# taz.de -- Musiker aus Angola über Wahlen: „Die Geheimpolizei war überall�… | |
> In Angola ist kein Wahlkampf, es herrscht Terror, sagt Luaty Beirão. Der | |
> Musiker der Band „Batida“ über den Widerstand seiner Generation und die | |
> Angst vor Übergriffen. | |
Bild: Regiert in Angola seit 1979: Präsident Eduardo dos Santos. | |
taz: Herr Beirão, was hat Sie dazu gebracht, sich mit Ihrer Musik und auch | |
darüber hinaus in Angola politisch zu engagieren? | |
Luaty Beirão: Je erwachsener ich wurde, desto mehr ist auch die Sorge um | |
das Milieu, in dem ich lebe, in mir gewachsen. Daraus ist das Bewusstsein | |
entsprungen, dass Musikmachen nicht genügt, weil man damit allein keine | |
konkreten, direkten und fühlbaren Veränderungen herbeiführen kann. Am 7. | |
März 2011 (als nach einem anonymen Aufruf im Internet eine | |
Protestdemonstration gegen Präsident José Eduardo dos Santos stattfinden | |
sollte, Anmerkung der Redaktion) bot sich die Gelegenheit die Musik zu | |
benutzten, um den Sprung zu etwas Konkreterem zu wagen. Nur gab es dafür in | |
Angola keinen Platz. | |
Was genau hat sich an jenem 7. März 2011 abgespielt? | |
Der 7. März war so etwas wie der Versuch, was sich zuvor in Nordafrika | |
abgespielt hatte, in Angola zu wiederholen. Viele Jahre lang hatten wir uns | |
einer Kultur der Angst unterworfen, der Vorstellung, dass unser Präsident | |
unantastbar sei. Unsere eigenen Eltern hielten uns davon ab, uns politisch | |
oder sozial zu engagieren. Als wir dann sahen, dass es gelang, in Ländern | |
wie Tunesien oder Ägypten den Rücktritt der Präsidenten zu erzwingen, hat | |
das auch den einen oder anderen Angolaner inspiriert. Aber wirklich ernst | |
genommen wurde das zunächst von niemandem. | |
Das Regime selbst hat für den disproportionalen Wirbel gesorgt. Es fing an, | |
Bürger zu bedrohen, die an der Kundgebung teilnehmen wollten, hat zu | |
Gegendemonstrationen aufgerufen, hat dem Ganzen so viel Beachtung | |
geschenkt, dass diejenigen, die sich bis dato überhaupt nicht für den | |
Aufruf interessiert hatten, wie auch ich selbst, darauf aufmerksam wurden. | |
Schon aus purem Trotz. Wenn ihr mir droht, dann erst recht. | |
Während eines Konzerts vor 5 000 Leuten, das zufälligerweise genau eine | |
Woche vor dem 7. März stattfand, habe ich dann öffentlich verbreitet, dass | |
wir genug haben von dieser Regierung, dass auch ich den Rücktritt des | |
Präsidenten fordere und dass ich am 7. März dabei sein würde. Und weil ich | |
teilnehmen wollte, lud ich alle Anwesenden ein mitzukommen. | |
Wie hat sich dieses Konzert auf Ihr Leben ausgewirkt? | |
Um ehrlich zu sein, war ich nicht sicher, ob ich das Gelände überhaupt noch | |
verlassen würde. Ich wusste ja, dass überall die Agenten der Geheimpolizei, | |
der SINSE (Serviço de Inteligência e de Segurança de Estado), herumstanden. | |
Zunächst ist aber überhaupt nichts passiert. Am Tag darauf jedoch war das | |
Konzertvideo schon im Internet und wurde viral. Als es dann mehrere tausend | |
Views hatte, erhielt ich bald Anrufe von meinen Freunden, die erzählten, | |
dass sie davor gewarnt wurden, dass mir etwas zustoßen würde. Mein Leben | |
hat sich an diesem Tag vollkommen verändert. Von da an stand ich unter | |
permanentem Druck, unter permanenter Beobachtung. Ich wurde auch körperlich | |
angegriffen. | |
An der Demonstration am 7. März nahmen kaum mehr als 20 Leute teil. Warum | |
fiel die Antwort dennoch so drastisch aus? | |
Wir, gerade einmal 17 Leute, waren nur 20 Minuten auf dem Platz, als die | |
Militärpolizei aufmarschierte, um uns zu verhaften und ins Gefängnis zu | |
