| # taz.de -- CDU-Politiker über Ärztehonorarstreit: „Die beste Alternative“ | |
| > Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, über | |
| > Heilsversprechen, Politik und Currywurst. | |
| Bild: Josef Hecken bekennt sich als „currywurstessender Kettenraucher“. | |
| BERLIN taz | Ausgerechnet Josef Hecken. Als bekannt wurde, dass ein | |
| Vollblutpolitiker den Vorsitz im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) | |
| bekommen würde, war die Aufregung groß. Der CDU-Mann mit guten Kontakten | |
| zur Kanzlerin gilt vor allem als durchsetzungsfähiger Technokrat. | |
| Ausgerechnet ein als ungeduldig geltender Politiker sollte die Nachfolge | |
| des geschätzten unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, Rainer Hess, | |
| antreten. Die Frage kam auf: Ist Hecken im neuen Amt unparteiisch genug, um | |
| das zentrale Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zu leiten? | |
| Denn das ist das höchste Gut des Gemeinsamen Bundesausschusses: sein Ruf, | |
| im Rahmen seiner Möglichkeiten politikfern zu entscheiden. | |
| Seit Anfang Juli nun sitzt Hecken dem G-BA vor. In dem 13-köpfigen | |
| Beschlussgremium in Berlin beraten Vertreter von Ärzten, Zahnärzten, | |
| Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen. Antragsberechtigt, | |
| aber nicht stimmberechtigt sind Patientenvertreter. In ihrem Auftrag werden | |
| wissenschaftliche Studien angefertigt, über die die Ausschüsse des G-BA | |
| beraten. | |
| Das Gremium legt fest, welche Leistungen und Arzneien die gesetzliche | |
| Krankenversicherung ihren 70 Millionen Versicherten bezahlen muss. In | |
| Pattsituationen kann der unparteiische Vorsitzende mit seiner 13. Stimme | |
| eine Entscheidung herbeiführen. Damit stehen der G-BA und sein neuer Chef | |
| im Zentrum milliardenschwerer Auseinandersetzungen. Von der Frage, welches | |
| Medikament die Kassen bezahlen, hängen die Umsätze der Pharmaindustrie ab. | |
| Offiziell soll die Parteipolitik bei den Entscheidungen außen vor bleiben – | |
| ein beispielloser Anspruch. Auch deshalb sorgte die Benennung Heckens für | |
| Unruhe im Gesundheitswesen. Vor seinem Amtsantritt hatte er dem G-BA | |
| „planwirtschaftliches Vorgehen“ vorgeworfen. Nun will Hecken die | |
| Beschlussfindung beschleunigen, weist aber Vorhaltungen zurück, er handle | |
| dabei auf Geheiß der Kanzlerin. In den kommenden sechs Jahren muss er | |
| zeigen, ob er seinem Titel als „Unparteiischer“ gerecht wird. | |
| taz: Herr Hecken, die niedergelassenen Ärzte gehen auf die Barrikaden, weil | |
| sie sich mit durchschnittlich 165.000 Euro Jahreseinkommen unterbezahlt | |
| fühlen. Im Honorarstreit mit den Kassen rufen die Mediziner nach dem Staat. | |
| Ist die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen gescheitert? | |
| Josef Hecken: Zähe Verhandlungen und verfahrene Situationen sind wahrlich | |
| keine ausschließliche Spezialität der Selbstverwaltung. Für den Gemeinsamen | |
| Bundesausschuss kann ich sagen, dass der ein gutes Beispiel für | |
| funktionierende Selbstverwaltung ist. Strittige Themen werden hier häufig | |
| beraten, aber am Ende erreicht man gemeinsam tragfähige Kompromisse. | |
| Die Politik könnte über solche Konflikte nicht besser entscheiden? | |
| Nein. Denn auch wenn sich bei unseren Sitzungen die Ausschüttung von | |
| Glückshormonen mitunter auf ein relatives Minimum beschränkt: Der | |
| Gemeinsame Bundesausschuss ist die beste Alternative, die uns zur Verfügung | |
| steht. Würde die Entscheidung, welche Arznei oder welche Behandlungsmethode | |
| für welche Krankheit von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird, | |
| allein im politischen Raum getroffen, würde häufig nicht nach | |
| wissenschaftlichen, sondern politischen Kriterien entschieden. | |
| Also alles super im Gesundheitswesen? | |
| Nein. Es gibt auch Entscheidungen, die nichts mit Versorgungsrelevanz zu | |
| tun haben, sondern mit lokaler Politik oder wirtschaftspolitischen | |
| Komponenten. Als Gesundheitsminister im Saarland habe ich den sinnvollen | |
