# taz.de -- Kolumne Boston Buddies #5: Eine internetfreie Insel im Bukowski | |
> Allein unterwegs auf ein Feierabendbier in Boston. Ich lerne Telefone | |
> hassen – und Smalltalk schätzen. | |
Bild: Uramerikanisch wie der freie Zugang zum Netz: Fregattenmasten in Boston. | |
Im Grunde ist nur mein deutscher Handyvertrag schuld. Alles andere ist | |
perfekt. Und an mir kann es ja wohl nicht liegen. | |
Zwei Stunden zuvor: Es ist früher Abend, die Bostoner verlassen ihre Büros | |
– und bevölkern die Bars. Ein schneller Drink nach der Arbeit, vielleicht | |
auch zwei, die Sperrstunde lässt nicht unbedingt viel Raum für Exzesse, | |
dann nach Hause. Mir gefällt die Idee. Aber allein gehen? Die Idee gefällt | |
mir nicht so sehr. | |
Noch viel weniger allerdings den Gedanken an mein leicht spießiges Zimmer: | |
geblümte Gardinen mit farblich passender Tagesdecke auf dem Bett und | |
plüschigem rosefarbenen Polyester-Teppich, der den Holzfußboden schützt. | |
Dann doch lieber das dunkle Holz der Bar im Bukowski (nach Charles | |
Bukowski) anstarren. Ich kenne es jetzt gut. Sehr gut. | |
Das Bukowski versetzt mich wieder einmal in ein anderes Jahrzehnt, eine | |
nunmehr vertraute Erfahrung in diesem Sommer in Boston. An der ersten von | |
zwei Türen klebt ein Schild: „Cash only.“ Und für alle, die das hier, wo | |
man auch Kaugummi mit Kreditkarte bezahlen kann, nicht glauben können, noch | |
der wertvolle Hinweis: „Das bedeutet: Keine Karten.“ | |
Vor der zweiten Tür steht dafür wieder sehr kundenorientiert ein | |
Geldautomat. Hinter der zweiten Tür: Guns N’Roses; sehr laut. Eine Bar, so | |
lang wie die ganze Kneipe. Viel dunkles Holz, noch mehr Bier vom Fass. | |
Feierabendbier-Trinker in aufgekrempelten blassblauen Hemden und tätowierte | |
Band-T-Shirt-Träger auf ihren Stammplätzen halten sich die Wage. Ich setze | |
mich dazwischen. Vertiefe mich zunächst in die Speisekarte und die | |
Bierliste – der Hang zu allenfalls unglücklich zu nennenden Saison-Bieren | |
ist auffallend ausgeprägt. So viel Sicherheitsnetz muss sein. | |
Dann warte ich. Auf Konversation. Zwinge mich, keine Zeitschrift zu lesen, | |
nicht so zu tun, als würde ich dem Football-Spiel im Fernsehen konzentriert | |
folgen. Ich versuche, keine Insel zu sein. Aber offensichtlich bin ich das. | |
Eine ohne Internetverbindung. Denn die perfekte 80er-Jahre Ami-Kneipenwelt, | |
in der Smalltalk im Bierpreis inbegriffen ist, hat einen Makel. Und trägt | |
einen Namen: iPhone. | |
Im Bukowski 2012 sind alle mit ihren Facebook-Freunden und Instagram | |
beschäftigt. Ich bin – deutscher Handyvertrag – offline im Bukowski. | |
Andernfalls hätte ich mir bestimmt mit dem Endvierziger neben mir schon | |
alte Videoclips of Youtube angeschaut und der etwas zu glatte Banker-Typ | |
hätte mich auf Facebook angechattet. Ganz sicher. Eine gute Viertelstunde | |
tröstet mich diese selbst konstruierte Erkenntnis, weitere 20 Minuten kann | |
ich mich mit meinem Essen auseinandersetzen. | |
Derweil kommen und gehen Gäste, der Banker-Typ wird durch einen anderen | |
blassblauen Hemd-Träger ausgetauscht. Nichts passiert. Nach fast zwei | |
Stunden bin ich geneigt, eine absolute Verzweiflungstat zu begehen und dem | |
Barkeeper – mit rasiertem Seitenhaar – ein Gespräch über seine Tattoos | |
aufzudrängen. | |
Ich warte darauf, dass er sich wieder meinem Ende der Bar nähert, als ich | |
eine Standard-Smalltalk-Floskel höre. „So how is it goin’?“ Danke, Gerry. | |
Dass er mir ein paar Bier später erzählt, dass sein Handy-Akku fast leer | |
ist, überhöre ich. Guns N’Roses. Immer noch sehr laut. | |
2 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
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