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# taz.de -- Kolumne Boston Buddies #2: Pontiacs und Politik
> Im Schatten alter amerikanischer Schlitten über Politik reden. Und der
> Autorin fehlt nur noch ein Petticoat zum Glücklichsein. Oltimer-Buddies
> hat sie immerhin gefunden.
Bild: Kann man sich dran gewöhnen: Sonne, Eis und dicke Schlitten.
Es ist ein heißer Freitagnachmittag, Boston ist auf dem Sprung, raus aus
der eigenen Haut, an die Küste, die Brise spüren, Wochenende. Die beigen
Arbeitsplatzwürfel links und rechts von mir leeren sich beständig, die
Redaktion wird – bis auf vereinzelte bunte Tupfen noch ausharrender
Kollegen („casual friday“) – immer beiger und lebloser. Raus aus der
Großstadt, ein schöner Gedanke, aber ohne Auto nicht mehr als bloße
Verheißung ohne Chance auf Erfüllung.
Doch meine Kollegin Ariel rettet mich. Der Nachmittag sei doch wie
geschaffen für Eis, meint sie. Aber nicht einfach nur in der Eisbude um die
Ecke. Mit Ariels Auto reihen wir uns ein in die Kolonne der Pendler und
Stadtflüchtlinge. Doch noch raus. Nicht ans Meer, aber doch aufs Land, zu
Kimballs Farm in Lancaster. 49 Sorten hausgemachtes Eis sollten Auswahl
genug sein.
Rot leuchtet die Farm in der Sonne, reflektiert von hunderten Motorhauben.
Freitags ist „Cruise Night“ auf Kimballs Farm. Ford, Chevrolet, Pontiac,
Triumph. Kaum eine Automarke fehlt, kaum ein Jahrzehnt, wobei die 1950er
und 60er Jahre dominieren. Aufgereiht rund um das Haupthaus wie Heuballen
nach der Ernte ziehen Autos wie Besitzer die Blicke auf sich. Ich sehe mich
im cremefarbenen und babyblauen Ford Fairlane ins Autokino fahren, im
schwarzen Triumph-Cabrio Neuenglands Küste entdecken und im roten Plymouth
Barracuda durch Downtown Boston cruisen. Der Wind trägt Oldies vom Band
über die Wiese, ich wünsche mir einen Petticoat.
Die Herren, die vor den Schmuckstücken in Plastik-Campingstühlen sitzen,
sind weniger schmuck, dafür aber umso charmanter. Wie lange er den roten
Ford Mustang schon hat, frage ich einen meiner neuen Oldtimer-Buddies.
„Sieben Jahre.“ Und wie viel Geld schon in die Leidenschaft geflossen ist?
„Vielleicht 18.000 Dollar.“ Da bleibt nur Geld für billiges Campinggestüh…
Und die Konföderiertenflagge, die bei einigen Wagen am Kühler weht. Dort
halten wir uns nicht länger auf, die Herren schauen unter ihren
Baseballmützen eher nicht so aus, als würden sie mit mir über Politik
plaudern wollen.
Dafür finden sich an diesem Abend andere Gesprächspartner; bei Fritten,
Fisch – und endlich auch Eis. Unsere Tischnachbarn sind aus der Stadt, sie
kommen regelmäßig zu Kimballs Farm und wollen, sobald sie meinen Akzent
hören, wissen, wie ich alles finde. Kimballs Farm ist sicheres Terrain, ich
lobe das Essen, die Autos und das wundervolle „amerikanische“ Erlebnis.
Kopfnicken, Zustimmung. Und was ich so vom Präsidenten halte? Ich rüste
mich innerlich, als ich sage, dass ich ihn trotz vieler Enttäuschungen
unterstützen würde. Kopfschütteln, ein Biss in den frittierten Fisch und
dann der Klassiker: „Obama ist nicht gut für kleine Unternehmen.“ It’s t…
economy, stupid, ich weiß.
Als Beleg dient meinem Politik-Buddy die eigene Geschichte: Angestellt in
einer kleinen Firma, die bis vor einem Jahr 18 Mitarbeiter hatte. Nun sind
es nur noch fünf. Das ist irgendwie alles Obamas Schuld. Doch ob Romney es
wirklich besser macht? Und ist Obama nicht auch zu einer schwierigen Zeit
Präsident geworden? So wirklich überzeugen kann ich meinen Gesprächspartner
nicht, aber ich solle ihn nicht falsch verstehen. Bush mochte er auch
nicht. Da sitzt er neben mir, an diesem Abend auf dem Land in Neuengland,
der Wechselwähler, den Obama und Romney so dringend auf ihre Seite ziehen
wollen. In diesem Fall wird Romney wohl gewinnen.
Ariel und ich wenden uns wieder unserem Eis zu, es ist gut, sehr gut.
Vielleicht auch, weil ich es nicht an einer Straßenecke in Boston esse,
sondern beinahe in einem cremefarben-babyblauen Ford Fairlane.
12 Aug 2012
## AUTOREN
Rieke Havertz
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