| Versuch unternommen, eine Station für Geburtshilfe eines Krankenhauses zu | |
| schließen. Dort gab es überdurchschnittlich viele problematische | |
| Frühgeburten. Zwölf Kilometer weiter gab es eine weitere Klinik, die sich | |
| auf die vor- und frühgeburtliche Versorgung spezialisiert hatte. Für mich | |
| war klar: Mehr Erfahrung und Routine des Personals ist gut für die | |
| Frühchen. | |
| Aber? | |
| Meine eigene Regierung stand damals nicht geschlossen zu mir. Es gab für | |
| meine Entscheidung keine parlamentarische Mehrheit! | |
| Die Sache ist Ihnen aus dem Ruder gelaufen. | |
| Es lief die übliche Dramaturgie ab. Jeder der Beteiligten brachte seine | |
| Argumente vor, die aber absolut nichts mit der Versorgungsrealität zu tun | |
| hatten. Die einen klagten, weil sie im Pass ihrer Kinder weiterhin ihre | |
| Gemeinde als Geburtsort stehen haben wollten. Die anderen argumentierten, | |
| die Geburtshilfe finanziere doch das Krankenhaus. Dann gab es sogar noch | |
| einen Cafeteria-Betreiber in der Klinik, der kommunalpolitisch gut vernetzt | |
| war. Ich habe damals gelernt, was für ein hoher zivilisatorischer Wert es | |
| ist, wenn medizinische Fragen in einem wissenschaftlich fundierten Umfeld | |
| entschieden werden. | |
| Herr Hecken, Sie sind Vollblutpolitiker. Und jetzt sagen Sie: Die Politik | |
| stößt an ihre Grenzen? | |
| Gerade weil ich vor meiner Zeit als Vorsitzender des Gemeinsamen | |
| Bundesausschusses Politiker war, weiß ich nur zu gut, wann Politik an | |
| Grenzen stößt. Wenn die Menschen Heilsversprechen hören, etwa von einem | |
| Pharmakonzern, der ein neues Krebsmedikament anpreist, dann können Sie als | |
| Politiker dagegen nur schwer sachlich argumentieren. Sie könnten höchstens | |
| nach dem alten kölschen Motto verfahren, „Kamelle, der Prinz kütt“, und | |
| einfach alles bezahlen, was nur häufig genug als nächster Schritt zur | |
| Unsterblichkeit propagiert worden ist – egal, ob es tatsächlich hilft oder | |
| nicht. Deshalb ist es politisch klug, solche Sachentscheidungen über | |
| Therapien, Arzneimittel und Qualitätssicherung dort fällen zu lassen, wo | |
| die dafür nötige Expertise und Unabhängigkeit vorhanden ist. | |
| Hat Angela Merkel diese politische Klugheit? Sie gilt seit Jahren als Ihre | |
| Förderin. Wenn der Cafeteria-Betreiber im Saarland politischen Druck auf | |
| Sie ausüben konnte, dann die Kanzlerin doch erst recht. | |
| Das Amt des unparteiischen Vorsitzenden zeichnet sich ja gerade durch seine | |
| Unabhängigkeit und Staatsferne aus. Im Gemeinsamen Bundesausschuss haben | |
| wir es zudem mit äußerst selbstbewussten und fachlich versierten Vertretern | |
| der Kassen, Krankenhäuser, Ärzte und Zahnärzte zu tun. Hinzu kommen ebenso | |
| meinungsfreudige wie kompetente Patientenvertreter. All diese Personen | |
| kritisieren – wenn nötig – die Bundesregierung, und scheuen auch keine | |
| juristischen Kontroversen mit der Rechtsaufsicht. | |
| Dennoch soll Ihr Amt politischer und schneller werden. So sieht es | |
| angeblich auch die Kanzlerin. | |
| Mit der Kanzlerin hat es keine Absprachen zu meinen Aufgaben gegeben und | |
| diese wird es auch nicht geben. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann nur | |
| insofern politischer werden, als das Gremium die Klagen der Politik ernst | |
| nimmt, Beratungen dauerten manchmal zu lange. Mein Anspruch ist es, Fristen | |
| einzuhalten, die von der Politik gesetzt werden, um Richtlinien zu | |
| verabschieden. | |
| Hier drücken Sie aufs Tempo. Soeben haben Sie für Jugendpsychiater, | |
| Neurochirurgen, Laborärzte und Strahlentherapeuten einen sofortigen | |
| Zulassungsstopp beschlossen. Empfindlich eingeschränkt wird auch die | |
| Niederlassungsfreiheit der Ärzte. Haben Sie schon Drohbriefe erhalten? | |
| Ich scheue vor Konflikten nicht zurück, wenn diese nötig sind, um dann | |
| anschließend in den Sachfragen weiter zu kommen. Fakt ist: Wir brauchen | |
| eine gerechtere und sinnvollere Verteilung der Mediziner. Vor allem | |
