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# taz.de -- Kind für Missbrauch gezeugt: Immer nur „Jaja“
> Eine Frau fühlt sich vernachlässigt, findet im Internet einen Mann, der
> sie sexuell erniedrigt. Irgendwann reicht ihm das nicht mehr. Er will ein
> Kind für seine Fantasien.
Bild: Hilf- und Schutzlos: Ein Säugling.
MÖNCHENGLADBACH taz | Melanie R. und Benjamin P. haben ein Kind gezeugt. Um
es zu vergewaltigen. Die beiden lernen sich in einem Chat im Internet
kennen. Sie sucht Abwechslung vom Alltag und Zuwendung, er eine Frau für
seine sadistischen Fantasien. Im Juni 2011 kommt der gemeinsame Sohn auf
die Welt, sie nennt ihn Oliver. Dass dieses Kind geboren wurde, um es
sexuell zu missbrauchen, haben Melanie R. und Benjamin P. inzwischen
gestanden.
Als der Richter im März dieses Jahres das Urteil verkündet, acht Jahre
Gefängnis für P., fünf Jahre für R., versucht er sein Grauen in Worte zu
fassen: „Die Angeklagten haben einen schutzlosen Säugling zum bloßen Objekt
ihrer sexuellen Begierde degradiert und seine Menschenwürde mit Füßen
getreten.“ Er und seine Kollegen hätten in Abgründe menschlichen Handelns
und Denkens geblickt, die sie „fassungslos und betroffen machen“, die
Vorgeschichte des geplanten Missbrauchs „scheint jede Dimension zu
sprengen“.
Wie verroht müssen Menschen sein, um so etwas zu planen? Melanie R. will
darüber reden, sie ist noch in Freiheit, denn ihr Anwalt hat Revision gegen
das Urteil eingelegt. Zwei Jahre statt fünf Jahre will sie ins Gefängnis,
denn Melanie R. sieht sich auch als Opfer. Zum Treffen im Büro ihres Anwalt
Hendrik Rente in Mönchengladbach erscheint eine mittelgroße, übergewichtige
Siebenundzwanzigjährige mit modischer Kurzhaarfrisur und dezenten
Tätowierungen.
Wenn sie spricht, bewegt sie sich kaum. Ihre Hände klemmen zwischen ihren
Schenkeln, die Handtasche steht griffbereit neben ihr, als wolle sie jeden
Moment die Flucht ergreifen. Sonst kein nervöses Wippen oder Hüsteln,
stattdessen Stille. Wenn Melanie R. nichts sagt, presst sie die Lippen
aufeinander. Redet sie, dann nur in wenigen Worten, meist auf den Boden
schauend, den Blick ihres Gegenübers allenfalls kurz streifend. Sie sitzt
weit vorne auf dem Stuhl, ihre Füße fest auf den Boden gepresst.
Sie erzählt, wie sie Benjamin P. im Januar 2010 zum ersten Mal gesehen hat;
schon bei diesem Treffen schlafen sie miteinander. Beim zweiten Mal macht
er intime Bilder von ihr, danach immer wieder – mit ihrer Einwilligung.
Später verlangt er Geld von ihr, sie gibt ihm manchmal 50 oder 100 Euro.
Eines Tages habe er sie dann gezwungen, beim Sex Kinderpornos anzuschauen.
Wenn sie sich weigerte, habe er ihren Kopf an den Haaren hochgerissen. „Ich
wollte das alles nicht“, sagt Melanie R. kaum hörbar und zuckt dabei kaum
merklich mit den Schultern.
## Zurück zum Ehemann
Aber sie trifft Benjamin P., ein Jahr älter als sie, trotzdem weiter, führt
ein Doppelleben. Sie lässt sich von ihrem Liebhaber erniedrigen. Und fährt
danach zurück zu ihrem Ehemann nach Mönchengladbach.
Ihren Mann, John R., hat sie ebenfalls in einem Chat kennengelernt. Sie
sagt über ihn, er sei geradeheraus und ausgeglichen gewesen. Er sagt über
sie, von seiner Frau komme eigentlich nie ein Contra, immer nur „Jaja“ oder
„Du hast ja recht“. Beide sagen, sie hätten eine harmonische Beziehung
geführt, sich aber einander entfremdet. Durch unterschiedliche
Schichtdienste – sie leitet eine Etage in einem Altenheim, er ist
Elektriker. John R. spielt sehr viel Playstation, sie trifft sich allein
mit Freundinnen, fühlt sich von ihrem Mann vergessen.
Schüchtern und brav, so beschreibt sich Melanie R. als Kind. Aufgewachsen
im nordrhein-westfälischen Viersen – eine ruhige Kindheit auf dem Land.
Unauffällig. Messdienerin sei sie gewesen und, das ist ihr wichtig: Sie
habe kein einziges Mal die Schule geschwänzt.
Im Internet tauschen Melanie R. und Benjamin P. Sadomaso-Fantasien aus, bei
ihren Treffen lassen sie sie Wirklichkeit werden. Wenn sie davon erzählt,
klingt manches widersprüchlich: Bei Nadelspielen habe sie mitgemacht, sei
freiwillig seine Sklavin gewesen. Später bestreitet sie genau das. Auch das
Übergießen mit heißem Kerzenwachs habe sie nicht gewollt, sei Opfer der
Perversionen ihres Liebhabers geworden. Dabei lächelt sie ein wenig, als
wolle sie um Verständnis werben.
