# taz.de -- Antisemitismus in Deutschland: Juden ohne Angst | |
> Ein Rabbiner wird niedergeschlagen, jüdische Schüler werden angepöbelt. | |
> Sind das Einzelfälle oder eine Welle der Gewalt gegen Juden? | |
Bild: Aus Protest gegen die Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens tragen T… | |
Er war mit seiner Tochter unterwegs, seine Kippa hatte er unter einem | |
Basecap versteckt. Aber irgendwie müssen die vier Jugendlichen die | |
Gebetskappe doch gesehen haben. „Bist du Jude“, fragte einer von ihnen. | |
Dann prügelten sie auf Rabbi Daniel Alter (53) ein, seiner sechsjährigen | |
Tochter drohten sie mit dem Tod. Mit einem gebrochenen Jochbein musste | |
Alter ins Krankenhaus. | |
Zweimal innerhalb einer Woche ist es in Berlin zu antisemitischen Angriffen | |
gekommen: Nach der Attacke auf den Rabbiner wurde am Montag eine Gruppe | |
jüdischer Schülerinnen von Jugendlichen mit antisemitischen Sprüchen | |
beleidigt. In beiden Fällen handelt es sich um südländisch aussehende, | |
mutmaßlich arabischstämmige junge Menschen. In beiden Fällen sind die Täter | |
flüchtig. | |
Zwar lässt diese Beschreibung keinen Rückschluss auf die | |
Religionszugehörigkeit der Täter zu. Dennoch ist nun eine Debatte über | |
muslimischen Antisemitismus entbrannt. Der Zentralrat der Juden in | |
Deutschland fordert von muslimischen Verbänden ein stärkeres Engagement | |
gegen Antisemitismus. | |
## Jüdische Schülergruppe beschimpft und bespuckt | |
Die Urgroßeltern von Yehuda Teichtal sind in Ausschwitz umgekommen. Dennoch | |
hat sich ihr Urenkel 1996 entschieden, die USA zu verlassen, um in | |
Deutschland als Rabbiner zu arbeiten. Warum? „Wir wollen Berlin wieder zu | |
einem zentralen Ort jüdischen Lebens in Europa machen“, erklärt Teichtal. | |
Vor allem sein Großvater habe ihm zu dem Neuanfang geraten: „Es ist die | |
stärkste Rache an Hitler, wenn wir wieder an den Ort kommen, wo dieser | |
versucht hat, die Juden umzubringen.“ | |
Als am Montag die jüdische Schülergruppe beschimpft und bespuckt wurde, war | |
auch Teichtals Tochter dabei. „Wir Eltern haben ihr erklärt, dass sie keine | |
Angst haben muss. Denn die Mehrheit der Gesellschaft verhält sich normal“, | |
sagt Teichtal. Ob er sich auf den Straßen nun genauer umschaue, wer hinter | |
ihm gehe? „Nein“, antwortet der Rabbi. „Wir dürfen uns nicht verstecken. | |
Auf keinen Fall“, wiederholt er immer wieder. | |
Auch seinen Kindern würde er niemals davon abraten, jüdische Symbole | |
öffentlich zu tragen. „Wir sind, wer wir sind, Glauben muss in einer | |
Demokratie sichtbar gelebt werden können.“ | |
## Müssen Juden sich wieder fürchten? | |
Aber zwei antisemitisch motivierte Attacken innerhalb einer Woche und so | |
etwas in dem Land, in welchem noch vor sechs Jahrzehnten jüdisches Leben | |
ausgerottet werden sollte. Müssen Juden sich wieder auf Deutschlands | |
Straßen fürchten? „Nein“, sagt auch der Berliner Rabbiner Reuven Yaacobov. | |
„Wir müssen nur Angst vor Gott haben. Nicht vor den Menschen.“ | |
Trotzdem warnt die Amadeu Antonio Stiftung vor zunehmender Gewalt gegen | |
Juden. „Es gibt in letzter Zeit mehr körperliche Attacken als in den | |
vergangenen Jahren – vor allem in Großstädten, so die Vorsitzende Anetta | |
Kahane. „Leider sind die Täter meist junge Migranten.“ | |
Dabei ist kein statistischer Anstieg antisemitischer Straftaten zu | |
verzeichnen. Insgesamt ist die Zahl der Angriffe gegen Juden 2011 gegenüber | |
dem Vorjahr sogar um 2,3 Prozent gesunken. Im ersten Halbjahr 2012 | |
registrierten die Ermittlungsbehörden bundesweit 13 Fälle von | |
antisemitischer Gewalt. Von diesen konnten 11 rechtsextremen Straftätern | |
zugeordnet werden. | |
Ob Angriffe von Muslimen auf Juden zugenommen haben? Diese Frage lässt sich | |
statistisch jedenfalls nicht beantworten, weil es keine gesonderten Zahlen | |
dazu gibt. Michael Kiefer, Islamwissenschaftler und Autor des Buches | |
„Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften“, kann jedenfalls keinen | |
Anstieg muslimischen Antisemitismus in der hiesigen Gesellschaft | |
feststellen. | |
## Judenhass wird mehr, wenn sich der Nahostkonflikt zuspitzt | |
Judenhass werde dann vermehrt öffentlich, wenn sich der Nahostkonflikt | |
wieder zuspitzt. Doch da sei es ja gerade eher ruhig, so Kiefer. Anders | |
sieht dies Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er | |
glaubt nicht an eine zufällige Häufung der Angriffe. „Mir erscheint es, als | |
würden bestimmte Personen in der islamistisch geprägten muslimischen Jugend | |
gezielt eine Strategie der Einschüchterung anwenden“, so Joffe in der | |
Berliner Morgenpost. | |
„Das mag sein, ich kann das ohne konkrete Angaben nicht beurteilen“, | |
entgegnet Ali Kizilkaya. Der Vorsitzende des Koordinierungsrats der Muslime | |
schiebt hinterher: „Gewalt und Gewaltverherrlichung ist schändlich. Leider | |
gibt es auch Muslime, die sich nicht daran halten. Deshalb müssen wir uns | |
gemeinsam noch stärker gegen alle Formen von Menschenfeindlichkeit, also | |
Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit engagieren.“ | |
5 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
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