| brauchen wir mehr Ärzte auf dem Land. Der vor wenigen Tagen beschlossene | |
| befristete Zulassungsstopp ist lediglich ein Zwischenschritt auf dem Weg | |
| hin zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Bedarfsplanung bis Anfang | |
| 2013 und betrifft ganz bestimmte Arztgruppen. Diese Entscheidung ist eine | |
| zumutbare Übergangsregelung und dient auch der Herstellung von | |
| Chancengerechtigkeit in den Arztgruppen. | |
| Prävention gilt als Schlüssel zu besserer Gesundheit und weniger Kosten. | |
| Der Bundesgesundheitsminister will trotzdem kein Präventionsgesetz. Irrt | |
| er? | |
| Bei der Prävention haben wir kein Erkenntnis-, sondern ein | |
| Umsetzungsdefizit. | |
| Woran liegt das? | |
| Prävention wurde früher manchmal verwechselt mit Schifffahrten auf dem Nil | |
| oder Gruppentanz gegen Depressionen. Da hat mittlerweile schon länger zum | |
| Glück ein Umdenken eingesetzt. Systematische Prävention muss schon anfangen | |
| mit Gesundheitserziehung. | |
| Damit erreichen Sie die artikulationsstarke Klientel, aber nicht | |
| diejenigen, die Prävention brauchen. | |
| Wir müssen in die Kindergärten und an die Schulen, und wir müssen vor allem | |
| die Eltern für die Gesundheitserziehung begeistern. | |
| Muss eine bessere Gesundheitsversorgung zwangsläufig mehr Geld kosten? | |
| Im Gesetz steht, dass das, was angemessen, zweckmäßig und wirtschaftlich | |
| ist, bezahlt werden muss. Dazu stehe ich. Die Frage, die sich für mich | |
| stellt, ist: Glaube ich daran, dass eine zunehmend älter werdende, | |
| multimorbide Gesellschaft aufgrund göttlicher Eingebung, | |
| medizinisch-technischen Fortschritts oder sonstiger Wunder mit der gleichen | |
| Menge Geld versorgt werden kann wie bisher? Ich glaube das ehrlich gesagt | |
| nicht. Wenn die heutige Versorgungsqualität aufrechterhalten werden soll, | |
| wird in Zukunft dafür mehr Geld gebraucht. | |
| Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag nach der | |
| OECD-Statistik in den vergangenen fünfzehn Jahren stabil zwischen 11 und 15 | |
| Prozent. Trotzdem sind im gleichen Zeitraum die Beitragssätze um 30 Prozent | |
| gestiegen. Warum? | |
| Das zeigt doch, dass wir keine Kostenexplosion haben, sondern vielmehr die | |
| Einnahmebasis erodiert. Über die nötigen Konsequenzen muss allerdings die | |
| Politik entscheiden. Ich persönlich bin ein leidenschaftlicher Gegner von | |
| Rationierung. Ich halte diese ebenso für unethisch wie auch unnötig. Das | |
| Kunststück wird vielmehr sein, zusätzliches Geld aufzubringen und zugleich | |
| Effizienzreserven zu heben. | |
| Die Bürgerversicherung finden Sie doof? | |
| Entscheidend ist die Frage: Wie können Dinge, die Wertschöpfung bewirken, | |
| in die Finanzierung einbezogen werden? Wie bemisst man die individuelle | |
| Leistungsfähigkeit desjenigen, der zum Systemerhalt finanziell beiträgt? | |
| Welchen Namen das Versicherungssystem der Zukunft trägt, in diesem | |
| Zusammenhang eher zweitrangig. Aber alle Menschen in eine einzige | |
| Versicherung zu zwingen, ist für mich nicht automatisch die richtige | |
| Antwort. Dadurch entstehen bloß neue Leistungsansprüche. | |
| Herr Hecken, auch Sie sprechen sich für Anreize aus, um | |
| gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern. Nun sind Sie Kettenraucher … | |
| Currywurstessender Kettenraucher, so viel Zeit muss sein. | |
| Gehören Sie für dieses ungünstige Konsumverhalten mit höheren | |
| Beitragssätzen gestraft? | |
| Schon aus der Kindererziehung wissen wir: Positive Anreize bewirken viel | |
| mehr als Strafen. Aber im Ernst: Ein gesundheitsbewusster Lebensstil sollte | |
| der gute Vorsatz jedes Einzelnen sein. Dass ich diesem Anspruch in meiner | |
| persönlichen Lebensführung nicht immer gerecht werde, räume ich freimütig | |
| ein. Und gelobe Besserung. Auf meine Amtsführung hat das Rauchen allerdings | |
| keinen Einfluss. | |
| 11 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| H. Haarhoff | |
| M. Lohre | |
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