## Licht aus
Ihrem Mann kann sie die vielen Verletzungen und blauen Flecke verbergen,
die ihr Benjamin P. beim Sex zufügt. Melanie R. macht das Licht aus und
behält ihr T-Shirt an, wenn sie mit John schläft. Der fragt nicht weiter
nach.
Umso verlangender wird der Geliebte. Das Erfüllen seiner
sadomasochistischen Fantasien reicht ihm nicht. Er erzählt von pädophilen
Träumen. Sie erfindet einen Sohn, Niklas, zehn Monate alt, den sie Benjamin
P. fünfmal anbietet. Sie, wieder mit dieser fast flüsternden Stimme: „Ich
wollte ihn nicht verlieren.“ Und das, obwohl sie einmal, wie sie sagt, von
einem Freund ihres Liebhabers vergewaltigt wurde, weil sie keinen Sex zu
dritt will.
Wenn sie allein ist, macht sie intime Bilder von sich. Sie sendet sie nach
Gelsenkirchen, auch Fotos eines unbekannten Jungen schickt sie ihm und
behauptet, es sei Niklas. Die Lüge fliegt rasch auf, er will das Kind
sehen. Danach habe Benjamin P. weiter auf den Missbrauch eines Kindes
gedrängt. Aber wo eines finden, dass ihnen gehorcht, gefügig ist? Sie
finden es dort, wo das Risiko, entdeckt zu werden, am geringsten ist – in
der eigenen Familie. Nach dieser brutalen Logik entsteht die Idee, ein Kind
zu zeugen, um es zu missbrauchen. Melanie R. sagt, ihr Liebhaber habe die
Idee gehabt, nachprüfen lässt sich das nicht mehr.
## Ausblendung des Vergangenen
Im Juni 2011 wird Oliver geboren. Sie blendet das Vergangene aus, versucht
einen Neuanfang und meidet den Kontakt zu dem Kindsvater. Sie behauptet
auch, sie habe gar nicht an Benjamin P. als Vater gedacht. Erst die Polizei
habe sie aufgeklärt.
Dann aber fährt sich doch noch einmal nach Gelsenkirchen. Warum? „Ich
wollte diese Sache endgültig beenden“, antwortet sie. Warum sie das Kind
dazu mitnimmt, sagt sie nicht. Bei diesem letzten Treffen in Freiheit
entsteht dieses Foto, das beiden zum Verhängnis wird.
Während sie das Kind wickelt, hält Benjamin P. seinen erigierten Penis an
den des Säuglings. Er zeigte das Foto später im Internet anderen
Sexualpartnerinnen. Die schalteten die Polizei ein. Bei der Durchsuchung
seiner Wohnung finden die Beamten pornografische Fotos und Videos von
Kindern, Tieren, Gewalt. Zudem soll Benjamin P. seine eigene Schwester
sexuell missbraucht haben.
Sie: „Ich war schockiert, er hat mich überrascht.“ Und noch leiser als
sonst: „Ich bin mit dem Kind sofort aus der Wohnung.“
## „Ich weiß es nicht“
Jeder Satz, den sie, sich auf dem Stuhl windend, sagt, ist der Versuch
einer Antwort auf die Frage, die so präsent ist im Raum. Frau R., wie kann
man so etwas tun? Melanie R. wiederholt immer nur: „Ich weiß es nicht.“
Misstrauisch und unglücklich sei sie immer schon gewesen, sagt sie, benutzt
das Wort „selbsterniedrigend“, um sich zu beschreiben. Sie findet sich
hässlich, zu dick. Innerhalb weniger Jahre seien ihre Patentante, ihr Vater
und ihr Großvater gestorben. Sie habe nicht noch ihren Ehemann verlieren
wollen, habe Angst gehabt vor Benjamin P. Davor, dass er ihre intimen Fotos
weiterreicht. Zugleich hätten ihr seine Schmeicheleien gefallen.
Im psychologischen Gutachten aus dem Prozess im Februar 2012 – beide sind
weitgehend geständig und werden für voll schuldfähig erklärt – liest sich
das so: Es sei denkbar, „dass die Kindesmutter vor dem Hintergrund einer
extrem willfährigen, außerordentlichen Anpassungbereitschaft, aufgrund
einer massiven Selbstwertproblematik zu Selbsterniedrigung neigenden
Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage gewesen sein könnte,
Verlustängste zu kontrollieren, dem Kindesvater Grenzen zu setzen sowie
sich und das Kind zu schützen.“
## Zur Adoption freigegeben
Ihr Ehemann hält trotz allem zu ihr, hat für Oliver sogar das
Vaterschaftsrecht erstritten. Das Ehepaar wünscht sich, das Kind
zurückzubekommen, doch eine Gutachterin warnte vor einem hohen „Risiko
einer Wiederholung“. Oliver wurde zur Adoption freigegeben.
Seine Mutter sagt, sie habe eigentlich gegen einen Brückenpfeiler fahren
wollen, als alles aufflog. Nun wartet sie auf das Ergebnis der Revision.
Wenn sie Glück hat, dann erhält sie nur eine Bewährungsstrafe. Aber das ist
sehr unwahrscheinlich, sagt auch ihr Anwalt. Sie wird wohl ins Gefängnis
müssen. Melanie R. weint still, wenn sie daran denkt.
Und Oliver? Dem Baby wird von Gutachtern eine altersgemäße Entwicklung
bescheinigt. Bisher spreche nichts dafür, dass Oliver „diese potenziell
traumatischen Ereignisse auch traumatisch verarbeitet hat“.
15 Oct 2012
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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