# taz.de -- Missbrauch an Bonner Schule: „Pater Pädo“ als Seelsorger | |
> Ein Pater verabreicht in Bonn Poklapse und Zäpfchen an Schüler. Die | |
> Staatsanwaltschaft erkennt darin kein sexuelles Motiv, die Schule mogelt | |
> sich in die Normalität zurück. | |
Bild: Werden zu oft in den Schatten gedrängt: Opfer von sexuellem Missbrauch. | |
Jetzt wird Pater K. wieder „engagierter Seelsorger“ genannt. Mit diesen | |
Worten begrüßt das Collegium Josephinum Bonn den Lehrer zurück im Kreis der | |
satisfaktionsfähigen Mitarbeiter. Obwohl Pater K. Schülern immer wieder an | |
den Po gefasst hat. | |
Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs | |
eingestellt. Aus dem Verhalten des Beschuldigten, schreibt sie, „lassen | |
sich keine zuverlässigen Anhaltspunkte für eine etwaige sexuelle Motivation | |
entnehmen“. | |
Jetzt ist er wieder der Verräter und Täter. Obwohl der Schüler Leon* | |
eigentlich ein Betroffener ist. „Ich verstehe nicht, wieso die | |
Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt – er hat mir doch in die | |
Unterhose gefasst“, sagt der heute 16-jährige Junge. Leon hat Jahre | |
gebraucht, um erzählen zu können, was ihm bei den Sanitätern geschah. | |
Das Collegium Josephinum, eine ehrwürdige Bonner Schule für 1.200 Jungen, | |
ist Schauplatz eines Dramas. Im Dezember wurde bekannt, wie der | |
Schulsanitäter Jungen behandelt. Seitdem ringt die Schule mit sich selbst | |
um die Frage: Ist Pater K. Sanitäter, Scharlatan – oder war da mehr? | |
## Vom Bauch in den Schambereich | |
Als Leon im Sanitätsraum der Schule eintraf, klagte er über Bauschmerzen | |
und Übelkeit. Wie er behandelt wurde, erscheint im Nachhinein sehr | |
rätselhaft. Pater K. tastete zunächst den Bauch des damals 12-Jährigen ab. | |
Dann glitt er hinunter in den Schambereich, um dort irgendetwas erfühlen zu | |
können. Leon, dem das unangenehm war, vergingen die Schmerzen schnell. | |
Aber später tat Leon etwas anderes weh: Die Reaktionen darauf, dass er von | |
Pater K. erzählt hatte. Der Spießrutenlauf wegen des „Verrats“ an der 130 | |
Jahre alten Schule. In einer konzertiert anmutenden Mailaktion schlugen | |
sich Eltern auf die Seite des Paters. Leons Noten fielen in den Keller. | |
„Das war für uns und ihn wie Mobbing“, erzählen seine Eltern. Niemand aus | |
der Schule hat ihn je gefragt, was ihm im Sanitätsraum geschah. Auch die | |
unabhängige Ermittlerin nicht, die die Schule eingesetzt hatte, sagen Leons | |
Eltern. | |
Dabei hätte es reichlich Anlass gegeben, den Praktiken des Pater K. auf den | |
Grund zu gehen. Nach zwei Strafanzeigen nahm der Staatsanwalt den Fall in | |
die Hände. Dabei kamen merkwürdige Verhaltensweisen zutage: Als Sanitäter | |
habe Pater K. Schülern Zäpfchen verabreicht – Zehn- und Elfjährigen – oh… | |
deren Einverständnis. Das geht aus den Anhörungen der Polizei hervor. | |
Der Pater hat demzufolge gerne auch Poklapse an Schüler verteilt: „Entweder | |
eine Seite Strafarbeit – oder du holst dir eine ab“, lautete seine Formel. | |
Das bedeutete so viel wie „einen nicht schmerzhaften ’Klaps‘ mit der | |
flachen Hand auf das bekleidete Gesäß“. Tätscheln statt Abschreiben. | |
## Ambivalent, aber nicht sexuell | |
Die Beteiligten bewerten die Popädagogik des Paters zwar unterschiedlich, | |
aber unbedenklich findet sie niemand: Für die Staatsanwaltschaft ist das | |
„Einführen eines Zäpfchens in den After“ zwar keine sexuelle, aber „eine | |
ambivalente Handlung“. Die gutachterlich bestellten Ärzte urteilten so: | |
„medizinisch nicht indiziert“, „bei Personen im Alter von über 10 Jahren | |
weder generell noch im speziellen Fall aus medizinischer Sicht vertretbar“. | |
Die Schüler fanden es schlicht eklig. Ihr Spitzname für den Lehrer: „Pater | |
