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# taz.de -- Pädagogik: Selbst ist der Mann
> In Berlin gibt es überdurchschnittlich viele männliche Kita-Erzieher.
> Trotzdem müssen sie noch oft gegen Rollenklischees kämpfen - und gegen
> das Misstrauen der Eltern.
Bild: Das Kinder in Kitas von Männern betreut werden, ist nach wie vor die Aus…
Rico Schünke hüpft mit den Kindern der Marzahner Kita „Akazieninsel“ durch
den Garten, es läuft Musik. Der 22-Jährige reißt die Arme in die Luft und
geht in die Knie, während die älteren Kolleginnen am Rand nur hin und her
wippen. Mit kurzer Hose, Collegeshirt und Ziegenbärtchen erinnert der
angehende Erzieher an einen Animateur im Strandurlaub.
Das Lied ist aus, die Kinder zerstreuen sich. Ein paar kauern im Gras und
schauen einem Eichhörnchen nach. Schünke beobachtet sie, er weiß, dass sich
ein guter Erzieher in solchen Momenten zurückhält, damit die Mädchen und
Jungen selbstständig ihre Umwelt entdecken. Die pädagogischen Konzepte
lernt er im Friedrichshainer OSZ Sozialwesen II. In seiner Klasse am OSZ
ist der Männeranteil vergleichsweise hoch: Fünf sind es mit ihm – gegenüber
19 Frauen. Fünf aus einer neuen Generation männlicher Erzieher.
Ginge es nach Tim Rohrmann, wäre eine solche Quote der Normalfall,
mindestens. Der Psychologe arbeitet bei „Männer in Kitas“, einer
Koordinationsstelle, die der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in
Berlin angegliedert ist und durch den Europäischen Sozialfonds und das
Familienministerium gefördert wird. Gegründet wurde „Männer in Kitas“ von
einem Team von Sozialwissenschaftlern, das Akteure aus Forschung, Politik
und Praxis zusammenbringen will, um die Berufsperspektive männlicher
Erzieher zu verbessern. Es begleitet auch das Modellprogramm „Mehr Männer
in Kitas“ mit 16 Projekten in 13 Bundesländern.
Rohrmann sagt, es müsse normal sein, dass Männer die professionelle
Kita-Erziehung übernehmen. Aber wie bei allen verfestigten Vorstellungen
müsse sich das Berufsbild erst gegenüber dem Rollenklischee durchsetzen.
Bundesweit sind gerade einmal 3Prozent der Kita-Erzieher Männer, in Berlin
ist der Schnitt etwas höher. Hier gibt es, wie in Brandenburg,
überdurchschnittlich viele Erzieher unter 30 Jahren, der Anteil der Männer
in dieser Altersgruppe lag 2010 bei fast 9 Prozent. Außerdem bieten 16
Fachschulen in Berlin eine duale Erzieherausbildung an, der Männeranteil
der Absolventen liegt bei etwa einem Viertel und damit höher als bei der
herkömmlichen, unbezahlten Ausbildung. Aber nicht in allen Bundesländern
werden flexible Ausbildungswege angeboten, weiß Rohrmann. Dagegen werde das
Berliner Bildungsprogramm, an dem sich alle Kitas orientieren, gerade
überarbeitet: „Mit mehr Rücksicht auf die Genderthematik.“
Rico Schünke scheinen diese Genderfragen wenig relevant. Er ist sich
sicher, dass sein Geschlecht keine bestimmte Rolle im Kita-Alltag bedingt,
sagt er. Die neuen Erzieher hätten ein anderes Selbstverständnis als viele
ältere Erzieher und Quereinsteiger, aber auch Praktikanten, die in der Kita
gerne „männertypische“ Aufgaben übernehmen: Fußball spielen, kaputte Sac…
reparieren. Für Schünke steht anderes im Mittelpunkt: „Wenn ich ein Buch
vorlese und die Kinder gespannt zuhören. Die Zuneigung, die sie einem
entgegenbringen. Eigentlich ist es das Gesamtpaket.“
Nach dem Abi hatte sich der angehende Erzieher erst für ein duales Studium
entschieden: BWL und Banklehre. Doch nach einem Jahr brach er ab. Über den
Kontakt zu seiner Nichte kam er auf das Berufsbild Erzieher. Weder seine
Eltern – der Vater Kfz-Lackierer, die Mutter Bankkauffrau – noch sein
Freundeskreis reagierten negativ darauf. Und auch er ist zufrieden mit dem
Berufswechsel: „Dass einfach jemand auf dich zukommt und dich umarmt, das
gibt es in der Bank nicht.“
Für die Kinder ist der Jungpädagoge etwas Besonderes. Im Kitagarten wird er
von einer Kindertraube umringt. „Rico, kannst du der Papa sein? Wir spielen
Vater-Mutter-Kind“, fragt ihn ein Mädchen. Schünke freut sich über die
Aufmerksamkeit, er weiß, dass viele der Kinder ein schwieriges
Familienleben erfahren. „Die Kinder sollen lernen, dass sie auch Männern
als Bezugspersonen vertrauen können.“
Auch Willy Nitschke lernt Erzieher auf einer Fachschule. Er ist ein
ruhigerer, introvertierterer Typ, aber wenn er von seiner Arbeit spricht,
ändert sich seine Ausstrahlung. An seiner begeisterten Stimme merkt man,
wie sehr ihm die Arbeit mit den Kindern Spaß macht. Auch er, sagt er, habe
keine negativen Reaktionen erfahren.
