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# taz.de -- Resozialisierung von Straftätern: Vorbeugen ist besser als Strafen
> Ein Resozialisierungsverein arbeitet erfolgreich mit rechtsextremen und
> islamistischen Gewalttätern. Jetzt steht er vor dem Aus – das Geld fehlt.
Bild: Nicht einfach zuschlagen.
BERLIN taz | Im Gruppenraum der Jugendanstalt Raßnitz in Sachsen-Anhalt
sitzen acht junge Männer um den Tisch, keiner von ihnen ist älter als 21.
Alle tragen Jeans, weinrote Pullover und kurz geschorene Haare. Alle haben
ein Alkoholproblem, kommen aus zerrütteten Familien und haben sich
irgendwann der rechtsextremen Szene angeschlossen. Alle sitzen wegen
Gewaltstraftaten ein, von schwerer Körperverletzung bis zu versuchtem Mord.
Thomas Mücke, Anti-Gewalt-Trainer des Vereins Violence Prevention Network
(VPN), hat Fotos mitgebracht. Ein knüppelnder Polizist, ein muskelbepackter
Boxer. Auch das Foto von einem Transvestiten legt er auf den Tisch – das
ist für Jan (Name geändert) zu viel. „Bitte, nehmen Sie das weg, ich halte
es nicht aus“, sagt er angewidert.
Die Jugendlichen sollen sich mit den Stereotypen in ihren Köpfen
auseinandersetzen. „Das ist ein weiter Weg“, sagt Mücke. Das gilt für das
gesamte Programm. Die größte Herausforderung für Trainer und Gewalttäter
ist es, Einzelgespräche über extremistische Einstellungen und begangene
Taten zu führen. „Ohne eine derartige Auseinandersetzung ist der Rückfall
vorprogrammiert“, sagt Mücke.
„Verantwortung übernehmen – Abschied von Hass und Gewalt“ heißt das
Programm, das 2001 in Brandenburg gestartet wurde und inzwischen in zehn
Bundesländern in elf Jugendhaftanstalten stattfindet. Das VPN kümmert sich
insbesondere um solche Täter, die aus rechtsextremen oder islamistischen
Motiven Gewalt angewendet haben.
## Erfolgreiches Projekt
Der Verein hat Erfolg mit seiner Arbeit: Insgesamt machten fast 700 Täter
mit – freiwillig. Ihre Rückfallquote sinkt beachtlich. So kommen nur 13,3
Prozent der Teilnehmer wieder wegen einer Gewalttat in Haft – im
Durchschnitt sind es sonst mehr als 40 Prozent. Der damalige Innenminister
Wolfgang Schäuble (CDU) lobte 2008 die Arbeit des VPN genauso wie der
heutige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Doch jetzt steht
das Programm vor dem Aus, weil die Finanzierung fehlt.
Seit Beginn kratzen sich Gründerin und Geschäftsführerin Judy Korn und ihre
Leute das Geld aus verschiedenen Fördertöpfen zusammen. Das
Innenministerium finanziert einen Teil über die Bundeszentrale für
politische Bildung, zwischendurch überwies das Familienministerium Geld.
Die Bundesländer steuern, wenn überhaupt, kleine Summen bei. 2013 kommt
noch einmal Geld über das Xenos-Programm, das mit EU- und Bundesmitteln
bestritten wird. Die Arbeit muss aber auf sechs Länder beschränkt werden.
„2014 müssen wir dann alle Anti-Gewalt-Trainigs einstellen“, sagt Korn.
Eine Million Euro bräuchte der Verein, um das Programm bundesweit
anzubieten zu können. Der Betrag erscheint umso geringer, als sogar die
Bundesregierung eingesteht, dass seit Programmbeginn wegen der geringeren
Rückfallquote mehr als 20 Millionen Euro an Haftkosten eingespart wurden.
Trotzdem stellt die Bundesregierung keine Regelförderung in Aussicht. Das
Familienministerium verweist auf das Innenministerium, dies wiederum auf
die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder. „Wir hören oft, dass sie
bemüht sind“, sagt Korn. „Aber die Finanzierung ist für sie einfach nicht
machbar.“
## Keine Langfristige Förderung
Der grüne Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler spricht von einem
grundsätzlichen Problem: „Es fehlt eine langfristige Förderung von
Initiativen, die sich erfolgreich gegen Rechtsextremismus engagieren.“
In einem offenen Brief an die Bundesregierung drückten prominente
Unterstützer am Donnerstag ihr „größtes Unverständnis“ darüber aus, da…
aus haushaltsrechtlichen Gründen die Finanzierung des VPN-Programms
eingestellt wird. André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter,
hat unterschrieben, und Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der
Muslime in Deutschland.
Auch einige bekannte Unternehmernamen sind dabei, Werner M. Bahlsen,
Christof Bosch, Marie Kärcher oder Ex-Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger.
Dass die Unterzeichner des offenen Briefes das Geld selbst aufbringen, will
Korn nicht: „Es kann doch nicht sein“, sagt sie, „dass die
Deradikalisierungsarbeit in der Hand von Familienunternehmern liegt“.
6 Sep 2012
## AUTOREN
S. Puschner
S. Erb
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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