bringen. Man kann also gar nicht von einem Ereignis sprechen. Aber | |
gleichzeitig war es das wichtigste Un-Ereignis in unserer Geschichte, weil | |
sie uns die Hauptrolle gegeben haben, die eine derart geringe Zahl Menschen | |
niemals bekommen hätte. Für sie ist jeder Widerspruch eine Beleidigung, sie | |
sind es nicht gewohnt, auf eine diplomatischere oder galantere Art und | |
Weise mit jemandem umzugehen, der ihnen die Stirn bietet. Dialog kennen sie | |
nicht, sie sprechen nur die Sprache der Gewalt, der Waffen und der Dresche. | |
Haben Sie diese „Sprache der Gewalt“ am eigenen Leib gespürt? | |
Kurz vor der Demonstration am 25. Mai 2011 haben sie mich von hinten | |
gepackt und mir ein Bein gestellt, ich weiß nicht, ob es zwei waren oder | |
drei. Während ich am Boden lag, haben sie mir Tritte verpasst. Als ich | |
aufstehen konnte, haben sie von hinten und von vorne mit den Fäusten auf | |
mich eingeprügelt. | |
Im Internet kursierten auch Bilder von Ihnen mit blutigem Hinterkopf... | |
Den Kopf haben sie mir erst am 10. März 2012 eingeschlagen. Bis Mai 2011 | |
ist mir abgesehen von den Drohnachrichten, die meine Freunde und Familie | |
erhielten, nichts passiert. | |
Von wem kamen diese Drohungen? | |
Sie würden sich niemals zu erkennen geben. Es wurden Nachrichten von | |
Nummern geschickt, die wir kurz danach zurückzurufen versuchten, aber es | |
kam bereits die Ansage: „Nummer nicht vergeben.“ Meiner Mutter haben sie | |
per SMS gedroht, dass sie sie umbringen und ihr Haus zerstören würden. Sie | |
haben einen Brief geschickt, der mit „die Mütter aus Sambizanga“ | |
unterzeichnet war, in dem steht: „Euer Sohn bringt unsere Söhne vom rechten | |
Weg ab. Wir wollen Frieden. Wenn einer von ihnen stirbt, kommen wir | |
persönlich vorbei und zünden euer Haus an.“ | |
Wurden die Drohungen umgesetzt? | |
So weit ich weiß, ist bisher nichts Drastischeres geschehen als | |
Entführungen wie die von Isaías Kassule und Alves Kamulingue (angolanische | |
Kriegveteranen, die für die Auszahlung ihrer zurückgehaltenen Pensionen | |
demonstriert haben, Anmerkung der Redaktion). Tötungen gab es bisher keine, | |
auch nicht von weniger bekannten Personen, die man leicht verschwinden | |
lassen könnte. Es wurden Menschen entführt. Es wurde ihnen eine Pistole an | |
den Kopf gehalten und anderen wurde mit einem geöffneten Kasten voller | |
Folterinstrumente gedroht. Und wir wissen immer noch nicht, was mit den | |
beiden, die vor drei Monaten entführt wurden, passiert ist. Wir befürchten | |
das Schlimmste, haben aber keine Beweise und können keine sicheren | |
Schlussfolgerungen ziehen. | |
Fühlen Sie sich noch sicher in Angola? Können Sie überhaupt noch ein | |
normales Leben führen? | |
Mein Begriff von Normalität hat sich verändert. Ich bin mir bewusst, dass | |
ich Sorgen habe, die ich vorher nicht hatte. Ich denke nicht mehr nur an | |
den möglichen Angreifer, der vielleicht mein Telefon will, sondern muss | |
auch an den schlimmsten aller Angreifer denken, der uns beseitigen kann und | |
weiß, wie er es aussehen lässt wie einen normalen Überfall. Ich versuche | |
zwar zu verhindern, dass das meinen Lebensstil drastisch ändert, aber | |
logischerweise wird er davon beeinflusst. Wenn ich auf der Straße spaziere | |
ist das nicht mehr ganz so ungezwungen. Ich drehe mich häufig um und schaue | |
über meine Schulter, wenn ich merke, dass sich mir jemand von hinten | |
nähert. Aber ich weigere mich, aufzuhören zu leben. | |
Weitermachen wie bisher, auch als Form des Widerstands? | |
Klar. Viele Leute wollten nicht, dass ich jetzt nach Angola zurückkehre. Es | |
war eine Herausforderung. Ihr wollt mich hier nicht, aber ich komme | |
