# taz.de -- Kolumne Boston Buddies #1: Mit Laufschuhen in die Bar | |
> Acht Wochen Leben in Boston: Neue Freunde finden, ein zurückgelassenes | |
> Fahrrad in Berlin vermissen und 4-Meilen-Läufe in die nächste Bar | |
> angehen. | |
Vier Buchstaben können einiges verändern. Sie machen aus einem Geschick ein | |
Missgeschick, aus einem durchschnittlich Begabten einen | |
überdurchschnittlich Begabten, aus einem simplen Halten ein vielleicht | |
komplexes Innehalten. Geografisch machen für mich vier Buchstaben aus einem | |
mäßigen Berliner Sommer einen schwülheißen Sommer in Boston. | |
Mit dem Sommer in der neuen Stadt kommen neue Freunde. Buddies finden sich | |
schnell in den USA, hört man ja immer wieder, dort – jetzt drüben – im ach | |
so oft beklagten unfreundlichen Berlin. | |
Meinen ersten Buddy finde ich schnell. Er ist schweigsam. Ein leichtes | |
Eingewöhnen in die neue Welt der amerikanischen Buddies. Er heißt „T“ und | |
soll „Dieter“ ersetzen. Dieter ist mein Fahrrad, zurückgelassen in Berlin. | |
„T“ ist deutlich schwerfälliger und in grün, orange, blau oder rot zwar | |
ansehnlich, aber undankbar. | |
„T“ ist die U-Bahn der Stadt. „T“ rühmt sich, den öffentlichen | |
Personen-Nahverkehr in den USA quasi auf den Weg gebracht zu haben. Das | |
lerne ich gleich an der ersten Haltestelle. Eine Erfolgsgeschichte, | |
absolut. Da muss man nur einmal ohne Auto in Ohio oder Texas unterwegs | |
sein. Ganz anders aber in Boston, da sticht das Straßenbahnnetz schon um | |
die Jahrhundertwende jede andere historische Kleinigkeit wie die Boston Tea | |
Party oder das Ausrufen der Unabhängigkeit aus. | |
In Boston fuhr die erste U-Bahn-Linie 1889 elektrisch über die Straßen. | |
Genau dort, wo heute noch die Grüne Linie entlangläuft. Seitdem hat sich | |
nicht viel verändert. Modernes Transportsystem? Stufen hoch wie in alten | |
Amphitheatern müssen überwunden werden, um überhaupt mitfahren zu können – | |
das dann aber nur bis 0.30 Uhr. | |
Dennoch mag ich meinen neuen Buddy. Er hat den kalten Charme eines alten | |
Kühlschranks, in dem alles irgendwie Platz findet und dem man auch einmal | |
einen Ausfall verzeiht. Zehn Minuten im Nirgendwo zwischen Downtown und | |
neuer Nachbarschaft rumstehen ist schon okay. | |
Allein der sportliche Aspekt – sieht man von dem durchaus herausfordernden | |
Einstieg ab – kommt zu kurz. Ich vermisse „Dieter“ und denke ernsthaft | |
darüber nach, Buddy „T“ für ein Leihfahrrad bereits nach wenigen Tagen | |
fallen zu lassen. Allein fehlt selbst mir als standhafter Helmverweigerin | |
die Zuversicht, in Boston ohne Helm auf dem Rad auch nur drei Meter zu | |
überleben. | |
Womit ich mich meiner neuen Heimat auf Zeit anpassen werden muss – und | |
laufen gehen. Egal ob neben einer vierspurigen Straße, auf dem Bürgersteig | |
umgeben von Anzug- und Kostümträgerinnen – oder, ganz verrückt – im Grü… | |
der Bostoner läuft. Also werde ich mitlaufen, obwohl der ganze | |
Endorphin-Quatsch dabei irgendwie an mir vorüber läuft. | |
Gott sei Dank habe ich direkt jemanden kennengelernt, der mich in seinen | |
Lauf-Club eingeladen hat, als Motivationshilfe. Zwei Mal die Woche, drei | |
oder vier Meilen. Eigentlich wollte ich mich bei der Vier-Meilen-Distanz | |
bereits formvollendet mit einer ausgedehnten Sportverletzungsgeschichte | |
entschuldigen, bis mein neuer Buddy sagte, dass es nach jedem Lauf (Tenor: | |
„Jeder kann mitmachen, es gibt auch langsame Läufer“) Essen und Alkohol in | |
wechselnden Bars gibt. Ich fahre natürlich nächste Woche hin – mit der „T… | |
Darin sehen Jogging-Schuhe auch ganz fantastisch aus. | |
5 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
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