Dennoch: Dass es so wenige männliche Erzieher gebe, könne auch am
Misstrauen ihnen gegenüber liegen, erklärt Tim Rohrmann, der Psychologe.
Männer, die mit Kindern arbeiten, stünden bei manchen Eltern unter dem
Generalverdacht, potenzielle Missbrauchstäter zu sein. Das komme zum einen
von Einzelfällen, die mediale Aufmerksamkeit erlangen, meint Rohrmann – zum
anderen von der Klischeevorstellung, dass Kinder eben „Frauensache“ seien
und daher mit Männern, die sich für diese Arbeit interessieren, „irgendwas
nicht stimmt“.
In Marzahn holt ein Paar gerade seine Tochter ab. Sie finde es gut, dass
ein männlicher Erzieher ihr Kind mitbetreut, sagen beide. Ohne das
Vertrauen der Eltern, sagt Rico Schünke, könne er sich die Arbeit mit den
Kindern auch gar nicht vorstellen: „Es bringt ja nichts, wenn ich mich von
den Kindern fernhalten muss.“ Rohrmann bestätigt das: „Körperkontakt in d…
Kita einzuschränken, ist kontraproduktiv.“ Für Kinder sei körperliche Nähe
zur Bezugsperson selbstverständlich. Wenn sich ein Mann aus Unsicherheit
distanziere, würde ein Kind irritiert reagieren.
Es muss also noch kein Grund zum Misstrauen sein, wenn der Schoß, auf dem
die Kinder beim Vorlesen sitzen, einem Mann gehört. Und zu einem Ort der
Gefährdung können Kitas nur werden, wenn sie sehr unstrukturiert sind, sagt
Rohrmann. In der Regel arbeite das Personal im Team, und Mitarbeiter, die
sich unangemessen verhielten, fielen auf. Rohrmann weist darauf hin, dass
Einrichtungen ein Schutzkonzept, aber auch ein sexualpädagogisches Konzept
haben sollten. Wenn sich Eltern angesichts der Nähe ihres Kindes zu einem
Erwachsenen unsicher fühlten, müsse darüber gesprochen werden. Gleiches
gelte für die Erzieher, die oft nicht wüssten, wie sie professionelle Nähe
herstellen können. Deswegen plädiert der Psychologe dafür, das Thema
Sexualität verstärkt in der Ausbildung anzusprechen: „Die Reflexion der
eigenen Einstellungen muss Teil der Ausbildung sein. Genauso wie die Frage,
welche Art von Körperkontakt angemessen ist.“
Eine ganz andere Kritik an Ausbildungsoffensiven für männliche Erzieher
äußert eine Charlottenburger Kitaleiterin, die nicht namentlich genannt
werden will: Sie misstraut der „Jeder kann Erzieher werden“-Stimmung“, die
einige Kampagnen verbreiteten: „Da besteht die Gefahr, dass die Berufung
für die Arbeit fehlt.“ Das bemerke sie auch bei einigen männlichen
Erziehern in ihrer Einrichtung. Gerade bei Quereinsteigern gebe es große
Unterschiede im Umgang mit den Kindern, was manchmal auch mit dem früheren
Beruf zusammenhänge. Insgesamt sei die Toleranzgrenze von Männern höher,
sagt die Kitaleiterin – zum Teil auch zu hoch. Was sie nicht unbedingt auf
das Geschlecht, aber auf die männerspezifische Erziehung zurückführt.
Eine gute Ausbildung, sagt Rohrmann, sei zudem eine wichtige Voraussetzung
– dabei mangele es noch an Plätzen. Immerhin: Seit 2004 gibt es auch
frühpädagogische Studienangebote an Hochschulen, die das Berufsfeld durch
Karrierechancen aufwerten. In Berlin bietet etwa die Alice Salomon
Hochschule den Bachelor-Studiengang „Erziehung und Bildung im Kindesalter“
an.
Rico Schütz und Willy Nitzschke sind sich sicher, dass sie als
Kita-Erzieher leicht Arbeit finden würden. Schon jetzt fehlen Fachkräfte in
den Kitas, durch den angestrebten Kita-Ausbau wird der Druck noch wachsen.
Auch langfristig sieht Schünke in der Kita Möglichkeiten zur persönlichen
Weiterentwicklung. Nach seinem Praktikum in der Jugendeinrichtung muss er
sich für einen Bereich entscheiden, und er weiß schon jetzt: Wenn seine
Wahl auf die Kita fällt, will er sich zum Facherzieher für Sprache
weiterbilden. Und auch die Möglichkeit, irgendwann einmal eine Kita zu
leiten, findet er attraktiv: „Ich sehe mich nicht mit 60 Jahren noch mit
den Kindern auf dem Boden krabbeln.“
7 Aug 2012
## AUTOREN
Martina Kollross
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