trotzdem zurück, denn das ist mein gutes Recht. Ich kam mit der Angst, dass | |
mir etwas passieren könnte. Es war eine Geste der Aufsässigkeit, zu zeigen, | |
ja, ich bin hier, ich bin Angolaner und komme zurück in mein Land. Macht | |
mir mir, was ihr wollt, ich komme zurück! | |
Wie ist die Atmosphäre in Luanda, kurz vor den Wahlen? | |
Die Leute haben vor allen Dingen Angst. Eine Angst, die allein von der | |
Partei an der Macht, der MPLA (Angolanische Volksbefreiungsbewegung), | |
geschürt wird, deren Wahlspruch noch immer „für Frieden und für Demokratie… | |
lautet, aber nicht toleriert, dass andere Parteien politischen Wahlkampf in | |
ihrer Nähe oder in Straßen machen, die sie als ihr Gebiet ansehen. Sie | |
zerreißen und hängen Plakate ab und schlagen Autoscheiben ein, ohne | |
Konsequenzen. All das schafft ein Klima der Instabilität und Anspannung. | |
Wir befinden uns nicht im Wahlkampf, wir befinden uns in einem Klima des | |
Terrors. Es wird eine gewisse Normalität vorgegaukelt, aber die Menschen | |
sind nervös. Es gibt sogar Firmen, nationale und ausländische, die ihren | |
Arbeitern raten, dass sie am Wahltag lieber das Land verlassen sollten. | |
Dass sie am besten gar nicht über Politik reden sollen, damit niemand | |
mithören kann. Die Warnungen, dass die Wahlen in Gewalt ausarten könnten, | |
kommen von der MPLA selbst. | |
Glauben Sie, dass sie ausarten könnten? | |
Ja. Es kommt bereits zu Ausschreitungen auf der Straße. Parteimitglieder | |
werden auf allen Seiten umgebracht. Es gibt Provokationen, die in | |
Steinschlachten enden, bei denen Menschen verletzt werden. Es herrscht ein | |
ungesundes Klima für Wahlen. Alles ist völlig ungerecht, wie ein Wettlauf | |
zwischen Usain Bolt und einem Querschnittsgelähmten. | |
Was sind Ihrer Meinung nach die drängendsten Probleme in Angola? Warum | |
glauben Sie, dass Präsident José Eduardo dos Santos Platz machen sollte für | |
einen Neuanfang? | |
Die größten Probleme sind die, die es schon immer waren und die sich seit | |
der Kolonialzeit noch verschlimmert haben: der Zugang zur Bildung und zum | |
Gesundheitswesen bleibt einer Elite vorbehalten. Der Präsident konzentriert | |
mit der neuen Verfassung alle Macht auf seine Person. Er hält das Land als | |
Geisel, jeder ist seinem Willen unterworfen. Er hält sich für eine Art | |
Halbgott. Ein Mensch, der 33 Jahre erfolglos einem Land vorsteht, wird auch | |
in fünf weiteren Jahren nichts mehr ändern. | |
Es war Zeit genug, der Krieg ist bereits seit 10 Jahren vorbei, und er hat | |
nicht mehr zustande bekommen, als Straßen zu bauen, die drei Jahre später | |
wieder löchrig sind, und Universitäten zu eröffnen, die leer bleiben, weil | |
es keine Professoren gibt. Das sieht man ja schon daran, dass er keine | |
seiner eigenen Kinder auf angolanische Schulen schickt. Mit diesem Mann | |
kommen wir auf keinen grünen Zweig. Innerhalb der MPLA gibt es bereits | |
Leute, die das genauso sehen, aber noch nicht den Mut haben, es zuzugeben. | |
Wie es scheint, mehr als ein klein wenig... | |
Das ist doch schon immer so gewesen. Es gab noch keinen Wandel in keinem | |
Land der Erde ohne Opfer. Was wir brauchen, sind mehr Menschen, die bereit | |
sind temporär Opfer zu bringen. Denn es wird nicht ewig so weitergehen und | |
ihre eigenen Kinder und Enkelkinder werden davon profitieren. Man muss sich | |
vom egoistischen Leben verabschieden und verstehen, dass es zum Besten | |
aller ist. | |
30 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Dominik Bollow | |
Mariana Goes | |
## TAGS | |
Angola | |
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