# taz.de -- SPD-Fraktionschef im Interview: "Wir gehen da ganz ideologiefrei ra… | |
> Raed Saleh kündigt einen "Herbst der Entscheidungen" an: Im Interview | |
> erklärt er, wie man den staatlichen Einfluss auf Daseinsvorsorge erhöht | |
> und dabei unternehmerisch handelt. | |
Bild: "Wir müssen uns nach neuen Einnahmequellen umsehen": SPD-Fraktionschef R… | |
taz: Herr Saleh, endlich ist die Sommerpause des Parlaments vorbei, und Sie | |
haben einen „Herbst der Entscheidungen“ angekündigt – nennen Sie doch mal | |
die Stichworte. | |
Raed Saleh: Es gibt eine Menge Punkte, die wir teilweise lange diskutiert | |
haben und jetzt endlich mal entscheiden müssen. Das gilt für den Rückkauf | |
privater Anteile an den Wasserbetrieben, der Vertrag mit RWE ist ja | |
unterschriftsreif. Wir gehen da ganz ideologiefrei ran – wir wollen den | |
Rückkauf und mehr Einfluss auf die Wasserbetriebe, aber wir gucken doch | |
auch auf den Preis. Die Frage muss hier und bei allen anderen | |
Entscheidungen sein: Ist das auch unternehmerisch klug, was wir tun? | |
Welche anderen Entscheidungen? | |
Der Rückkauf der Stromnetze. Dann die Sanierung des ICC, die Nachnutzung | |
des Flughafens Tegel, die Zukunft der Charité. Wir wollen allgemein mehr | |
Einfluss in der Daseinsvorsorge. Ich hoffe da auf Bewegung in der CDU … | |
… aber die gibt sich skeptisch, was die Verstaatlichung der Stromnetze | |
angeht. | |
Die CDU sagt: Wir sind als Land nicht dafür da, Monopolrenditen zu | |
kassieren. Das ist falsch. Der Koalitionspartner muss erkennen, dass es zum | |
einen in der Stadt weithin gewollt und zum anderen unternehmerisch klug | |
ist, die Stromnetze in die Hand des Landes zu bekommen. Es hat doch einen | |
Grund, warum sich derzeit so viele für die Netzkonzessionen interessieren – | |
die machen das ja nicht aus Leidenschaft für Berlin, die erhoffen sich am | |
Ende eine Rendite. Und da frage ich mich, warum das Geld an einen | |
schwedischen Staatskonzern … | |
… also Vattenfall … | |
… gehen soll und nicht das Land Berlin verdient. Wir haben steigende | |
Ausgaben, die Gelder aus dem Solidarpakt werden wegfallen, und deshalb | |
müssen wir uns nach neuen Einnahmequellen umsehen. | |
Ideologiefrei wollen Sie arbeiten, und unternehmerisch müsse es sein, haben | |
Sie jetzt gleich zweimal gesagt. Wie verträgt sich das mit Ihrem Anspruch, | |
linke Politik zu machen? | |
Das ist doch kein Widerspruch. | |
Wieso nicht? | |
Links zu sein heißt doch nicht, dass man nicht wie ein Unternehmer rechnen | |
kann. Linke Politik bedeutet für mich, mit dem wenigen Geld, das man in | |
Zeiten knapper Kassen hat, die richtigen Prioritäten zu setzen. Linke | |
Politik heißt für mich, wie wir es getan haben, die Mittel für die | |
Schulsanierung zu verdoppeln. Sozialdemokraten sind unruhige Menschen – die | |
geben sich nicht wie Konservative mit den unbefriedigenden Zuständen | |
zufrieden. | |
Da gibt es auch solche und solche. | |
Ich sage mal als Beispiel: Wir haben in der SPD erkannt, dass es bei der | |
Hortbetreuung in der fünften und sechsten Klasse Bedarf gibt und haben da | |
Mittel eingesetzt … | |
… also, da musste die SPD ja wirklich hingetragen werden, sogar noch von | |
der FDP. Ganz zu schweigen von einem Volksbegehren dazu. | |
Wir haben das erkannt und Prioritäten gesetzt. Linke Politik ist auch, die | |
Stromnetze zu übernehmen: Das ist richtig, das ist klug – und es erhöht die | |
Einnahmen des Lands Berlin. | |
Aber erst mal kostet es. | |
Wir müssen die Dinge doch über den Tag hinaus betrachten, auf lange Sicht. | |
Sie wissen, was der durchaus linke Ökonom Keynes dazu gesagt hat: Auf lange | |
