten. | |
| Konnten Sie vom Fußball schon leben? | |
| Nicht gut. Ich habe 2.000 Mark brutto bekommen – ein Hohn, wenn ich mir die | |
| Trainergehälter heute anschaue. Aber ich erinnere mich, dass mir der Verein | |
| 10.000 Mark als Prämie für den Nichtabstieg angeboten hat, als ich | |
| unterschrieb. Die habe ich abgelehnt und gesagt: „Ich will lieber 100.000 | |
| für die Meisterschaft.“ | |
| Selbstbewusst, Herr Gutendorf. | |
| Ja. Die haben auch die Köpfe zusammengesteckt und gesagt: „Das ist | |
| vielleicht doch nicht der richtige Mann. Der spinnt ja!“ Aber ich hatte | |
| vollstes Vertrauen in mich und die Mannschaft. Ich habe Tag und Nacht | |
| gearbeitet. In meiner Trainerkabine stand ein Feldbett, da habe ich nach | |
| dem ersten Training immer einen Mittagsschlaf gemacht. Welcher Trainer | |
| würde so etwas heute noch machen? | |
| Die Spielergehälter waren damals auf 1.200 Mark gedeckelt. War Fußball für | |
| die Spieler nur ein Nebenjob? | |
| Na ja, ehrlich gesagt haben wir neben den Gehältern noch schwarz Prämien | |
| ausgezahlt, um Anreize zu schaffen. Ich habe zum Beispiel gegen den | |
| Vorstand eine Siegprämie durchgesetzt, um die Spieler zusätzlich zu | |
| motivieren. | |
| Kritiker beklagen heute die zunehmende Kommerzialisierung des Sports, Geld | |
| steht im Mittelpunkt sportlichen Handelns. Was waren damals die | |
| entscheidenden Güter? | |
| Die Kameradschaft und die Verbundenheit. Wir hatten zum Beispiel keinen | |
| Ausländer im Team. Nicht weil wir etwas gegen Ausländer gehabt hätten, | |
| sondern weil die Spieler schon von Kind an zusammen gespielt hatten. | |
| Meiderich war eine echte Straßenmannschaft, fast alle Spieler kamen aus | |
| zwei, drei Straßen in Duisburg, waren Tag und Nacht als Freunde zusammen – | |
| und so haben sie auch gekämpft. Das war ein Glücksfall, dieser Haufen | |
| Gemeinsamkeit. Heute ist das ganz anders. Genau wie auch der Fußball | |
| selbst, der viel dynamischer und schneller geworden ist. Damals konnte man | |
| noch den Ball stoppen und zum Dribbling ansetzen, heute wird gleich mit | |
| Doppeldeckung zerstört. | |
| Wünschen Sie sich die alten Zeiten zurück? | |
| Nein. Aber Spieler wie Pelé, Garrincha oder Stan Matthews könnten heute | |
| nicht mehr spielen wie früher. Die Dribblings werden heute unterbunden. | |
| Darunter leidet auch ein Spieler wie Arjen Robben. Natürlich ist es | |
| taktisch richtig, ich würde das genauso machen. Aber dem Spiel und seiner | |
| Schönheit dient das nicht. | |
| Die Bundesliga begeistert heute trotzdem quer durch alle Schichten. War | |
| diese Strahlkraft damals auch schon so stark? | |
| Nein, die Gesellschaft hat sich wahnsinnig verändert. Als ich Trainer | |
| wurde, hat meine Mutter das betrachtet, als wäre ich Straßenkehrer. Sie | |
| dachte, der Sport hätte keine Zukunft, und wollte, dass ich Beamter werde. | |
| Wenn ich irgendwo vorgestellt wurde, haben die feinen Damen die Nase | |
| gerümpft. | |
| Sie haben für den Fußball heldenhaft auf die schönen Frauen verzichtet. | |
| Nicht nur auf die. Aber nein, heute ist das ja absolut anders. Die Damen | |
| sitzen teilweise aufgetakelt wie noch nie in den Logen und wollen sich | |
| zeigen. Das ist kein schlechtes Bankett. Heute wird es als große Sache | |
| angesehen, auf der Bayern-Tribüne sitzen zu dürfen. In den Tribünen damals | |
| wurde man nass, weil es überall reingeregnet hat. | |
| Vor wenigen Tagen haben Sie Ihrem zurzeit erfolglosen Exclub MSV Duisburg | |
| angeboten, das Traineramt dort zu übernehmen. Wollen Sie sich dieses bis | |
| zur Grenze des Zumutbaren beschleunigte Bundesliga-Geschäft wirklich noch | |
| antun? | |
| Das hat mit „Antun“ nicht zu tun. Im Gegenteil: Das wäre das Glücklichste | |
| überhaupt für mich. Und vor allem ein Affront gegen die Zeiterscheinung, | |
| dass das Alter nichts mehr wert ist. Was sind 85 Jahre, wenn man noch | |
| gesund ist? Ich kann den Spielern doch viel mehr mitgeben als ein | |
| Trainerneuling. Ich muss ja keine 400 Meter mehr laufen, da nehme ich mir | |
| junge Assistenten. Ich wäre glücklich, wenn ich nochmal mitarbeiten könnte | |
| mit gewissen Kompetenzen und Einfluss auf die Mannschaft. Denn der MSV ist | |
| mein Verein, mein Sprungbrett. Und der Fußball ist mein Leben. | |
| 25 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Carmesin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Fußball-Bundesliga: Frankfurt dreht das Spiel | |
| Aufsteiger Eintracht Frankfurt schlägt Leverkusen nach Rückstand mit 2:1. | |
| Am Nachmittag gewann Bayern locker in Fürth, auch Düsseldorf, Gladbach und | |
| Nürnberg siegten. | |
| Bundesliga in der 50. Spielzeit: Spielplan steht | |
| In Polen und der Ukraine kämpft die DFB-Elf noch um den EM-Titel. Die 50. | |
| Bundesliga-Saison naht aber schon. Am Dienstag wurden die Spielpläne | |
| vorgestellt. | |
| Letztes Interview mit Ex-Fußballer Konietzka: „So will ich nicht enden“ | |
| Timo Konietzka, der erste Bundesliga-Torschütze, hat sich das Leben | |
| genommen. Im letzten Interview, das er gegeben hat, spricht er auch über | |
| seinen lange geplanten Tod. |