# taz.de -- Neues Album von The xx: Ein ortloses Etwas | |
> Sehnsüchtig wurde „Coexist“, das zweite Album der Band The xx, erwartet. | |
> Elf gute Songs, die ihren lakonischen Sound zuspitzen. | |
Bild: Wie immer gewohnt lakonisch. | |
Zuversicht ist ihre Stärke. Anderthalb Jahre lang sind The xx nach | |
Veröffentlichung ihres Debütalbums 2009 durch die Welt getourt. Was andere | |
zermürbt, hat die Band in ihrem Überraschungserfolg nur bestätigt. | |
Das Ätherische, entschleunigt Zähe ihrer Musik, in England nannte man es | |
folgerichtig „Dreampop“. Dazu Texte über Angst, Entfremdung und Einsamkeit, | |
dargeboten mit einer superspartanischen Klangsignatur aus Gitarre, Bass, | |
Synthesizern und Beats. Offensichtlich sprechen die Teenagerthemen auch | |
Älteren aus der Seele. | |
Den Scheues-Reh-Eindruck der Musik untermauert die einheitliche, von Joy | |
Division und Factory Records entlehnte Bandästhetik; das Albumcover ganz in | |
Schwarz, mit eingekerbtem Kreuz. Romy Madley-Croft, Oliver Sims und Jamie | |
Smith, stets in Schwarz gekleidet; darüber hinaus spärliche | |
Informationspolitik. All das trifft den Nerv einer auf ständige | |
Aktualisierung und maximale Transparenz geeichten Popöffentlichkeit. Kein | |
leaken und kein liken stören ihre Songs am Wachsen. Im Gegenteil, The xx | |
hält sich hartnäckig in Playlisten und Jahrescharts und wird in der Heimat | |
der Band mit dem Mercury-Prize ausgezeichnet. | |
Als das Trio im Oktober 2010 wieder in London vor Anker geht, sehen sich | |
die drei Musiker mit für sie merkwürdigen Umständen konfrontiert. Während | |
sie on the road volljährig geworden sind, haben ihre Freunde in der | |
Zwischenzeit Schule und Ausbildung absolviert. „Sie wirkten verunsichert, | |
wussten nicht, was nun werden soll. Die Welt war ihnen voraus. Wir hatten | |
auf Tour dagegen Selbstbewusstsein getankt“, bilanziert Jamie Smith, | |
Keyboarder und Drummer des Londoner Trios. | |
Aus der schüchternen Indieband ist unterwegs ein Projekt mit Masterplan | |
geworden, das sich in der eintönigen und nervenaufreibenden Routine des | |
forcierten Tourdaseins Entdeckergeist bewahrt. Jamie Smith wird zum | |
gefragten Produzenten. „Wir haben es genossen, wieder in London zu sein, | |
neue Ideen auszuprobieren. Wir sind von zu Hause ausgezogen, gingen | |
reichlich aus. Dancefloor wurde zu unserem Versuchsfeld.“ | |
## Geschäftige Euphorie | |
Die Musiker mieten eine Wohnung, richten darin ein Studio ein („Our Studio“ | |
taufen es The xx gewohnt lakonisch) und fangen an, Songs zu arrangieren und | |
aufzunehmen. Daraus ist das Material für „Coexist“ entstanden, ihr | |
sehnsüchtig erwartetes zweites Werk. Elf Songs, die den entkernten Sound | |
ihres Debütalbums weiter zuspitzen. | |
Da wird so viel Lücke zwischen den Tönen gelassen, man könnte bequem den | |
Abwasch erledigen. Auch die Texte schöpfen aus dem Vokabular der | |
Weltabgekehrtheit, lassen unklar, ob der Wunsch, sich zu verbergen, eher | |
Lust oder Zwang bedeuten. „The walls I hide behind / You walk through“ | |
heißt es in „Our song“. „Hide away / I hide away with you / I let the wo… | |
just slip away / And I’m left with you“, lauten Zeilen in „Swept Away“. | |
Dieses Abgekehrte verbindet sich mit der geschäftigen Euphorie von | |
Dancefloor-Elementen und geht eine seltsame Verbindung ein. | |
Jamie Smith erzählt von seinem ersten Nottinghill-Carnival-Erlebnis, als er | |
zusammen mit dem US-DJ Diplo in den subsonischen Sog der Soundsystems | |
gerät. „Ich lernte den Bass fühlen.“ Seine Kenntnis von House und Dubstep | |
hat er inzwischen auch auf Mainstream-Künstler wie Drake oder Adele | |
angewendet, für die er Songs komponierte. | |