Sicht sind wir alle tot. | |
Trotzdem geht es auch um zukünftige Generationen. Links heißt für mich auch | |
immer, nicht die soziale Gerechtigkeit aus den Augen zu verlieren | |
Noch so ein sozialdemokratischer Kernbegriff. | |
Es geht aber nicht um blindes Ausgeben, sondern um einen Einklang zwischen | |
sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Handeln. Zentral ist für mich, | |
alle in einer Stadt mitzunehmen. Dabei kommen vielleicht auch meine eigenen | |
Erfahrungen zum Tragen. Ich war oft in meinem Leben auf Solidarität | |
angewiesen, ich war glücklich darüber, dass mein Aufstieg als sechstes Kind | |
einer Gastarbeiterfamilie machbar war. Linke Politik heißt für mich, diese | |
Chancen zu haben, egal ob ein Kind in Steglitz-Zehlendorf geboren wurde | |
oder in Neukölln. | |
Oder wie Sie im Westjordanland. | |
Und weil die Startchancen nicht noch mehr auseinanderklaffen sollen, haben | |
wir auch die Kita beitragsfrei gemacht. | |
Aber gerade da wird es doch ideologisch: Sie verzichten nur aus Prinzip auf | |
Dutzende Millionen Euro Gebühren von begüterten Eltern – bei leeren Kassen. | |
Bildung soll für alle zugänglich sein und nicht vom Geldbeutel abhängen – | |
stellen Sie sich mal vor, Sie würden genauso beim Hochschulbesuch | |
argumentieren. | |
Jetzt reden wir aber von Kitas. | |
Das darf man nicht auf die Kitas beschränken. Eine Stadt wie Berlin kann es | |
sich nicht leisten, dass die Unterschiede zu groß werden. Aber noch mal: | |
Das heißt nicht, wirtschaftsfeindliche Politik zu machen – ganz im | |
Gegenteil, wir müssen die Wirtschaftsfreundlichkeit erhöhen. | |
Es gibt jetzt Stimmen, die den Grund des Debakels am Hauptstadtflughafen | |
BER darin sehen, dass Bund und Länder Eigentümer und Bauherr sind. | |
Ich wende mich ganz scharf gegen die Aussage, dass es immer nur schiefgehen | |
kann, wenn es der Staat macht. Beim Flughafen waren es private Firmen, die | |
gebaut haben, private Planer, die geplant haben. | |
Aber doch im staatlichen Auftrag. Und unter staatlicher Kontrolle, | |
zumindest theoretisch, denn in der Praxis war es ja nicht so toll mit der | |
Kontrolle. | |
Ich bitte doch nur darum, die Sache etwas differenzierter zu betrachten. Es | |
ist ärgerlich, was am Flughafen passiert ist – aber daraus zu schließen, | |
die Privaten können es besser, ist völlig falsch. Ja, es wird wird | |
erheblich mehr kosten. Aber jetzt geht es darum, dieses größte | |
Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands abzuschließen und zu eröffnen. | |
Selbst wenn der Bund seinen Anteil an den höheren Kosten zahlt, muss das | |
Land Berlin Hunderte Millionen selbst zubuttern. Woher sollen die kommen? | |
Wir werden notfalls einen Nachtragshaushalt aufstellen. | |
Und einfach Kredite aufnehmen? Müssen Sie sich nicht von ein paar schönen, | |
aber verzichtbaren Projekten trennen? Zum Beispiel vom Neubau der | |
Landesbibliothek für 270 Millionen, sosehr Klaus Wowereit ihn auch will? | |
Die Finanzlage ist tatsächlich auch ohne Flughafen schwer. | |
Ja, genau darum. | |
Deshalb müssen wir, wenn wir Geld ausgeben, in die Zukunft investieren und | |
nicht in die Vergangenheit, in Projekte, die uns perspektivisch Geld | |
bringen. | |
Und das macht eine Bibliothek gerade nicht, es sei denn, Sie wollen | |
Leihgebühren erheben – was nicht ganz zu beitragsfreien Kitas passen würde. | |
Ich gehe davon aus, dass die Bibliothek in der Investitionsplanung des | |
Senats weiter vorkommt. Ich als Sozialdemokrat muss auch sagen, das die | |
Zugänglichkeit von Medien in der Stadt gewollt ist. | |
Wenn Sie sagen, dass Sie in die Zukunft investieren wollen, zielt das auch | |