Pädo“. | |
Für die Zeit der Ermittlungen wurde der Pater freigestellt. Zwischendurch | |
arbeitete er als Chef der Mensa. Nun sitzt er zu Hause. „Wir sollten auch | |
berücksichtigen, dass der Lehrer eine sehr schwere Zeit hinter sich hat“, | |
sagt der Sprecher der Schule, Kai Vogelmann, auf die Frage, wie es | |
weitergehe. „Wir gehen nicht davon aus, dass es Missbrauch war“, meint | |
Vogelmann – und beruft sich auf die Staatsanwälte. „Er hat praktisch | |
Berufsverbot“, ergänzt ein Lehrer, „das ist doch irre.“ | |
Vorvergangene Woche begann am Collegium Josephinum wieder der Unterricht – | |
und es stellten sich Fragen. Wie geht man pädagogisch adäquat mit dem | |
beurlaubten Lehrer um? Einem Mann, der Schülern immer wieder an und in den | |
Po fasste – was aber strafrechtlich nicht als sexuelle Gewalt gilt? | |
Der Direktor der Schule, Peter Billig, beurteilt das Verhalten seines | |
Lehrers als „pädagogisch unangemessen“, vor allem die Zäpfchengaben. „I… | |
würde so etwas heute auf keinen Fall machen“, sagt der Rektor der taz. Wie | |
es weiter geht mit Pater K. könne er freilich nicht allein entscheiden, | |
sondern nur in Absprache mit Schulaufsicht und Schulträger. | |
## Vorbildlicher Umgang | |
Versäumnisse will sich der Rektor nicht vorwerfen lassen. Seine Schule sei | |
vorbildlich mit dem Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch umgegangen. | |
Kaum hatte die Schulleitung davon erfahren, so berichtet Billig, habe sie | |
alles Erforderliche unternommen: Die Schulaufsicht informiert, genauso den | |
Redemptoristenorden, der die Schule betreibt. Zudem wurden 1.300 Briefe an | |
die Eltern versandt. Jeder wusste alles. Totale Transparenz. So sieht es | |
der Rektor des Josephinums. | |
Aber es gibt auch eine andere Sicht auf die Dinge. Sie legt einen Ablauf | |
nahe, wie er öfter vorkommt, wenn sexuelle Gewalt ruchbar wird. Die | |
Solidarität gehört dann nicht den Betroffenen seltsamer Zugriffe an Po und | |
Unterleib, sondern dem Mitglied der Institution. Der Vertrauenslehrer, der | |
die ersten Berichte von Schülern entgegennahm, berichtet von Druck und | |
Wagenburgmentalität. | |
„Wenn Priester Kindern im Gymnasialalter Zäpfchen einführen, ist das eine | |
schamlose Verletzung der Intimität von Schutzbefohlenen“, sagt der | |
Vertrauenslehrer der taz. Das wollte er aufklären helfen. Als er aber die | |
Grenzüberschreitungen des Paters K. an die Schulleitung gemeldet habe, sei | |
gegen ihn eine regelrechte Kampagne gestartet worden. | |
## Gehandelt, wie gelernt | |
Sind Zäpfchen für Kinder zwischen zehn und elf Jahren unwirksame und | |
unpassende Medikationen? Sind sie die Grenzüberschreitung hin zum | |
Missbrauch? Der Vertrauenslehrer handelte genau so, wie es die Schule in | |
einer Fortbildung zum Thema Missbrauch gelernt hatte. „Ansprechbarkeit | |
signalisieren, Austausch mit Kollegen, Dokumentieren, Leitung informieren.“ | |
So fassten Schüler Mut und erzählten offen, wie Pater K. behandelt. | |
Aber hat die Institution ihnen eigentlich zugehört? „Im Zuge der Aufdeckung | |
muss der/die Betroffene an erster Stelle stehen.“ Das hatte eine | |
Missbrauchsexpertin den Lehrern des Collegium Josephinum eingeschärft. Im | |
Januar dieses Jahres. | |
Heute, gute neun Monate nach dem ersten Verdacht, haben sich die Reihen | |
derer, die sich zu Wort meldeten, gelichtet: Sowohl die betroffenen Schüler | |
als auch der junge Vertrauenslehrer haben die Schule verlassen. Sie | |
ertrugen die vergiftete Atmosphäre nicht mehr. | |
Nur Pater K., der ist noch da. | |
* Name geändert | |
3 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Füller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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