Die raffinierteren Beats hat er sich aber für „Coexist“ aufbewahrt. Sie | |
gehen niemals in die Vollen, umkreisen die Gitarren- und Bassriffs der | |
beiden Sänger Romy Madley-Croft und Ollie Sims, setzen Breaks, bremsen und | |
beschleunigen die Riffs. | |
„Coexist“, der Albumtitel, beschreibt den Regenbogeneffekt, der entsteht, | |
wenn die Flüssigkeiten Öl und Wasser aufeinandertreffen. Das Foto einer | |
Lache ziert das Innere des Albumcovers. Außen ist „Coexist“ ganz in Weiß | |
gehalten. Smith findet, die Lache im Inneren sei ein schönes Bild, um die | |
Arbeitsweise der drei Musiker zu beschreiben. Öl und Wasser mischen sich | |
nicht, sie bilden eine Emulsion. | |
Obwohl sie sich seit Kindertagen kennen, pflegen die Musiker von The xx | |
untereinander ein distanziertes Verhältnis. Es seien gemeinsame Vorlieben | |
im Geschmack, die beim Erschaffen ihres unverwechselbaren Sounds eine | |
Schnittmenge bilden. Auf der Homepage der Band finden sich Links zu Songs, | |
die alle drei mögen. | |
So unterschiedliche Künstler wie Soulsänger Otis Redding und sein Song | |
„Precious Love“ oder ein Track des Dubstep-Produzenten Pearson Sound. | |
„’Coexist‘ spielt auch auf gescheiterte Beziehungen an“, ergänzt Smith… | |
liefert eine Erklärung zu unserem Bandnamen. Verflossene und Freunde, mit | |
denen man trotz aller Auseinandersetzungen weiter befreundet bleibt, | |
Kompromisse, die man dafür eingeht, Koalitionen, die man schmiedet.“ | |
Koexistenz klingt plastischer als Emulsion und nicht so defensiv wie | |
Kompromiss. Der Sound des Albums verbindet digitale und analoge | |
Klangelemente. | |
## Dynamisch, das schon | |
Smith, der Multiinstrumentalist und DJ, Gitarristin Romy Madley-Croft und | |
Bassist Ollie Sims gingen zusammen zur Schule im Südlondoner Stadtteil | |
Putney. „Eine Problemschule“, erzählt Smith. Ganggewalt spielte dort eine | |
Rolle, Mobbing, inkompetente Lehrer. Die Musik hat sie aus diesem | |
Teufelskreis herausgeführt. | |
„Coexist“ ist frei von jeder Aggression und jeder Territorialisierung. Ein | |
ortloses Etwas, wo Pop oftmals Präsenz markiert und Positionen für sich | |
reklamiert, ist „Coexist“ ein einziges Rückzugsgefecht. Dynamisch, | |
kraftvoll, das schon, die Energieschübe kommen von Jamie Smith. „Ich könnte | |
nie woanders leben als in London. Aber ich möchte nicht, dass sich unsere | |
unmittelbare Umgebung als direkter Einfluss in unserem Sound | |
niederschlägt.“ | |
Wohin Popmusik einen bringen kann: Beim Interview im Berliner Soho House, | |
einem poshen Etablissement im Neokolonialstil, versinkt der schmächtige | |
22-jährige Smith in den riesigen Polstern des Sofas. Sein Laptop steht auf | |
einem Backgammontisch in einer Suite. Wenn er zu sprechen anhebt, wandern | |
seine Worte einmal durch den Raum. „Die spartanische Musik ist gar nicht so | |
sehr Konzept“, behauptet Smith. „Wir wollen es uns damit nur ermöglichen, | |
live aufzutreten. Und wir drei können eben nur drei Instrumente zur | |
gleichen Zeit spielen.“ | |
Dass darin auch Tücken liegen, zeigt die Generalprobe am Dienstag im | |
ausverkauften Admiralspalast in Berlin, wo The xx erstmals die Songs von | |
„Coexist“ live spielen. Das Trio hält die Spannung der Albumdramaturgie | |
nicht bis zum Schluss durch. Digitale und analoge Instrumente schaffen es | |
an diesem Abend nur selten, kohesiv zu klingen. Plötzlich wirkt die | |
Verlorenheit ihrer Texte unangenehm authentisch. Gut, dass das neue Album | |
Geborgenheit stiftet. | |
The xx: „Coexist“ (Young Turks/ Beggars Group/Indigo) | |
7 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Pop | |
Elektro | |
Soul | |
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