gegen die Sanierung des ICC als Inbegriff Westberliner Vergangenheit. | |
Beim ICC stellt sich doch die Frage, ob eine Sanierung als Kongressstandort | |
noch zu verantworten ist, wenn die Kosten sich nicht auf die geplanten 182 | |
Millionen Euro beschränken, sondern, wie es inzwischen aussieht, über 330 | |
Millionen hinaus gehen. Ein solches Fass ohne Boden können wir den | |
Berlinern nicht zumuten. Die Messe GmbH, die Wirtschaftssenatorin, sie alle | |
sagen: Das rechnet sich nicht. Und wenn die mir sagen, dass sie das ICC | |
nicht brauchen, dass es untauglich ist, dann gehe ich erst einmal davon | |
aus, dass die sich nicht selbst ein Bein stellen wollen. | |
Aber was machen Sie dann mit dem ICC, wenn Sie es nicht für Kongresse | |
brauchen? | |
Es gibt es doch andere Nutzungen, etwa als Ausstellungsfläche. Ich fordere | |
bloß, in Zeiten knapper Kassen genau hinzuschauen. Ideologiebehaftet an | |
diesem Gebäude festzuhalten reicht mir als Grund nicht aus. | |
Genau hinschauen – gilt das überall? | |
Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel, wo wir Ausgaben hinterfragen: Müssen wir | |
60 Millionen in die Anlage eines Parks auf dem Tempelhofer Feld | |
investieren? Ich sage: nein. Da lässt sich mit wesentlich weniger Geld das | |
Notwendige tun. Die Berliner haben sich den Park sowieso schon auf ihre | |
Weise geformt. | |
Lassen Sie uns noch mal über den Rückkauf der Wasserbetriebe reden. Nicht | |
nur RWE will verkaufen, sondern auch Veolia als zweiter privater Teilhaber. | |
Wollen Sie kaufen? | |
Auch da gibt es bei mir große Sympathien. Ich möchte, dass Wasser wieder in | |
Landeseigentum ist. Aber für Veolia gilt das Gleiche wie für den | |
RWE-Anteil: Wir müssen genau rechnen. | |
Sie wollen definitiv die Wasserpreise senken, was ein paar Dutzend Euro pro | |
Haushalt ausmachen soll? | |
Ja, man kann nicht vermitteln, dass wir Wasserpreise haben, die deutlich | |
überhöht sind. | |
Sagen Sie den Bürgern denn auch, dass jene Millionen, die das Land dann | |
weniger einnimmt, fehlen, wenn es darum geht, Kitas aufzumöbeln oder | |
Schlaglöcher zu flicken? | |
Klar verzichtet man auf Gewinne. | |
So klar ist das nicht jedem. | |
Wir erhöhen aber gleichzeitig den Anteil des Landes und haben so höhere | |
Einnahmen. | |
Die brauchen Sie doch schon, um überhaupt den Kaufpreis abzahlen zu können, | |
wenn wir den Finanzsenator richtig verstanden haben. | |
Aber auf lange Sicht stehen diese Einnahmen dann zur Verfügung. | |
Da wären wir wieder bei Keynes. Aber wir haben noch etwas Ideologisches | |
gefunden: Die SPD hat beschlossen, ein Spree-Grundstück an die Partymacher | |
vom „Kater Holzig“ verbilligt abzugeben – damit eine ziemlich kleine Grup… | |
da lustig feiern kann. | |
Beim Kater Holzig ist die Frage, ob wir die haben wollen. Und da habe ich | |
gesagt: ja. Sie beleben die Region, sie erhöhen die Anziehungskraft, und | |
darum ist das auch wirtschaftspolitisch eine richtige Entscheidung. | |
Lassen Sie uns noch über Klaus Wowereit sprechen. Durch das | |
Flughafen-Debakel ist er nur noch neuntbeliebtester Politiker der Stadt. | |
Kann es sich die SPD leisten, mit ihm in den Bundestagswahlkampf 2013 zu | |
gehen? | |
Klaus Wowereit hat mit 99 Prozent den allerhöchsten Bekanntheitswert … | |
Genau das ist das Problem. | |
… und es ist insgesamt für die SPD wegen des Flughafens eine schwere Zeit, | |
da sind wir solidarisch miteinander. Klaus Wowereit ist und bleibt die | |
Nummer eins der Berliner SPD. | |
30 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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